Kolumne Cannes Cannes 7: Wie aus dem Inneren eines Uterus
Große Oper für die Durchschnittsfamilie O'Brien: Der Spielfilm "The Tree of Life" von Terrence Malick.
T errence Malick ist abwesend. Weder nimmt er an der Pressekonferenz zu seinem lang erwarteten Spielfilm "The Tree of Life" teil, noch steigt er am Abend die Stufen zum Grand Théâtre Lumière hinauf. Sean Penn, Brad Pitt und Jessica Chastain, seine Hauptdarsteller, vertreten ihn, Pitt mit Hornbrille und Ziegenbärtchen, Chastain in einem gelben Kleid. "Terrence Malick ist ein sehr schüchterner Mann", sagt sie während der Pressekonferenz. "Sein Film soll für sich selber sprechen."
Was "The Tree of Life" auch tut - verrätselt, elliptisch, voller Verve -, es ist immer unverkennbar, was für ein Ehrgeiz in diesem Unterfangen steckt. Seit Malicks letztem Film "The New World" sind sechs Jahre vergangen, Dreh und Postproduktion von "The Tree of Life" zogen sich hin, zuletzt gab es Ärger, weil der britische Verleiher die Premiere in London für Anfang Mai angesetzt hatte - das hätte die Teilnahme am Wettbewerb von Cannes ausgeschlossen. Der fertige Film lässt die konfliktreiche Entstehung rasch vergessen.
Malick verschränkt die Geschichte einer durchschnittlichen weißen Familie im Texas der 50er Jahre mit der Geschichte der Erde. Nach circa 10 Minuten Film erleben wir auf der Leinwand die Entstehung der Welt: Licht wabert, Gestirne explodieren, Meteoriten schlagen ein, Magma pulsiert. Manche dieser Aufnahmen aus den Weiten des Kosmos könnten aus dem Inneren eines Uterus stammen. Dann strudelt Wasser, in den Fluten tauchen Lebewesen auf, zunächst Würmer, dann Fische. An Land duckt sich die Kamera auf dem Boden und schaut von dort in den Himmel, ein paar Bilder später traben Dinosaurier durch ein Flussbett.
ist Redakteurin im taz-Ressort Gesellschaft, Kultur, Medien.
Die Kamera treibt im Kinderzimmer
Worauf all dies hinausläuft, ist die These, dass sich die Phylogenese in jeder Ontogenese wiederholt. Denn auf diese ausgedehnte Weltentstehungssequenz folgt eine Geburt. Die Kamera treibt in einem mit Wasser angefüllten Kinderzimmer, ein Kind schwimmt Richtung Wasseroberfläche. In der nächsten Einstellung sieht man Jessica Chastain als Mrs. O'Brien im Kreißsaal, wenig später hält Brad Pitt als Mr. O'Brien den winzigen Fuß eines Säuglings zwischen seinen Händen. Jack, der erste Sohn der Familie, ist geboren.
Im raschen Fluss stellt die Montage solche Zusammenhänge her. Die Kamera (Emmanuel Lubezki) bewegt sich schwebend und schwerelos, in seiner ersten Hälfte wirkt der Film licht, von Sonne und Glück durchflutet. Doch je länger "The Tree of Life" dauert, umso mehr Uneinigkeit herrscht in der Familie O'Brien, weil der Vater seine Frau und die drei Söhne mit seiner Strenge terrorisiert. Mr. und Mrs. O'Brien sind archetypische Elternfiguren: er der autoritäre Vater, Statthalter des Gesetzes, sie die liebevolle, sorgende Mutter.
Malicks Streben nach dem ozeanischen Gefühl ist mit Kompositionen von Brahms, Mahler, Smetana, Berlioz und anderen unterlegt. Da denkt man sich bisweilen: Das alles ist zu große Oper für diese Durschnittsfamilie O'Brien, es bläht sich zu sehr in seiner Spiritualität, seiner Naturmysthik und Gottessuche. Als Mittel der Zeitdiagnose lässt sich "The Tree of Life" sicher nicht verstehen, eher als Delirium über die letzten Dinge. Wenn am Anfang des Films ein Zitat aus dem Buch Hiob steht - "Wo warst du, da ich die Erde gründete? Sage an, bist du so klug?" -, dann kann man am Ende des Films laut rufen: Im Kino war ich!
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