Kolumne Brüssel verstehen: Garantierte GroKo für Europa
Lohnt es sich, am 25. Mai taktisch zu wählen? Die Antwort hängt, wie so oft, unmittelbar mit der deutschen Bundeskanzlerin zusammen.
W en soll ich wählen? Knapp zwei Wochen vor der Europawahl am 25. Mai wird diese Frage langsam akut. Und das ZDF-Duell zwischen den Spitzenkandidaten der etablierten Parteien hat die Entscheidung nicht gerade erleichtert. Denn statt über den richtigen Kurs zu streiten, waren Schulz (SPD) und Juncker (EVP/CDU/CSU) auf Schmusekurs.
Doch was ist mit den Alternativen? Muss man Grün wählen, wenn man grüne Politik in Europa will – oder vielleicht doch lieber Schulz, weil nur der eine rotgrüne Mehrheit organisieren kann? Diese Frage eines Lesers lässt sich auch allgemeiner formulieren: Lohnt es sich eigentlich, taktisch zu wählen?
Um es direkt zu sagen: Nein, in Europa nicht. Aus zwei Gründen: Zum einen fehlt eine 5-Prozent-Hürde wie im Bundestag, das Bundesverfassungsgericht hat sogar die 3-Prozent-Hürde abgeschafft. Es fallen also keine Stimmen unter den Tisch, selbst Radikale haben eine Chance. Zum anderen herrscht im Europaparlament nicht das in der deutschen Politik übliche Lagerdenken. Die Abgeordneten sind keinem Fraktionszwang unterworfen, sondern können frei entscheiden. Alle Parteien kämpfen auf eigene Rechnung, niemand hat eine Koalition angekündigt. Auch die Grünen halten sich bedeckt.
Doch Vorsicht: Das heißt nicht, dass nach der Wahl am 25. Mai der Gewinner den Ton angibt und sich eine passende Mehrheit sucht. Weit gefehlt! Auch diesmal dürfte das ungeschriebene Gesetz gelten, dass sich der Wahlsieger um eine Große Koalition bemüht. Die regiert das EP nämlich schon seit Jahren.
Grüne, Linke und Piraten würden dabei außen vor bleiben. Schlimmer noch: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) redet auch noch mit. Sie behält sich das letzte Wort bei der Nominierung des Kommissionspräsidenten vor – und tut noch dazu alles, um Schulz zu verhindern. Sogar in die Geschäftsordnung des Parlaments mischt sie sich ein. Selbst wenn es Schulz trotzdem gelingen sollte, die Europawahl für sich zu entscheiden, müsste er wahrscheinlich eine Koalition mit den Konservativen eingehen. Denn ohne die Merkel-Leute bekommt er kaum die für seine Wahl zum Kommissionschef nötige Mehrheit.
Für grüne oder gar linke Politik bleibt da wenig Platz. Taktisch wählen macht daher nur Sinn, wenn man auf jeden Fall den drohenden Komplettsieg des Merkel-Lagers verhindern will – und mit einer GroKo in Brüssel leben kann. Es wäre die Wahl des kleineren Übels.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße