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Kolumne Bridge & TunnelRoth New York Bar

Kolumne
von Ophelia Abeler

Hauser & Wirth eröffnen eine zweite Dependance in den Räumen der legendären Disco Roxy.

I n den frühen Achtzigerjahren war hier, 515 West 18th Street, das Roxy NYC und der Eingang eine in Neongraffitis getauchte Schleuse in eine Welt, in der Afrika Bambaataa tatsächlich noch mit Band spielte.

Eine Szene aus „Beat Street“ wurde hier gedreht. Madonna war da schon da gewesen, und Grace Jones; Grandmaster Flash, LL Cool J sollten folgen. 2007 hörte es mit Beyoncé auf. Da war es dann gut. Sonst wäre nächstens Justin Bieber gekommen.

515 West 18th Street heute: Der Eingang ist ein neongestreifter Treppenaufstieg mit beträchtlicher Sogwirkung – eine Installation von Martin Creed und das Tor zu einer sehr speziellen Welt, diesmal allerdings zu der des Künstlers Dieter Roth.

Die Züricher Galerie Hauser & Wirth hat hier jetzt ihre zweite New Yorker Dependance eröffnet, zur Feier ihres zwanzigjährigen Bestehens, und zeigt Arbeiten aus den letzten zwanzig Lebensjahren von Dieter Roth, die in symbiotischer Zusammenarbeit mit seinem Sohn Björn entstanden.

Design Annabelle Selldorf

Bild: Wolfgang Stahr
OPHELIA ABELER

ist Kulturkorrespondentin der taz in New York.

Nach ein paar Jahren Leerstand, in denen komischerweise niemand Luxusappartements in das alte Fabrikgebäude bauen wollte, wurde es von Annabelle Selldorf hergerichtet, die schon die Hauser-&-Wirth-Räume in Zürich, London und der 69. Straße verantwortete. Unglaublich, wie hoch und weit der dunkle hölzerne Dachstuhl sich jetzt über dem säulenlosen, zentralen Raum spannt; unglaublich aber auch, wie es bis in den letzten Winkel nach Schokolade riecht.

Da stehen zwei junge Männer in einer mitten im Raum aufgestellten Küche und gießen Dieter Roths „Selbste“ aus Schokolade in die Originalformen. Immer wieder erstaunlich ist, wie begierig Roth sein eigenes Altern in der Arbeit P.O.TH.A.A.VFB. (Portrait of the artist as Vogelfutterbüste) vorweggenommen hat, in der er sich als langnasigen alten Mann porträtierte. Und merkwürdig, wie der Sohn Björn Roth und dazu schon dessen Söhne Einar und Oddur das Werk des Vaters beziehungsweise Großvaters unter kompletter Zurückstellung irgendeines eigenen Werkes fortsetzen.

Verfall mit Schimmel, Motten, Maden

Sie haben allerdings auch haufenweise Kunst zu verwalten, die den Verfall (Schimmel, Motten, Maden) einkalkuliert hat, dessen weiteres Fortschreiten es nun unter großem Aufwand zu stoppen gilt. Sie setzen sogar die Serie der Selbstporträts fort, die nun keine mehr sind – oder gerade wieder zu welchen werden: Wie Björn Roth der Büste seines Vaters inzwischen mehr ähnelt als der Vater selbst, ist jedenfalls frappierend.

In einem Gang werden die „Soloszenen“ gezeigt, Videoaufnahmen aus Roths letztem Lebensjahr, das eigentlich als Genesungszeit vom Alkohol gedacht war. „Die Kombination aus einem kranken Körper, der keinen Alkohol mehr verträgt, und einer Menge Enkelkinder, die es für unnatürlich halten, wenn ihr Großvater säuft, hilft mir, nüchtern zu bleiben.“ Das schrieb Dieter Roth einmal – und bestand dann aber während seiner Ausstellungen gerne darauf, dass eine Bar aufgebaut werde.

Diesem Wunsch wird jetzt posthum entsprochen – mit einer Bar, die Roths Enkel mit ihrem Vater in den am besten dafür geeigneten Winkel gebastelt haben. Sie sieht aus, als wären wir wieder im Berlin der seligen Neunziger: Schweißkunst, Schrott, Friseurtrockenhauben. Es ist, als hätten nicht Hauser & Wirth, sondern das Eschloraque Rümschrümp eine Filiale in New York aufgemacht.

Die Bar heißt „Roth New York Bar“ und es leben hier nahezu greifbar der Geist des Großvaters und der Geist des Roxy weiter. Es ist ein Ort, an dem gerade jemand aus Berlin sich sofort sehr zu Hause fühlt, denn er beamt einen zurück in die Zeit, in der die Nächte so lang waren, dass die abgebrannten Kerzen Wachsformationen in den Ausmaßen von Tropfsteinhöhlen bildeten.

Die „eindringliche Nichtheit“, die Dieter Roth suchte und nie zu erreichen befürchtete – am Tresen der Roth New York Bar kommt man ihr schon ziemlich nah. Man ist in New York und gleichzeitig nicht, man ist in einem White Cube und gleichzeitig in einer herrlichen Kaschemme, man ist im Roxy, obwohl das Roxy untergegangener ist als Atlantis – und wenn man dann noch tief genug ins Glas schaut, erhascht man möglicherweise einen Blick auf seine früheren bzw. zukünftigen Selbste.

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