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Kolumne BlickeDie ADHS-Senioren

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Verzogene Kinder sind gar nicht das Problem. Die rüpelhaften Alten, die im Herbst ihres Lebens stehend permanent Krawall schlagen müssen, sind viel, viel schlimmer!

W er den Urlaub mit einem dreijährigen Italiener mit R-Schwäche verbringt – mag schon sein, dass der parteiisch wird. Der junge Mann nannte sich selbst „Bluno“, nach den Frühstückspops verlangte er als „Celeali“, und mich nannte er folgerichtig „Amblos“.

Parteiisch also: Ich mag Kinder. Auch hässliche. Auch dumme. Auch blonde. Das mag daran liegen, dass ich wohl nicht mehr aufhören werde, auf die Welt der Erwachsenen als eine der unfreiwilligen Komik beziehungsweise des gemeingefährlichen Irrsinns zu blicken – von Syrien bis München. In München fragte mich ein älterer Herr, ob ich geistig noch auf der Höhe sei. Eine Frage, die ich, wenn ich geistig auf der Höhe gewesen wäre, unbedingt mit Nein beantwortet hätte, ergänzt durch: „Noch nie!“

Was war geschehen? Ich hatte auf einem gemischten Rad-Fußgängerweg – eine Erfindung, die so sinnvoll ist wie freiwillige Selbstbeschränkung für Uranverkäufer – dem Waffen-SS-gebräunten Mittsechziger (Oder Siebziger? Man weiß es ja heute nicht mehr!), der mich und die Kinder aus dem Weg geklingelt hatte, ein fröhliches „Des is fei koa Autobahn“ nachgerufen. Der kurzbehoste Alt-Rowdy hielt prompt an und stellte mir die oben genannte Frage. Daraus entspann sich ein unerfreulicher Dialog, den ich mit dem Satz, er möge schauen, dass er weiterkäme, abbrach, um selbst, die Kinder um mich scharend, meiner Wege zu gehen.

Bild: Alexander Janetzko
Ambros Waibel

ist Meinungs- und tazzwei-Redakteur der taz.

Als Kind habe ich alte Menschen immer sehr geliebt. Vor allem bewunderte ich einen Dr. H., der im Sommer im Garten meiner Großmutter weilte. Dr. H. trug Freizeithemd und kurze beige Hose, aber sonst hatte er keine Ähnlichkeit mit dem Powerradler. Dr. H. hatte nach allem, was man hörte, ein wildes Leben hinter sich als Frauenarzt des heimatlichen Städtchens. Nun saß er auf dem Campingstuhl im Schatten, vor sich einen Eimer mit kaltem, von uns immer wieder bereitwillig aufgefrischtem Wasser voller Dornkaat-Fläschchen. Er nahm einen Schluck, rauchte Roth-Händle, nahm einen Schluck. Sonst tat er nichts. Er wirkte unheimlich würdig dabei.

Ob ich wegen Dr. H. später drei Jahre in der Altenpflege gearbeitet habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich genau an meinen ersten Arbeitsmorgen als Zivi. Ich sollte frühmorgens das winzige Zimmer betreten, in dem zwei alte Damen wohnten, die nicht mehr ganz kontinent waren – und schaffte es nicht. Und schaffte es dann doch. Und pflegte sie und andere, und wir verstanden uns prima.

Das Problem mit den modernen Zappelphilipp-Senioren ist, dass sie nicht alt werden, dass sie nicht stillhalten wollen. Und dass sie sich für wichtiger halten, als sie sind. Sie pöbeln rum, klingeln einen aus dem Weg, schubsen Kinder weg. Sie sind auf das moderne, demokratische Leben, in dem Kinder die gleichen Rechte haben wie sie und sogar noch mehr Rechte, weil sie tendenziell immer noch schwächer sind, nicht vorbereitet.

Zu fordern wären also staatliche Integrationskurse für die ADHS-Senioren. Sonst kommt es irgendwann zur Selbstjustiz. Und Oberschenkelhalsbrüche sollen ja ganz schlecht heilen ab sechzig.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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15 Kommentare

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  • K
    kulitsch

    Recht so. mit gemischten Rad/Fußgängerwegen den Gören auch noch den allerletzten sicheren Raum wegnehmen.

     

    Sie sollen gefälligst beizeiten lernen sich wegzuducken und sich an die Kandare zu nehmen. Selbstdisziplin kommt vor kindlichem Bewegungsdrang.

     

    Je früher submissiv desto besser. Schließlich müssen sie sich später mal in einer Welt der marktförmigen Demokratie leben.

     

    Da können aber egal wie alte Radler nix dafür.

  • E
    enno

    Amüsant! Das Nichtalternden der ADHS-Senioren betrifft vermutlich häufiger die physische und psychische Verfassung, selten die geistige Haltung. Die Sichtweisen sind dann doch veraltet, die Updates der letzten Dekaden wurden abgelehnt.

     

    Die Integrationskurse für ADHS-Senioren ist eine tolle Idee und könnte die Hyperaktivität kanalisieren. Eine Zielrichtung hierfür greift der isländische Musiker Sigur Rós in dem Video Hoppípolla auf.

     

    https://vimeo.com/3986821

  • J
    junge..

    .. immer mit der Ruhe.

     

    Auch falls der beschriebene Rentner der schlechteste Mensch der Welt sein sollte:

    Für die Erfindung des gemeinsam genutzten Fußgänger- und Radweges kann er ja nun auch nix.

     

    Was erwarten sie denn, wenn Sie so einen Weg benutzen (obwohl sie ihn für sinnfrei halten, ist ja schon mal ne interessante Art der Entscheidungsfindung:

     

    Dass die Radfahrer da fahren und nicht klingeln?

     

    Wenn ja, wie kommen Sie denn auf sowas?

     

    So oder so, zur Selbsterfahrung rate ich dringend, denselben Weg mal zwei, drei Mal als Radfahrer zu frequentieren.

  • AS
    Alter Sack

    Mitsechziger können nicht in der Waffen-SS gewesen sein, auch wenn sie braun aussehen.

    Ihr Kommentar soll vermutlich witzig sein, ist in Wahrheit aber selten plump, pauschal, dümmlich, verallgemeinernd und zu Gewalt gegen Alte aufrufend.

    Ignoranz ist keine Frage des Alters, das sieht man ja an Ihnen, Herr Waibel.

  • A
    Auguste

    Oh weia, Herr Waibel im Kampf mit der Waffen-SS. Eine Nummer kleiner gehts nicht.

    Wie wäre es mit einem einfachen "Entschuldigung" und einem "Schönen Tag noch" gewesen. Mann kann auch mal einen Schritt beiseite gehen ohne das man sich was vergibt. Man kann aber auch seinen persönlichen Frust zum ganz großen Kampf der Generationen erklären. Wir alle haben Eltern, Großeltern, Kinder und Enkel und alle sind besonders und manchmal ein bißchen gaga - na und? Ein bißchen lässiger ein bißchen weltgewandter und alles ist nur halb so wild.

  • RB
    Rainer B.

    Gefällt mir!

  • AH
    aber hallo!

    Hervorragender Kommentar, der genau die ewige Spiessigkeit der aelteren Generation beschreibt.

     

    Ich selbst kenne viele Beispiele fuer Verhalten, welches identisch zum hier geschilderten ist, es scheint mittlerweile endemisch geworden zu sein!

     

    Es ist mir nie so ganz klar geworden, woher diese Demagogie und Selbstueberschaetzung der Leute herkommt, sind die so geworden durch Frustration, und wenn ja ueber was, oder waren die immer schon eine Zumutung, die nur jetzt mit fortschreitender Altersenthemmung aufbricht.

     

    Wie auch immer, meine Empfehlung: Lasst euch nichts gefallen, von mir wird jeder dieser anti-liberalen Charaktere bei passender Gelegenheit nach Strich und Faden zusammengeschissen.

  • R
    rolff

    ... es gibt auch Kampf-Muttis und Menschen aller Altersklassen, die nur Regeln für andere kennen.

    Schade.

  • W
    Werner

    Habe mal einige Jahre im Ruhrgebiet in einem sogenannten "Multi-Kulti"-Stadtteil gelebt. Nichts war so störend wie meine 70jährigen deutschen Nachbarn, die wegen jeder Kleinigkeit einen riesen Aufstand gemacht haben. Hans und Brunhilde waren dann auch der Grund warum ich umgezogen bin...

  • F
    Fischer

    Köstlich- ich habe eine solche Szene gerade in Bayern erlebt und vor einigen Jahren in Stuttgart.

     

    Da pöble ich - zum Entsetzen meiner Frau- gerne zurück.

  • J
    Jörg

    Eine Kolumne zum Einrahmen und an die Wand hängen. Es war Zeit, dass das mal jemand so aufschreibt. Wunderbar!

  • G
    gundi

    ... immer diese Aufrufe zur Gewalt ...

  • WN
    Wolfgang Nowak

    Man muss viel intensiver daran werkeln, die Radfahrer als Feindbild darzustellen. Die wollen immer irgendwo lang - und dann klingeln sie auch noch. Warum nehmen die eigentlich nicht die Autobahn? Elende Wirtschaftsschädlinge. Und ab 50 sollte man sowieso nur noch vor dem Bildschirm sitzen.

    Igitte. Pfui. Böse.

  • T
    Thorben

    doof

  • M
    myriam

    wie nett, alt gegen jung, senioren gegen kinder auszuspielen, bloss weil ein 'knackiger' rentner schlechte laune hatte und ruepelte. wie waere es denn mit gewaltloser kommunikation? schliesslich werden Sie mit den 'alten' leben muessen. ob ruehrig oder den ruhestand geniessend. wobei nicht zu vergessen ist, die meisten von 'uns aelteren' haben durchaus grund zum verdruss bei der hoehe der renten.