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Kolumne BlagenHundert Tage Rückgaberecht

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Die Einssechzigblondine ordert Cocktailkleider für den Abiball. Beim Online-Versand, wo laut Werbung die Leute ausflippen, wenn der Paketbote vor der Tür steht.

N och ein paar Wochen, dann hat die Einssechzigblondine Abi. Geb’s Gott, dass die Zeit schnell vergeht. Denn die so genannte Vorbereitungszeit stellt sich bei ihr als eine Art Dauerschlafphase dar, nur unterbrochen durch Ausflüge in die Berliner Clubszene und nächtliche Spaghettimassaker. Eher selten durch Lerngruppen, wo sich dann an unserem Esstisch Pia, Naddel und unsere Tochter über ihre Mathebücher beugen.

Schon klar, das Ding ist eh gegessen – aus der Einssechzigblondine wird nach 13 Jahren Schule nicht überraschend ein Mathe-Ass, nur weil es jetzt ums Abi geht. Da hat auch sie keine Illusionen. Was sie hingegen fester als ihre Punkte in den Blick genommen hat, ist der Abiball. Beziehungsweise ihre Garderobe.

Es gibt ja da diesen Online-Versand, wo laut Werbung die Leute komplett ausflippen, wenn der Paketbote vor der Tür steht. Da hatte sich die Einssechzigblondine was ausgesucht. Drei Kleider – seltsame Cocktailkreationen, wie ich fand. Aber sie beschied mich, dass eine Frau meines Alters naturgemäß nichts von zeitgemäßer Kleidung verstünde – dass sie mich aber noch so weit für zurechnungsfähig halte, mit meiner Kreditkarte die drei Fummel zu kaufen. Was nicht passt oder gefällt, würde sie höchstpersönlich per Post zurückschicken. „Ganz cool“, sagte sie, „wir haben hundert Tage Rückgaberecht. Portofrei.“

Ich war blöd und alt genug, zu ordern. Zwei Tage später kam das Paket. Die Einssechzigblondine verfiel nicht in hysterisches Kreischen, sondern schleppte wortlos die Beute in ihr Zimmer, schloss die Tür von innen und erschien zehn Minuten später wieder. „Die sehen scheiße aus“, sprach sie und nahm ihre Laptop-Handy-Fernbedienung-Grundposition vor dem Fernseher ein. Kein Danke. Kein Ich-kümmer-mich-drum. Ich sagte: „Du denkst dran: du schickst das zurück.“ – „Hundert Tage, weißte doch“, antwortete sie. Ich trollte mich.

Nach vier Wochen war immer noch nichts passiert. Natürlich hatte ich ein paar mal nachgehakt: „Du hast mir versprochen …“ Aber derlei führte bei ihr eher zu toxischer Stimmungseintrübung. Irgendwann hatte ich einen freien Tag. Die Ballkönigin war nicht zu Hause. Ich ging trotzdem in ihr Zimmer, schnappte die Kleider, schloss den Karton, klebte das Adressetikett auf – und fünf Minuten später war die Sache erledigt.

Bild: archiv
ANJA MAIER

ist Parlamentsredakteurin der taz.

Abends sagte ich zur Einssechzigblondine bedenkenswerte und pädagogisch wertvolle Sätze, die sie mit „Ja sorry, aber ich hatte noch siebzig Tage“ quittierte. Ich fühlte mich wie der größte elterliche Trottel unter der Sonne, schmollte noch ein Viertelstündchen und vergaß die Angelegenheit.

Gestern Abend nun – Pia und Naddel waren gerade gegangen, die Einssechzigblondine hatte die Grundposition eingenommen – drehte sie ihren Laptopbildschirm in meine Richtung. Was sah ich? Die Schreipaket-Seite, auf der kopflose Modelle Abendgarderobe zur Schau stellten. „Das und – Moment! – das hier will ich.“ Ich sagte: „Wie bitte!?“ Sie sagte: „Jetzt mach schon! Ist kein Risiko, und hundert Tage Rückgaberecht. Portofrei.“ Ich sagte: „Wie wär’s wenigstens mit einem Bitte?“ Sie: „Mann, du nervst.“ … Hier lasse ich jetzt zweieinhalb Zeilen frei: -------------------------------------------------------------------------------------------- -------------------------------------------------------------------------------------------- --------------------------------------------Ich freue mich über pädagogischen Rat. (Rumgebrüllt hab ich schon.)

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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7 Kommentare

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  • W
    Wertkonservativliberaler

    Mein Rat:

     

    Bestimmt hat die Blage ein Sparkonto mit eigenem kleinen Sparguthaben?

     

    Davon soll sie etwas Geld abheben und in die nächste größere Stadt fahren, um in einem Geschäft ein Kleid zu kaufen. Wenn ihr dieses Kleid dann kurze Zeit später nicht gefällt, kann sie es ja selbst persönlich umtauschen. Wenn sie dafür zu faul ist, hebt sie halt von ihrem Sparkonto solange Geld ab und kauft Kleider, bis sie pleite ist und/oder ein passendes Kleid gefunden hat.

     

    Wenn die Blage kein eigenes kleines Sparkonto hat, waren die letzten 18 Jahre Erziehungsversuche eh´ vergebens; dann muss sie halt mit alten Klamotten oder nackt zum Abi-Ball gehen.

  • W
    westernworld

    abgesehen davon das ihre "erziehungskünste" die letzten 18 jahren vollkommen für die katz waren würde ich die einsechzigblondine kaufen lassen was ihr herz begehrt und nach erhalt bis zur versandlichen rückabwicklung jedwede transferleistung, taschengeld etc., bis zum erreichen des nämlichen betrages oder dem erfolg der rücksendung einstellen.

     

    sollte sie die rücksendefrist verstreichen lassen hat sie ware zum verebayen und sie jede menge nerven gespart.

     

    aber schade ist es schon in einer familie zu solchen mitteln greifen zu müßen.

  • FR
    Franz Rott

    Schreien Sie einfach vor soviel Glück,

    sie sind durch die Kreditkarte solventer Teilnehmer einer schönen neuen Shoppingwelt geworden und ihr elektronisches Postfach wird demnächst überquellen mit Angeboten, direkt auf ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten. Teilen Sie es mit ihren Freunden auf Facebook, mit jedem Klick auf den LikeIt-Button erhöhen Sie den Facebook-Börsenwert und erschaffen Geld aus dem nichts. Mark Zuckerberg wird Ihnen demnächst sogar eine eigene e-mail-Adresse spendieren, um Sie und ihre virtuellen Freunde noch zielgenauer ansprechen zu können. Sie sind doch bei Facebook. LikeIT.

    Leider habe ich keine Mamma-Kompetenz, sie würde auch gegen die Netiquette verstossen.

  • S
    Steffi

    Also ich hab gar keine Kinder, aber mir fällt ganz abgesehen von dem konkreten Thema (zu dem ich keinen Rat) was ganz Anderes auf:

     

    Die ist doch bald für immer ausgezogen, oder? paar Wochen noch.

     

    Vielleicht nutzen Sie die letzte kurze Zeit einfach mal für ein unvoreingenommenes GESPRÄCH mit ihr, über irgendwas, keine Ahnung was, was Sie gerade in Ihrem EIGENEN Leben beschäftigt, über irgendein Thema, zu dem Sie trotz 18-jährigen Zusammenlebens keinen Schimmer haben, was sie eigentlich darüber denkt und warum....

     

    Einfach mal zu irgendeinem Unvorbelasteten Thema ihre Meinung zur Kenntnis nehmen, um diesen Menschen besser kennen zu lernen.

     

    Könnte bald zu spät sein.

  • D
    Diana

    Liebe Frau Maier,

     

    Respekt, die gesammelte Mama-Kompetenz hier um Rat zu fragen. Ich bin ein wenig neidisch, dass ich nicht alle Antworten lesen kann.

    Von mir als Mama einer 28 und einer 20-jährigen? Durchhalten. Meine bittere Einsicht: die erzieherischen Maßnahmen wurden weit vorher versäumt. Wenn Ihnen ab und zu Brüllen hilft, auch gut. Ich habe mich nach einer klaren Ansage meist wortlos vom Schauplatz entfernt, keine Diskussion. Dieses um Verständnis oder Respekt bitten, ging mir irgendwann auf den Senkel. Harmonie ist das wenigste was die in dem Alter wollen. Jetzt habe ich mit beiden Mädels ein sehr angenehmes Verhältnis, weit besser als damals mit meiner Mutter. Für mich hat es sich gelohnt, mich während deren Pubertät zum Affen zu machen. Jetzt komme ich in die Wechseljahre und sie bekommen alles zurück :-) Viel Spaß bei der Abi-Feier. Die anderen sind auch Granaten.

  • RL
    R. Löwer

    "Entschuldige bitte, dass ich rumgebrüllt habe. Mir war gerade entfallen, dass Du wertvolles Material für meine Kolumne bei der taz lieferst. Hier ist meine Kreditkarte."

  • W
    W.Simme

    Mein Rat, die Kreditkarte nicht aus der Hand geben und eine mehrtägige, nervige Shoppingtour durch Berlin einplanen. ,