Kolumne Bitches in Baku #7: Der integrierte Flüchtling
Er kann alles. Auch erklären, woher die Bezeichnung „Aseri“ kommt: Rashad Pashazade, einer der ESC-Volunteers in Baku, ist stolz, sein Land zu präsentieren.
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E r steht jeden Tag in der basketballhallengrossen Arena, in die das Pressezentrum des Eurovision Song Contest untergebracht: Rashad Pashazade. Der 20-jährige, studierte Verwaltungsbeamte in einer Regierungsbehörde von Baku, hat sich im Herbst beim Organisationskomitee des ESC gemeldet.
Auch er wollte ein Volunteer sein. Er spricht sehr passables Englisch, das qualifiziert ihn formell; für ihn spricht unbedingt auch eine hier fast typische Freundlichkeit. Er sieht prima aus, versteht sich als moderner Mensch, liebt Facebook, wo man auch sieht, dass er die sonstwo in der Welt üblichen Hobbies schätzt: Fotografieren und mit Freunden unterwegs sein.
„Ich wollte dabei sein, weil ich mich auf die Eurovision freute, weil ich mithelfen wollte, meinem Land ein Gesicht zu geben.“ Pashazade kann praktische Fragen beantworten, nicht nur solche, wo man in den Computern dieses und jenes Programm findet. Sondern er kann auch Dinge der Sprachregelung erklären. Heißt die Sprache „Aseri”? Nein, Pashazade sagt nicht, dass das falsch sei, nur historisch überholt.
Denn: Russen wollten das Land nach der UdSSR trennen, in einen ölsatten Teil und einen, den man generös der Türkei weitergereicht hätte. Pashazade ergänzt: „Nein, wir sind ein Land. Und ich bin stolz, dass meine Eltern mir erzählt haben, was es heißt, ein Aserbaidschaner zu sein.”
Praktisch und historisch gebildet
Pashazade, einer von 60 Volunteers im Pressezentrum, einer von 900 Helfern in der ganzen Stadt, sagt Worte, die in Deutschland peinlich klängen: „Wir Kaukasier sind stolz auf unsere Kraft, unseren Mut, und wir haben für unsere Freiheit gekämpft.” Seit 2004 erst kann der aserbaidschanische Staat die eigenen Ölquellen verwerten, vorher war dies nur unter russischem Kuratel möglich. Dieser junge Mann kam als sechsmonatiges Kind mit seinen Eltern aus dem immer noch von Armenien besetzten Berg Karabach – ein Flüchtling, integriert in Baku.
Möglicherweise, weil Rasha seinen Supervisor fragen musste, ob er mit einem Journalisten sprechen dürfe, ist er nur besonders glühend als Patriot. So sagt er: „Wussten Sie, dass Baku die einzige Stadt ist, in der es einen gemeinsamen Friedhof für Muslime, Christen und Juden gibt?” Nein. „Es gibt dort keine getrennten Sektionen – es sind alles Menschen in Frieden hoffentlich, egal, an welchen Gott sie glauben. Mein Nachbar ist Armenier, ein Freund jüdisch, der andere Christ.”
Pashazadse, Muslim in eher unverdünnter, wenig betender Form, singt in seiner Freizeit in einem Kirchenchor, liebt christliche Choräle und sagt schließlich: „Dass Aserbaidschan an der Eurovision seit 2008 teilnimmt, hat uns die Hoffnung gegeben, dass wir Europa uns mal zeigen können.” Lächelt und fügt noch an: „Aseri ist ein altes Wort. Aserbaidschan – da fließen alle Kulturen hinein. Wie in mich!“
Aber ich möchte hartnäckig sein, mithin abermals: Ist es problematisch, dass fast keine Demonstrationen erlaubt sind, dass Zeitungen nur berichten, was die Regierung nicht allzu sehr ärgert? Also wie steht es mit den freiheitlichen Menschenrechten? Rasha Pashazade sagt, er beantworte diese Frage gern. Nun? Also: „Ich konnte zur Schule gehen, zur Universität, der medizinische Dienst ist kostenlos – das sind die Menschenrechte, die ich nicht verschweigen möchte. Und meine Freunde … na, die einen finden die Regierung gut, die anderen nicht. Wir sagen uns das.“ Doch öffentlich es sagen – zumal sein Hinweis auf das Soziale und Bildungspolitische im Grunde eine 1a-DDR-Argumentation ist?
„Wir brauchen noch Zeit, damit es wie bei euch im Westen ist. Wir leben aber schon frei!“ Sagt’s und wendet sich wieder seinem Volunteerjob hinter dem Tresen des Pressezentrums zu – weil er Menschen aus anderen Ländern Europas interessant findet und weil er seinen Dienst als Dienst an Aserbaidschan versteht.
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