Kolumne Besser: Deutschland, der Haustyrann Europas
Mal gegen die Schweiz, mal gegen Griechenland – Deutsche Politiker wünschen sich ein Europa, das genauso untertänig ist wie die Deutschen.
E uropa hat einen neuen Zuchtmeister: Der heißt Deutschland und schön ist das nicht. Weil die Schweizer Ermittlungsbehörden ihre Arbeit tun, also gegen deutsche Steuerfahnder vorgehen, die im Verdacht stehen, sich auf strafbare Weise Kontodaten verschafft zu haben, haben die Schweizer für den Moment die Griechen als Lieblingsobjekt deutschen Zuchtmeistertums abgelöst und zählen Bestimmungen des Schweizer Strafrechts so wenig wie sonst nur der demokratische Wille der griechischen Wählerinnen und Wähler.
Mal schauen, ob zuerst die Griechen den von Angela Merkel ins Gespräch gebrachten Sparkommissar vorgesetzt bekommen oder die Schweizer einen Bankkommissar.
Natürlich, es ist nicht dasselbe, ob man den Zumwinkel und die Seinigen in ihrem Krähwinkel aufspürt (Stefan Ripplinger) oder ob man griechischen Rentnern nach ihrem Gnadenbrot trachtet. Doch der Kraftsprech ist derselbe, und dieser gehört inzwischen ebenso zur deutschen Außenpolitik wie der bescheidende Hinweis, man möge die neue deutsche Weltmachtrolle nicht überbewerten.
Moralisch aufgeladenes Obermackertum
„Einst war Deutschland stark und böse, dann schwach und gut – heute ist es stark und gut“, beschrieb der Tagesspiegel vor einiger Zeit diese neue Rolle in ebenso rührend naiver wie grenzenlos selbstgefälliger Weise. Und weil auch der Gutmütigste ab und zu mit der Faust auf den Tisch hauen muss (Jesus im Tempel!), hauen auch deutsche Politiker ab und zu mit der Faust auf den Tisch – na gut, nicht unbedingt, wenn es um wirtschaftlich interessante Staaten mit zweifelhaftem demokratischen Leumund geht; da können sie mit Engelsgeduld einen ebenso end- wie fruchtlosen "Dialog" führen. Aber umso mehr, wenn es um demokratisch verfasste Staaten geht, die das Pech haben, geografisch wie politisch zu nah an Deutschland zu liegen.
ist Redakteur bei taz.de.
Bemerkenswert ist nicht allein dieses moralisch aufgeladene Obermackertum, bemerkenswert ist auch, dass in der deutschen Öffentlichkeit, anders als im Rest der Welt, kaum jemand Anstoß daran nimmt - und wenn, dann nur, weil man die deutsche Regierung noch zu milde findet.
Venceremos, Jürgen Trittin!
Das gilt etwa für Jürgen Trittin, der das Vorgehen der Schweizer Staatsanwaltschaft für „skandalös und an Dreistigkeit kaum zu überbieten“ befindet und von Finanzminister Wolfgang Schäuble verlangt, endlich Kante zu zeigen. Noch vor einiger Zeit drohte Peer Steinbrück mit der Kavallerie in die Schweiz einzufallen; vielleicht kommt Trittin demnächst auf die Idee – die Grünen laufen stets dann zur Bestform auf, wenn sie ihren Opportunismus in Folklore kleiden -, Internationale Steuerzahlerbrigaden aufzustellen, um diese in den Kampf gegen das Schweinesystem über die Alpen zu schicken. Venceremos!
Dabei kann Trittin auf ebenso viel Zuspruch hoffen wie bei seinem letzten fabelhaften Einfall, als er vorschlug, einen gewissen ostzonalen Stinkstiefel ins Amt des Bundespräsidenten zu befördern.
Zwar fehlt diesmal die Partei der organisierten Steuerhinterziehung, dafür ist die Links-ist-dort-wo-der-Staat-ist-und-wo-es-nichts-zu-lachen-gibt-Partei mit von der Partie.
Jedenfalls entspringt das Ressentiment gegen die „da oben“, die den Staat betrügen und ihr Schwarzgeld auf Schweizer Nummernkonten lagern, derselben psychosozialen Disposition wie das Ressentiment gegen Stützeempfänger, die uns auf der Tasche liegen und sich mit Schwarzarbeit dumm und dämlich verdienen.
Und wenn die deutschen Finanzämter nach Abermilliarden an ganz legalen Steuergeschenken für die Bourgeoisie – nicht zuletzt aus den Händen jener Bundesregierung, der der Volkstribun Trittin als Minister angehörte - nach „Steuersündern“ fahnden, ist es nur gerecht, wenn sie bei jedermann ganz genau hingucken. Wir müssen alle dasselbe Boot enger schnallen und sitzen alle im selben Gürtel oder wie es Altstinkstiefel Roman Herzog einmal formulierte: „Alle müssen Opfer bringen.“
Übertragen auf Europa heißt das: Das Ressentiment gegen die Schweiz ist dasselbe wie jenes gegen Griechenland; das Schweizer Nummernkonto ist genauso mythisch wie der Müßiggang in griechischen Tavernen – und wird mit derselben Mischung aus Angst und Neid betrachtet.
Wenn alle bluten, ist alles gut
Auch sonst bestehen zwischen Griechen und Schweizern neben allen Unterschieden – die einen sind lebensfroh genug, als dass sie sich jemals in einer Volksabstimmung gegen eine Verlängerung der gesetzlichen Urlaubstage aussprechen würden; die anderen sind friedfertig genug, als dass sie jemals ihre eigenen Stadtzentren in Schutt und Asche legen und immerzu Verschwörungen gegen sich wittern würden – auch Gemeinsamkeiten.
In beiden Ländern herrscht eine tiefe Skepsis gegen die Obrigkeit; in beiden Ländern können – oder konnten bislang – die Regierenden nicht auf jenen Untertanengeist hoffen, mit dem man hierzulande so herrlich regieren kann (jedenfalls so lange man nicht die Nachtruhe irgendwelcher Anwohner stört oder potthässliche Bahnhofsburgen ihrem verdienten Ende zuführen will).
Mir muss es nicht besser gehen, lautet die deutsche Logik; Hauptsache, der Andere blutet auch irgendwie. Nicht von ungefähr erinnert dies an den griesgrämigen Haustyrannen und dessen Lied von den Füßen unter seinem Tisch und ist genauso hässlich und falsch. Denn was sind schon Steuerbegünstigungen in der Schweiz gegen Lohndumping in Deutschland, was sind griechische Schulden berge gegen deutschen Sparwahn? Nicht viel, versichern Leute, die es besser wissen.
Aber womöglich ist das der Traum deutscher Politiker: Mit dem moralischen Rigorismus jener, die sich als Kämpfer für die gute Sache wähnen, den Rest Europas so gefügig zu machen wie die eigene Bevölkerung, mit der sich auch in der größten Krise prima Staat machen lässt.
Besser: Besser man rückt Deutschland nicht zu nah. Und wer kann, packt seine Alpen und Inseln in Umzugskartons und zieht in Gefilde, in denen der Haustyrann nichts zu melden hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit