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Kolumne BesserLiebe Kurden, seid nett zur Autobahn

Die kurdische Bewegung steht vor einer historischen Chance, die langersehnte Anerkennung zu erfahren. Aber weiß sie das eigentlich?

Gezi-Proteste 2013: Demonstranten mit türkischer bzw. kurdischer Fahne fliehen, ein anderer steht mit dem Zeichen der Grauen Wölfe am Rand. Bild: Archiv

E s war eine kleine Meldung, die die syrisch-kurdische PYD Mitte September, also noch vor dem Angriff des „Islamischen Staates“ auf die Grenzstadt Kobani, verlautbarte. Gemessen an der Dramatik der Ereignisse eine Kleinigkeit. Aber eine, die die Umwälzungen in der Region auf nachgerade bizarre Weise zum Ausdruck brachte. Die Meldung lautete: Angehörige der „Volksverteidigungseinheiten“, also des bewaffneten Arms der PYD, hätten eine Gruppe von Dschihadisten aus Europa beim illegalen Grenzübertritt festgesetzt.

Weil es so schön ist, noch einmal: Die Türkei, Mitglied der Nato und offiziell noch immer EU-Beitrittskandidat, lässt die Dschihadisten ungehindert passieren, während der örtliche Ableger der international als Terrororganisation eingestuften PKK die türkische Grenze bewacht. The Times there are a changin’.

Die AKP hat in den vergangenen Wochen noch die letzten Dinge verspielt, die man ihr zugutehalten musste: Die Zurückdrängung des Militärs? Die Regierung ließ in mehreren Provinzen Panzer auffahren, um die Proteste gegen die Syrienpolitik der Türkei zu unterdrücken. Die Aussöhnung mit der PKK? Diese sei genauso eine terroristische Organisation wie der IS, ließ Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan jüngst wissen.

Die Türkei verliert Ansehen, die PKK gewinnt

Für ihre neo-osmanischen Großmachtsphantasien, für die kein türkischer Politiker so steht wie der langjährige Außenminister und jetzige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, hat das AKP-Regime sehr viel riskiert, nicht nur die Aussöhnung mit den Kurden, sondern auch die Rolle der Türkei als Teil der westlichen Welt. Selten war es um die Reputation der Türkei so schlecht bestellt wie heute.

Ganz anders die Lage der PKK. Schon ihre Gesprächsbereitschaft mit der Regierung brachte ihr Sympathien ein. Durch die Gezi-Proteste hat ein Teil der türkischen Gesellschaft angefangen, Empathie für die Kurden zu entwickeln. Und inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass die PKK nicht länger einen eigenen Staat fordert, selbst wenn diese Erkenntnis noch nicht bei allen deutschen Medien angekommen ist.

Vor allem aber haben die PKK und die PYD durch ihren Kampf gegen die Dschihadisten internationale Anerkennung erfahren, durch ihre Rettung der Jesiden aus den Sindschar-Bergen und durch ihre – man muss es so sagen – heroische Verteidigung von Kobani. Ein kleines, aber sichtbares Zeichen für veränderte Bewertung: Auf der Kundgebung am Samstag in Düsseldorf wehten etliche Fahnen der PKK und ihres Anführers Abdullah Öcalan, ohne dass die deutsche Polizei eingeschritten wäre.

Die Frage ist nur: Ist sich die PKK dieser historischen Situation bewusst?

Brennende Fahnen

Die Führung der Guerilla offenbar ja, ebenso die Führung der legalen, prokurdischen Schwesterparteien DBP und HDP. Nur hat sie sichtlich Schwierigkeiten, dies ihrer Basis zu vermitteln. Das zeigen die Ereignisse der vergangenen Woche in der Türkei. Die meisten der 33 Todesopfer wurden zwar von nationalistisch-islamistischen Lynchmobs getötet. Allerdings gab es auch Fälle, in denen Anhänger der PKK Islamisten zu Tode prügelten. Außerdem gab es den Mord an drei Polizisten in der südostanatolischen Stadt Bingöl, auch wenn es nicht klar ist, ob für diese Tat tatsächlich, wie von türkischen Behörden behauptet, Anhänger der PKK verantwortlich sind.

Und schließlich gab es Bilder mit hohem symbolischem Wert: Die Atatürk-Statue, die kurdische Demonstranten im Istanbuler Stadtteil Esenyurt in Brand setzten, und die türkischen Fahnen, die in mehreren Städten bei den Protesten verbrannt wurden. Davon hat sich der HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtas zwar distanziert und angedeutet, dass dafür Agents Provocateurs verantwortlich sein könnten. Andererseits muss er wissen, dass es in den Reihen seiner Partei genug (junge) Leute gibt, denen das zuzutrauen wäre. Nun könnte man einwenden, ein paar brennende Nationalfahnen seien eine Lappalie. Aber das sehen viele Türken nicht so.

Was den Türken ihre Fahne, ist den Deutschen ihre Autobahn. Als vorige Woche kurdische Demonstranten sich in Hamburg Straßenschlachten mit Salafisten lieferten und die Gleise des Hauptbahnhofs besetzten, fühlte man sich in Deutschland an die neunziger Jahre erinnert, an gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei und an Autobahnblockaden. In so einer Situation eher kontraproduktiv.

Besser: Die kurdische Bewegung ergreift diese historische Chance. Voraussetzung dafür: Sie ist nett zu deutschen Autobahnen.

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Deniz Yücel
Kolumnist (ehem.)
Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.
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18 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Mir stehen die Kurden auch näher als Erdogan. Und die AKP steht mir genauso fern wie die PKK. Der logische Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht darin, dass ICH nicht die Zusammenarbeit zwischen AKP und PKK in den letzten 13 Jahren ignoriere.

  • Herr Yücel, sind Sie eigentlich noch Redakteur bei der TAZ oder arbeiten Sie schon in der Propaganda und Desinformationsabteilung der PKK ? Wieso schreiben sie nicht, dass der Lynchmob aus Kurden bestand, die nichts mit der PKK zu tun haben wollen oder dass es Reaktionen von Kurden waren, die sich in jahrzehnterlanger Arbeit eine Existenz aufgebaut haben und diese Existenz von den PKK Vandalen innerhalb von wenigen Stunden zerstört wurden. Dass Sie die Gezi Bewegung, die von fast allen Oppositionellen initiiert wurde und bei der mehrere Menschen ihr Leben verloren als PKK Aktion darstellen ist besonders perfide. Besonders deshalb, weil die PKK und ihre politische Vertretung nicht ein einziges Wort der Kritik an die AKP gerichtet hat um es sich nicht mit der AKP zu verscherzen.

  • Der Artikel trifft ins Schwarze. In der Tat haben die Kurden deutlich Sympathien gewonnen und ihr einstiges Anliegen ("wir brauchen einen eigenen Staat") ist verständlicher denn je. Mir stehen die Kurden jedenfalls näher, als die Regierung Erdogan.

  • @Meersalz: Vollkommen korrekt! Minderheiten dürfen in der Türkei nach wie vor zwischen Past und Cholera wählen. Das nationalistisch-laizistische Lager ist sogar noch stärker geneigt, Identitäten von Minderheiten zu negieren als das islamistische-nationalistische, welches die Religion als großen gemeinsamen ideologischen Nenner nutzt. Christliche Minderheiten werden sich davon allerdings genauso wenig vertreten fühlen. Man kann Erdogan eigentlich nur dankbar sein, dafür dass er mit seiner plumpen wirtschaftlichen Expansionspolitik und agressiven Rhetorik zweifelsfrei deutlich macht, für welche Art von Staat die moderne Türkei steht, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die sich aussenpolitisch immer sehr zurrückhaltend kommunizierten, während im eigenen Lande, die eigenen Bürger drangsaliert wurden.

    • @doktorzock:

      " Christliche Minderheiten werden sich davon allerdings genauso wenig vertreten fühlen"

       

      In der Türkei gibt es hunderte Kirchen bei einer viel geringeren Anzahl Christen ( ca. 120 000 ) als Moslems ( ca. 4,5 Mill.) in Deutschland wo ja das Moscheeangebot nicht so breit gefächert ist und jeder mögliche Moscheebau von Protesten begleitet wird.

       

      Die Türkei ist aus einem Vielvölkerstaat (OR) hervorgegangen und ist auch heute noch ein Vielvölkerstaat. Man geht in etwa von 50 verschiedenen ethnischen Gruppen aus. Türke ist nicht Türke.

       

      Interessanter Beitrag eines Amerikaners über "Secular Government in a Muslim Nation? Ray Charles, Turkey, The Future"

      https://www.youtube.com/watch?v=jbM0nyPNiDM

      ein Fan von Atatürk. Er meint die Amerikaner könnten von Atatürk mehr lernen, als Türken von Amerikanern, ganz witzig. Erdogan kann er auch nicht packen.

      • @fornax [alias flex/alias flux]:

        Die Kirchen stammen aus einer Zeit, in der die Türkei noch gänzlich christlich war. Dass nicht alle abgerissen oder zu Moscheen umgewandelt wurden ist hierbei nicht sonderlich als Vorbild zu sehen zumal, der Scharia folgend, keine neuen erbaut werden dürfen und selbst Renovierungen nicht erlaubt sind oder sich über Jahre hinziehen.

    • @doktorzock:

      Pest und Cholera. Sie haben es erfasst. Vor dieser Wahl steht auch die AK-P-KK

      Das kommt davon, wenn man Terroristen Pack unterstützt.

  • "Selten war es um die Reputation der Türkei so schlecht bestellt wie heute."

     

    Die Türkei hält sich mit solchen Fragen nicht lange auf. Auch die Gezi-Park-Unruhen haben die All-Inclusive-Angebote in Antalya nicht beeinträchtigt. In Ankara hat man eine 10-Prozent-Hürde und kann damit praktisch Partei-Neugründungen auf Jahrzehnte nieder halten. Mit solchen Methoden kommen absolute Mehrheiten relativ schnell daher, deswegen interessiert sich die Regierung auch nicht wirklich für ihr internationales Ansehen.

     

    Das würde sich erst ändern, wenn die USA bereit sind, die Türkei aus der NATO zu werfen oder die EU den Marktzugang kappt.

     

    Das Problem an solchen Drohungen ist aber, dass sie im Falle der Türkei eben auch kommen müssen. Diese Aktionen treffen dann aber alle, nicht nur die durchgebrannte Elite der AKP. Ich glaube, dass Erdogans Haci-Wähler aus dem Osten ihm langsam aber sicher abbröckeln werden.

     

    Dazu kommt, dass der Friedensprozess bislang nicht von Inhalten, sondern von Ankündigungen lebte.

     

    Nach wie vor werden kurdische Kinder in der Schule voll turkisiert und gegen ihre Kultur und Familie indoktriniert.

    Die Anerkennung der Kurden als Volk neben Türken hat nur in Ankündigungen stattgefunden, in der Realität verdrängt der Staat immer noch Kurdisch, besondern Zaza. Früher oder später wäre den Kurden insofern immer der Kragen geplatzt, jetzt kommt's aber mit Kraft daher.

    • @Andreas_2020:

      Und Erdogan wurde freundlichst in deutsche Stadien eingeladen um Wahlkampf zu machen. Ein "Wer auf sein eigenes Volk schießt hat jede Legitimation verloren" (vgl.Ukraine) hörte man von Fr. Merkel nicht. Und was hat Erdogan die Leute auf den Straßen massakrieren lassen, Monate. Nicht nur in Istanbul, auch in Izmir, eigentlich überall. Scheint ein beliebter Erfüllungsgehilfe zu sein, der Erdolf. Die 10 Prozent Hürde war für Gülens Kumpel scheinbar kein Problem seinerzeit.

  • Herr Yücel, von den Gezi Demonstranten des kemalistischen Lagers hört man gewiss nichts Kurdenfreundliches. Sehr oft wurden Kurden mit ihrer Zurückhaltung zu den Gezidemos kritisiert. Nun bewarheiten sich die Bedenken und Sorgen der Kurden. Aus Kemalisten werden niemals Kurdenfreunde. Das wissen Kurden.

    • @Meersalz:

      Bemerkenswert, dass Sie für alle Kurden sprechen. Sie scheinen genauso wie die PKK einen Alleinvertretungsanspruch für die Kurden gepachtet zu haben. Ich kenne genug Kurden, die Kemalisten sind, vom Taxifahrer bis zu Lehrern und Obersten der türkischen Armee.

      • @einTürk:

        @Eintürk.

        Stellen Sie sich vor: Ich kenne genug Türken die keine Kemalisten sind!

        • @Meersalz:

          Wenn ich mir die Art Ihrer Kommunikation, die Logik Ihrer Argumentation und Ihre Falschaussagen ansehe, kann ich mir das sehr gut vorstellen. Kleines Beispiel gefällig: Ich bin durch und durch ein Kemalist und ein Kurdenfreund. Nehmen Sie bitte mich und meinesgleichen in Zukunft aus Ihren unwahren Verallgemeinerungen heraus.

          • @einTürk:

            Stellen Sie sich vor: Ich bin Kurde und kein Kemalist! Sie müssen nicht die Logik/Ironie verstehen.

            Danke, sie haben mir die Nacht versüßt. Vielleicht entsteht ja bald eine liebe, nette Brief-Kommentarfreundschaft; so zwischen Kurdenfreund und Kurde.

            Ihr treuer Freund Meersalz.

      • @einTürk:

        genau, das sind die eigentlichen "guten" Kurden - die kemalistischen Kurden, die in der türkischen Armee dienen und nicht so vernarrt auf ihre kurdische Zugehörigkeit beharren - gewissermaßen die türkischen Kurden, besser: kurdischen Türken. Und dass die einzige, richtige politische Entscheidung der AKP, sich den Kurden vorsichtig anzunähern, gleich als verschwörungstheoretische Kolloboration von PKK und AKP gedeutet wird, entbehrt jedweder politischen Realität. Ohne ein Sympathisant oder auch nur ein Befürworter der PKK zu sein: Eine Integration der Kurden als Kurden in die türkische Republik wird nicht gelingen, ohne die PKK mit an den Tisch zu holen - egal, was man von ihr halten möchte. Dafür reicht ihr Einfluss zu weit. Aber sie muss, und das hat Deniz Yücel richtig dargestellt, sich neu erfinden.

        • @Eflatun:

          Bei den Protesten letztes Jahr gingen auch viele Kurden mit Türken demonstrieren. Die Grenzen sind da fließend. Viele Kurden begreifen sich erstmal als Türke und sagen dann vielleicht dass sie Kurden sind. Sicherlich gibt´s auch andere. Natürlich hat die Türkei als Staaat Fehler im Umgang mit den Kurden gemacht. Aber es ist Tatsache, dass viele Kurden mit der PKK nichts zu tun haben wollen. Da gibt´s Facebookseiten https://de-de.facebook.com/pages/Kurden-gegen-die-PKK-und-deren-Ziele/125058334267664 videos und Texte von Kurden die sich gegen die PKK aussprechen, die dann wohl wenig Lust haben mit Massenmördern wie Öcalan einen Staat zu gründen. Die "ach so demokratische" PKK unterdrückt teils ja ganze Dörfer und zwingt sie, sich ihnen unterzuordnen. Ein EX-Arbeitskollege von mir hat seinen kleinen Bruder bei einem PKK-Anschlag verloren. Mit Menschen die durch die RAF Angehörige verloren hat man ja auch Verständnis. Was mich immer nervt ist dieses Getue, alle Türken seien gegen Kurden. Das ist ein Schmarrn. Die PKK wurde letzten Endes für eine imperialistische Agenda instrumantalisiert. Oder woher kriegen die ihre Waffen seit 30 Jahren? Und schauen Sie sich doch Öcalan mal an. Und dann schauen Sie sich Leute an die teils ein Jahr im türkischen Knast waren (durch Erdogan verhaftet usw.). Der Öcalan wurde gehegt und gepflegt. Da muss man auch net gleich mit Verschwörung kommen. Es liegt doch nahe, dass er auch von der AKP eingespannt wurde (Nehmen und Geben). Ausbaden müssen es dann immer die normalen Menschen, egal ob Kurde, Türke usw. Aber da regt sich irgendwie niemand auf.

        • @Eflatun:

          Leider reicht der Platz hier nicht aus um auf jeden Punkt Ihrer Antwort Stellung zu nehmen. Wenn Sie aber Zeit und Lust haben, können wir gerne jeden einzelnen Punkt auseinanderfriemeln. Ich würde mich sehr freuen, wenn dieses sachlich geschehen könnte, auch in der Wahl der Sprache. Begriffe wie verschwörungstheoretische...oder entbehrt jedweder politischen Realität lassen den Diskussionspartner zu einem Diskussionsgegner werden, und das ist wie ich finde nicht produktiv.