Kolumne Behelfsetikett: Der ganze Kiez vibriert

Zur Fête de la Musique am Sommeranfangsmittwoch ist die Stadt so voll wie nie – aber auch so entspannt wie nie. Das hätte unser Autor gerne öfter

Auf der Cassiopeia-Bühne am Abend der Fête de la Musique hip-hopten „Goldroger“ Foto: Andreas Hergeth

Moment mal, der Boxi stand doch gar nicht auf der Liste der Veranstaltungsorte zur Fête de la Musique. Von dort kommt aber laute Gitarrenmusik und Gesang. Das Ganze entpuppt sich als Ein-Mann-Show mit großem Wahlkampfstand: Klaus Freudigmann will als Direktkandidat der Internationalistischen Liste MLPD in den nächsten Bundestag. Nun sammelt er Unterschriften für seine Wahlzulassung und greift dazu in die Seiten seiner E-Gitarre. „Musik machen mit Verstärker geht nur, weil heute Fête de la Musique ist“, erklärt eine Standbetreuerin.

Nix wie weiter und rauf aufs RAW-Gelände. Absperrgitter und Rucksackkontrolle. Ach so, es geht um Glasflaschen. Eine Handvoll Menschen sind zum Auftakt um 16 Uhr erschienen. Am Badehaus ist Neufundland die erste Band des Tages. Bei gleißendem Sonnenschein verpufft der Bühnennebel, aber die fünf Jungs aus Köln geben alles und spielen Pop, der Spaß macht. „Wir sind heute schon um vier Uhr aufgestanden, um nach Berlin zu fahren“, erzählt der Frontmann. Das gibt Beifall.

Eine Gehminute um die Ecke steht beim Cassiopeia die nächste Bühne. „Blond“ heißt die 3er-Combo aus Chemnitz, die coole Indiemukke spielt und die wenigen ZuhörerInnen nach vorne an die Bühne zu locken versucht, denn: „Hier ist der Schatten am schönsten.“ Zwei vielleicht 14-jährige Jungs tanzen gleich los. Babys werden die Ohren zugehalten. Ein Helikopter dreht über uns seine Runden. Ein Bier vom Fass (0,4 Liter) kostet 3 Euro, eine Laugenbrezel unverschämte 4,50 Euro. Ein Promo-Team verteilt Blättchen, Filter und Tabak. Ständig weht ein Dope-Lüftchen. Die Stimmung ist locker, irgendwie schön.

Die Tramlinie 10 kollabiert

Zeitsprung: Es ist 20 Uhr. Die Tramlinie 10 kollabiert. Die BVG ist auf so einen Massenansturm von Menschen nicht vorbereitet. Viele gehen zu Fuß. Viele sitzen auf den Rasenflächen am Frankfurter Tor oder vor Läden, die ihr eigenes Musikprogramm machen, und chillen.

Rund um das Badehaus und das Cassiopeia ist es jetzt proppevoll. Nun gibt’s HipHop auf die Ohren. Die Massen gehen mit. Die Schlangen am Tresen und vorm Klo nerven. Es riecht nach Bier und gegrillten Würstchen. Und Pisse. Je später der Abend, desto ungenierten erleichtern sich Herren jeden Alters in Gebüschen oder einfach auf dem Gehweg.

Was bleibt vom schönen Abend, ist die Erkenntnis: Selten ist die Stadt voller – und zugleich entspannter. Der ganze Kiez vibriert und kommt zusammen. Wenn das doch öfter so wär.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.