piwik no script img

Kolumne Ausgehen und RumstehenWhat happened to my Rock ’n’ Roll?

Bei der Ostkreuz-Party ist gut Kirschen essen, aber sonst leider nichts. Black Rebel Motorcycle Club langweilen und Roxette machen nostalgisch.

Hallo, Neunziger: Roxette in Concert. Foto: Michael Brake

V on Ostkreuz, der Agentur der Fotografen, weiß ich, dass ihr festerer Kern sich von Zeit zu Zeit versammelt, zum Essen, Trinken, Reden, und irgendwann im Laufe des Abends entstehen dann immer so märchenhafte Gruppenfotos, uninszeniert, wo alle irgendwas reden, schauen, machen, es wirkt so intensiv und menschlich wie ein Echo aus einer analogeren Welt. Entsprechend gespannt bin ich auf das Sommerfest zum 25. Ostkreuz-Geburtstag in Weißensee. Am Freitagabend rausche ich mit dem Rad über die Linden, die autofrei sind, weil gesperrt für den CSD-Vorboten „Dyke March“. Viele tausend Frauen laufen da Richtung Kottbusser Tor, auf einem Transparent steht „Die Lesben kommen“. Letzte Woche kamen ja noch die Toten nach Berlin. Nächstes Wochenende übrigens Helene Fischer.

Nun aber Ostkreuz. Es ist. Na ja. Der kleine Innenhof ist zugekleistert mit Tischen und der einzige Essensstand, betrieben von einem sehr freundlichen, aber auch sehr langsamen Couscous-mit-Merguez-Mann, ist um halb neun leergekauft. Die letzte lauwarme Wurst schenkt er mir, eine lange Schlange bleibt hungrig zurück, dann gehen auch schon die Reden los. Während die Namen der sieben Ostkreuz-Gründer verlesen werden, pflücke ich mir im zweiten Innenhof zuckersüße Kirschen direkt aus einem Baum, zum ersten Mal in meinem Leben. „Ich werde auch was trinken und essen jetzt“, beschließt der zweite Sprecher seine Rede. Ich denke: „Nee, essen wirst du hier sicher nix, höchstens Kirschen.“ Danach fahre ich auch schon weiter, ins Astra, wo Black Rebel Motorcycle Club spielen.

Da bringen die Fans vorn alles, was man von einem Rockkonzert erwartet: Moshpit, Devil Horns, Crowdsurfing. Andererseits wird schon beim dritten Lied im Takt mitgeklatscht – hey!, hey!, hey!, hey!, Hände überm Kopf. Haben die denn keinen Anstand? What the fuck happened to my Rock ‚n‘ Roll? Rauchen darf man auch nur draußen, und dort läuft allen Ernstes Neunziger-R&B, Blackstreet und Konzertsound vermengen sich, eine widerliche Mischung. Dennoch habe ich keine Lust, wieder reinzugehen. Warum nur? Finde ich BRMC vielleicht gar nicht so gut, wie ich immer dachte? Habe ich die jetzt wieder mit QOTSA (Kenner wissen, wer gemeint ist) verwechselt? Nur mal drei Stücke lang gibt es die Art Gitarrensoundgewitter, von denen ich viel mehr erhofft hatte. Der Rest ist öde.

Das wahre Konzerthighlight des Wochenendes ist ja aber auch erst am Samstag dran: Roxette in der O2 World. Genau, es gibt sie wieder. Und natürlich war auch ich Fan, damals, mit 11, in Oldenburg. Allein schon weil mein zweitbester und eine Klasse älterer Freund Gunnar auch Fan war, und Gunnar wusste Bescheid. Das mit der Instant-Nostalgie funktioniert aber nicht so recht auf einem Sitzplatz im stickigen Innenraum einer Multifunktionsarena, gemeinsam mit 10.000 Steuerfachgehilfen und Ikea-Verkäuferinnen. Da unten sind Roxette, verdammt noch mal, und es ist so steril, als würde ich fernsehen.

Noch bestürzender als das Bühnenbild (fünf Vorhänge aus Metall-Lamellen) ist dabei der körperliche Zustand von Marie: Beim Reinkommen muss sie gestützt werden, beim Konzert sitzt sie starr vorne auf der Bühne, wie ein schneeweißer Fremdkörper inmitten der schwarz gekleideten Band, ihr Gesang ist mitunter brüchig. Daneben strahlt Per eine Extraportion Optimismus aus, hüpft über die Bühne, macht alberne Ansagen.

Je länger das dauert, desto mehr spürt man aber, wie ehrlich und verdammt viel Lust er, die ganze Band, auch Marie natürlich, auf diese Tour und dieses Konzert haben, und etwa auf der Hälfte, bei „Fading Like a Flower“ schlägt die Stimmung um. Die Halle tobt, Menschen liegen sich in den Armen, das Stehplatzpublikum vor der Bühne spielt mit bunten Luftballons und jubelt, als der Gitarrenmann ein Pack-die-Badenhose-ein-Solo spielt.

Das Finale ist natürlich “The Look“ und auf einmal ist es doch ein wenig wie bei Gunnar im Dachschrägenkinderzimmer, wo wir runter zum Basketballspielen gegangen sind, während der Atari-Nadeldrucker eine halbe Stunde lang ein Bild von einem Totenkopf ausdruckte. Wie ein Echo aus einer analogeren Welt.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!