Kolumne Andropause: Es ist okay, eine Null zu sein
Nach all den leeren Jahren des Hedonismus will der Autor nun endlich irgendetwas Nützliches leisten. Körbe flechten zum Beispiel.
I ch glaube, die Zeit drängt langsam, da will ich doch noch einmal richtig das Steuer rumreißen. In der Midlife-Crisis wäre so ein U-Turn einfach gewesen: Die Frau für eine Jüngere verlassen, der wiederum ein Kind und sich selbst rundum zum Affen machen. Doch da mit der Midlife-Crisis zugleich auch die Pubertät endet, weckt die Andropause andere Wünsche: nach all den leeren Jahren des Hedonismus nun endlich irgendetwas Nützliches zu leisten.
Körbe flechten zum Beispiel. Man muss ja nicht immer gleich so groß denken und die Welt retten wollen. Walfangschiffe zu behindern, wäre eher schwierig. Die können ja nicht während der Aktion das Boot alle halbe Stunde zurück zum Greenpeace-Schiff fahren, nur damit ich dort aufs Klo kann. Aber so ein hübscher Korb, über den sich jemand freut, den man anfassen kann und was hineintun, wäre doch auch schon was.
Zbigniew, mein Urologe, tröstet mich, dass es Millionen Menschen gebe, die noch unnützer seien als ich. In einem Nützlichkeitsdiagramm wären die echt Engagierten oben auf der Skala, ich selbst wäre dann quasi bei null, und die Unterdrücker, Raffgierigen, Zerstörer und Betrüger, Mörder und ihre Handlanger wären halt fett im Minusbereich unterhalb der x-Achse. Und ich solle nicht verzweifeln: Eine Null zu sein, wäre da im Vergleich schon okay.
Aber liegt ein ausreichender Lebenszweck wirklich allein darin, nur relativ wenig Schaden anzurichten? Kann ich es mir bereits als Leistung anrechnen, den Regenwald immerhin nicht eigenhändig gerodet zu haben? Den Bettlern zwar nichts zu geben, aber sie wenigstens nicht auszurauben?
Endgültiger Befreiungsschlag
Ich will dann nämlich doch groß denken, so viel Zeit habe ich ja auch gar nicht mehr, und ich stelle mir vor, dass ich mich in einer Art endgültigem Befreiungsschlag plötzlich meganützlich mache. Zum Beispiel, indem ich mich im Winter inmitten einer Gruppe Obdachloser selbst verbrenne, nur damit sie es einmal ganz kurz warm haben.
Oder von einem Ausflugsdampfer fällt einer alleinerziehenden Mutter ihr Kind ins Meer, und ich hechte hinterher und reiche ihr das Baby gerade noch im letzten Moment zu, ehe ich entkräftet in den brodelnden Fluten versinke.
Nun fragt gewiss manche, „warum gibt der pathetische Jammerlappen nicht einfach Geflüchteten Deutschunterricht oder so?“. Aber das packe ich nicht. Denn je älter ich werde, desto mehr Angst vor Menschen habe ich. Deshalb gehe ich auch kaum noch raus. Und mit der Mutter und den Obdachlosen muss ich ja nicht reden.
„Na gut, dann sammel halt im Park Müll ein. Ganz allein, ohne dass es jemand sieht.“ Doch das ist mir irgendwie zu popelig. Ich war mein ganzes Leben lang nutzlos, da muss jetzt schon ein echter Kracher her. Oder gar nix.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid