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Kolumne Am GerätDie Schwedenbrille

Jonas mag keine Trainingslager. Sein Schwimmtrainer glaubt, dass man gerade dort Dinge lernt, die für das Leben wichtig sind. Zu den Spielen 2016 will er nicht.

Schwedenbrille: Die Kunststoffgläser sitzen ohne Gummidichtung in den Augenhöhlen Bild: dpa

M orgen soll es losgehen. Eine Woche Freizeit mit dem Sportverein. Doch glücklich ist Jonas nicht. Er hat zwar gesagt, dass er gerne mitfährt, er macht es aber eher aus Pflichtgefühl. Ein großer Spaß ist das nicht, wenn der Verein zum Trainingslager ruft. Drei Mal war Jonas schon dabei.

Das erste Mal lief es schon deswegen nicht so gut, weil er keine Badehose dabeihatte. Das war ihm peinlich, und er hat es irgendwie auch verstanden, dass der Trainer ihn jeden Tag um halb sechs geweckt hat und er weit vor dem Frühstück fünf große Runden um die Halle herum laufen musste. Drei Mal hat er diesmal nachgeprüft, ob er seine Badehose diesmal eingepackt hat.

Eine solche ist doch ziemlich wichtig, wenn man ins Trainingscamp des Schwimmvereins fährt. Jonas’ Eltern wissen, dass es ihrem Sohn nicht leicht fällt. Sie können auch den Trainer nicht wirklich leiden. Jonas wurde gerade acht, als der Coach ihm eine Geburtstagskarte mit der Zahl 2016 geschenkt hat. Das sind deine Spiele, hat er darunter geschrieben und am selben Tag die Eltern ins Gebet genommen. Er hat angeboten, den Eltern bei der Erziehung zu helfen.

taz
Andreas Rüttenauer

ist taz-Sportredakteur. Er berichtet während der Olympischen Spiele aus London.

Es komme nämlich nicht nur auf das Schwimmen an, es sei auch wichtig im Verein, andere Dinge zu lernen, die für das Leben wichtig sind. Jonas war dabei, als der Trainer sein Angebot gemacht hat. Er hat sofort verstanden, was der Trainer damit meint.

Karl musste weinen

Er erinnerte sich an eine Szene aus dem vergangenen Jahr. Da hatte Karl nicht ordentlich gegessen und seine Arme mit den Ellenbogen auf der Tischplatte abgestützt. Als der Trainer die Arme nahm und die Ellenbogen auf den Tisch geknallt hat, musste Karl weinen.

Das tat Karl leid. Immerhin hatte er jetzt einen Laufpartner, der in der Früh mit ihm gemeinsam die Strafrunden um die Halle drehen musste, der ihn trösten konnte, wenn er wieder einmal vor Anstrengung kotzen musste.

Jonas sitzt vor seiner Sporttasche und packt seine Schwedenbrille ein. Diese Schwimmbrille sollten sich alle Kinder für das Trainingslager kaufen. Dabei sitzen die Kunststoffgläser ohne Gummidichtung in den Augenhöhlen. Bevor man sie aufsetzen kann, muss man den Haltegummi selbst einfädeln.

Jonas beginnt zu zittern und fragt sich, wie viel Runden er wird laufen müssen, wenn er es nicht schafft, die verdammten Gummibänder korrekt zu befestigen. 2016. Gestern hat er die Übertragung aus London von den Olympischen Spielen gesehen und sich gefragt, ob er wirklich einmal ein Versager werden will. Er will nicht, dass das seine Spiele werden.

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Andreas Rüttenauer
Sport, dies und das
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2 Kommentare

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  • A
    anke

    Da hat Jonas wohl tatsächlich mehr gelernt als nur das Schwimmen. Mitgefühl zum Beispiel. In ein paar Jahren wird er vielleicht sogar kapiert haben, dass Dabeisein keineswegs alles ist. Auch dann nicht, wenn man kein Totalversager ist. Dann wird er womöglich nicht nur den Olympischen Spielen eine Absage erteilen, sondern auch dem Trainingslager. Samt Peergroup und Coach. Ein spezielles Talent ist nämlich nicht nur im Becken hilfreich. Auch das Lernen liegt längst nicht jedem.

  • E
    Eltern

    Wie können Eltern ihr Kind nur bei einem solchen Trainer lassen?

    Schwimmvereine gibts doch nun wirklich an jeder Ecke.

     

    Und wer von der Ellbogenaktion weiß und den Trainer nicht anzeigt, ist auch nicht ganz klar im Kopf.