Kolumne Air de Paris: Féminisme grotesque
Über die Modemarke Yves Saint Laurent und die von der Firma in Szene gesetzten dünnen, jungen Models gab es jede Menge Empörung. Zu Recht?
Vergangenen Dienstag im 6. Arrondissement. Es ist der letzte Tag der sogenannten Pariser Fashion Week, jener Woche, in der die Stadt, besonders die Gegenden um die Champs-Élysées und die quasi alljährlich zu einem Catwalk verkommene Rue de Bretagne, von Menschen, vor allem Frauen, überrannt werden, die vom Pariser Chic sicher mal gehört haben, ihn aber offensichtlich bewusst nicht praktizieren.
Von eleganter retenue, von so etwas wie chic naturel ist in diesen Tagen eher weniger zu sehen, die Heels sind zu hoch, die Augen zu geschminkt, die Labels zu offensichtlich ausgestellt, die Menschen sehen aus, als hätten sie sich als Modemagazin verkleidet. Mais bon.
Am Dienstagmorgen sollte dieser zweimal jährlich abgehaltene Zirkus endlich enden, doch dann, just in jenem Moment, in dem Karl Lagerfeld auf der anderen Seite der Seine für Chanel eine Rakete hochgehen ließ, überrannten an der Place Saint Sulpice zwei wild gewordene Feministinnen den Yves-Saint-Laurent -Laden und sorgten für einen kleinen Abschlussskandal.
Die eine, eine etwas rundliche Brünette, die aussah, als sei sie gerade aus ihrem Bett gestiegen, stand drinnen, hielt einen Ausdruck der letzten Kampagne gegen das Schaufenster, auf den sie in einem roten Banner „Sexiste“ geschrieben hatte, und schrie irgendetwas, das man von draußen nicht hören konnte.
Der Security-Mann im adretten schwarzen Slimane-Anzug, der drinnen mit ihr kämpfte, versuchte, sich vor das Bild zu stellen, es ihr wegzunehmen, sie irgendwie rauszuschieben, ohne sie dabei zu berühren, wirkte genervt und amüsiert zugleich. Es war ja auch einfach grotesk. Als er es endlich geschafft hatte, sie vor die Tür zu setzen, und den Eingang mit drei weiteren Kollegen zuhielt, schrie sie einfach draußen weiter, diesmal mit ihrer Freundin im Chor: „Wir Frauen verhungern! Wegen Kampagnen wie diesen werden junge Mädchen magersüchtig! Weil ihr Männer uns als Objekte seht! Eine Schweinerei!“
Vielleicht haben Sie von diesem Ausfall gehört. Es ging um die neue Kampagne der Marke Yves Saint Laurent, in der sehr dünne, junge Models in, so heißt es, degradierenden Posen zu sehen sind (mit gespreizten Beinen, über einen Stuhl gelehnt, den Po nach hinten gestreckt, solche Dinge). Mittlerweile musste Yves Saint Laurent die Kampagne sogar aus dem Verkehr ziehen. Ich möchte nicht unsolidarisch erscheinen, aber: Ist das nicht ein bisschen lächerlich? Hat es nicht etwas sehr Widersprüchliches an sich, zu behaupten, gewisse Posen würden zur Vergewaltigung animieren? Sollte eine Frau nicht posieren dürfen, wie immer es ihr gefällt, ohne sich Derartiges unterstellen lassen zu müssen? Und: Wäre es als Feministin nicht sehr angebracht, darauf zu vertrauen, dass Frauen intelligente Wesen sind, statt sie als vollkommene Idiotinnen hinzustellen?
Mode ist Artefakt, Überästhetisierung
Müsste man nicht darauf vertrauen, dass sie wissen, dass Mode, zumindest auf dem Niveau von YSL, mit dem „echten Leben“ wenig zu tun hat? Mode ist ein Artefakt, Mode ist eine Überästhetisierung, natürlich sieht da nichts dran natürlich aus. Soll es ja auch gar nicht. Und das ist auch gut so. Und dann, zuletzt: Könnte man endlich damit aufhören zu erzählen, junge Frauen würden magersüchtig, weil sie ein Plakat angeguckt haben? Die Magersucht ist eine schwerwiegende psychische Krankheit, ein Ausdruck des „mal être“ in unseren Gesellschaften, nicht etwas, das man sich beim Magazinblättern einfängt, das sollten auch Feministinnen dieser engstirnigen Sorte verstehen. Zumal sie wie eine neue, aus den USA importierte Spezies wirken. Wäre man in Frankreich schon immer von derartiger Prüderie befallen gewesen, wäre Paris niemals die Stadt der Mode, der Kunst, der Liebe geworden.
Surrealisten wie Hans Bellmer wären eingesperrt worden für ihre sadistischen Deformationen weiblicher Körper, großartige Modefotografen wie Guy Bourdin wären bei Vogue nicht einmal bis in die Eingangshalle gelangt, die meisten französischen Schriftsteller wären gelyncht worden. Vor allem aber wären französische Frauen nicht diese faszinierenden, selbstbewussten, freien Wesen, die sie sind. Das Leben wäre sicher immer sehr respektvoll und korrekt, nur wäre es auch unendlich farblos und langweilig und von jeglicher Erotik befreit. In diesem Sinne: Vive la mode! Vive Paris! Vive la liberté!
Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Paris
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