Kolumne Älter werden: Die kostbarsten Wochen des Jahres
Containerkinder, deutsche Rentner und Gymnasiallehrer können schrecklich sein - vor allem im Urlaub.
L iebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links. Jedes Jahr das gleiche Problem: Wohin mit uns im Urlaub? Denn genau wissen wir doch meistens nur, was wir nicht wollen: Auf maulende (deutsche) Rentner treffen etwa - Sie kennen ja sicher auch dieses ganz entzückend abschreckende Chanson der Musikkabarettisten Pigor & Eichhorn. Oder uns auf herzzerreißenden Treckingtouren in Norwegen oder Nepal mit besserwisserischen Gymnasiallehrern herumschlagen zu müssen. Nicht begegnen möchten wir auch Massen von lärmenden Containerkindern, weshalb wir auf Reisen die Ballermänner Rimini, Lloret de Mar und Berlin-Mitte schon seit zwei Jahrzehnten weiträumig umfahren.
Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn als Gitarrist der Rockgruppe Dreadful Desire im Jahre 1969.
Auch an Trümmerfeldern haben wir Älteren uns längst sattgesehen: in Korinth und Delphi, in Pompeji und in der Ostzone gleich nach der Wende. Eine (Foto-)Safari in Afrika ist uns moralisch und politisch suspekt. In Indien ist uns das Elend und das Religiöse zu monströs; und die Schlangen zu giftig (weshalb wir auch Australien meiden). Von Wellness werden wir krank. Und Aktivurlaub ist gar kein Urlaub (Sport kann Mord sein). Nicht in Frage kommen auch Länder, in denen die Bevölkerung auf Fahnen anderer Länder herumtrampelt, bei makaberen Wettrennen mit Särgen mit Gewehren herumballert, kleine Menschen per Gehirnwäsche zu lebenden Sprengfallen umfunktioniert und ab und zu tatsächlich oder auch nur vermeintlich untreu gewordene Ehefrauen steinigt.
Aber in völlig verschnarchte Regionen dieser Welt - wie etwa in den Hunsrück oder auf die Nördlichen Hebriden, nach Niederösterreich oder Dänemark - zieht es uns in den kostbarsten Wochen des Jahres nun auch wieder nicht; vielleicht später einmal zum Sterben; aber in der ostfriesischen Tiefebene gleich hinter Aurich etwa möchte man eigentlich noch nicht einmal seinen Hund begraben.
Es bleibt wenig für uns übrig. Inseln vielleicht. Korfu oder Korsika. Auch die Kanalinseln sind für uns mit unserer LEBENSART interessant: französische Küche gepaart mit britischem Lifestyle. Oder we take a trip down to L. A. - from coast to coast in einem Buick aus den 60ern und einer Ladung Kassetten von Neil Young und Bob Dylan im Handschuhfach. Auch Italien - außer Rimini - ist für uns (Germanen) seit der Völkerwanderungszeit immer eine Reise wert. Lichtland nannte es der junge Ostgotenkönig Totila (+ 552). Auch deshalb sind wir - meine Frau und ich - jetzt ins Piemont gefahren, zu einer restaurierten Klosteranlage in der Provinz Asti. Unser Appartement: 100 Quadratmeter Mittelalter, verteilt auf zwei Stockwerke, mit einer verwinkelten Küche im Hochparterre und einem Terrakottafußboden aus dem 15. Jahrhundert.
Keine maulenden Rentner weit und breit und auch keine Containerkinder; nur ein paar überaus freundliche - auch elegant gekleidete - italienische Feriengäste aus Mailand und Turin. An diesem ersten Abend lassen wir uns in einem Restaurant im nahen Provinzstädtchen Moncalvo Spaghetti mit weißem Trüffel (gehobelt) und Filetstreifen vom Wildschein in Barolo servieren. Spät in der Nacht genießen wir noch die Stille des Weltalls - und eine Flasche süffigen Barbaresco der hiesigen Winzergenossenschaft Sette Colli. Kein Auto lärmt. Und auch kein Flugzeug. Vom Balkon aus sehen wir die Lichter von Moncalvo. In unserem Weiler ist alles schon dunkel. Nur der Pool im Klosterhof glänzt im Mondlicht. Das Leben 50 plus links ist einfach zu schön!
Rein: nix (wg. Urlaub)
Raus: nix (wg. Urlaub)
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