piwik no script img

Kolumne Älter werdenBeißreflex beim Deutschlandfähnchen

Schwarz-Rot-Gold-Fieber bei der WM: Dräut jetzt das vierte Reich? Keine Panik – die deutsche Trikolore wehte schon 1948.

L iebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus (links). Sicher kennen sie alle die heute noch gültige Lehre der bedingten Reflexe bei Säuge- und Wirbeltieren, die der sowjetische Pathologen Iwan Petrowitsch Pawlow (1849-1936) auf der Grundlage von Versuchen mit Hunden entwickelt hat.

Zeigt man etwa einem deutschen Linken aus der Gewichtsklasse der abstrakten Konsequenzenmacher (Friedrich Hecker) wiederholt schwarz-rot-goldene Fähnchen, läuft ihm – ähnlich wie bei den pawlowschen Versuchshunden – der Sabber bald regelmäßig aus dem Mundwinkel und ein Beißreflex stellt sich ein.

Die Probanden stürzen sich dann selbst noch auf ein rachitisch etwas von Love krächzendes kleines Mädchen mit dem Vornamen Lena, das sich zuvor in schwarz-rot-goldenes Bonbonpapier hat einwickeln lassen. Und auf blutjunge Partyboys and -girls mit schwarz-rot-goldenen Girlanden um ihre speckigen Hüften, die aktuell überall im Lande die multikulturelle deutsche Fußballnationalmannschaft ganz zu Recht euphorisch feiern.

Parallel dazu warnen ihre Schriftgelehrten in Leidartikeln vor einem Vierten Reich, das da bald kommen werde, vor einer nationalen Besoffenheit, die in Deutschland immer im Faschismus ende, und vor einem neuen Patriotismus, der Auschwitz vergessen machen solle.

Das aber ist alles wirre Panikmache auf der Basis von Quatsch pur. Hey Leute, es geht um Fußball! Selbst die starken Jungs von meiner Autowaschstraße - alle mit (türkischem) Migrationshintergrund - haben ihre Anlage deutsch beflaggt; und Özil und Schweini sind ihre Helden.

Bild: privat

K.-P. Klingelschmitt 1970

Und seit dem schmachvollen Abgang der Equipe Tricolore aus Südafrika sieht man in der Lorraine und im Elsass immer mehr Autos mit Deutschlandfähnchen, weil sich viele Franzosen jetzt für "Le Nationalmannschaft" ihrer Nachbarn begeistern.

Wir machen das mit den Fähnchen also weiter - bis zum Finale. Und die selbstgerechten alarmistischen deutschen Palästinenserschalfetischisten mit Affinitäten zu den Holocaustleugnern aus den Reihen etwa der iranischen Mullahs, die selbst kleinen Kindern - alttestamentarisch grob mit Schuldzuweisungen bis ins x-te Glied - ihre Deutschlandfähnchen verbieten wollen, stehen im Abseits. Hat nicht der Hass der stalinistischen deutschen Linken (KPD) auf die erste schwarz-rot-goldene (Weimarer) Republik, der durchaus dem der Nazis glich, deren Untergang mit forciert?

Wer von uns, liebe Freundinnen und Freunde, die wir wissen, dass Schwarz, Rot und Gold nie die Farben des Faschismus oder auch nur des militaristischen zweiten deutschen Kaiserreichs waren, sondern die der Lützower Jäger in den Befreiungskriegen 1813/14, möchte so penetrant geschichtsbewusstlos und lernresistent wie diese komischen Linken alt werden? Ich nicht.

Übrigens: Die deutsche Trikolore wehte in der Märzrevolution 1848 auf den Barrikaden von Dresden und Berlin; und dann auf der Paulskirche zu Frankfurt am Main, in der das erste, frei gewählte Parlament tagte. Darauf dürfen wir sogar ein bisschen stolz sein. Pulver ist schwarz, / Feuer ist rot, / Golden flackert die Flamme (Freiligrath).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • L
    lalelu

    lieber autor klingelschmidt

    ["Warm sollte man als Linker auf die revolutionäre Tradition der deutschen Trikolore nicht auch ein "bisschen stolz" sein dürfen?"]

     

    dürfen darf man natürlich schon - überhaupt sollte sich niemand aufgrund von links-rechts-lagerdenken selbst mehr verbieten als anderen.

    bei allem stolz nur bitte nicht vergessen: die "revolutionäre tradition" 1848/49 war auch von anti-emanzipatorischen ideen und chauvinistischer großmannssucht geprägt. die bourgoisie war gewichtiger, wenn nicht der tonangebende teil dieser bewegung, denen ging es jedoch eher um machtverschiebung denn befreiung (nämlich machtgewinn für die bourgeoisie bzw ersetzung der monarchie durch kapitalismus).

     

    insbesondere antisemitismus war sehr stark verbreitet und historisch ist 1848 (nicht nur, aber eben auch) ein entscheidender schritt in richtung arier-gewichse, kolonialismus, rassentheorie, 1.&2. weltkrieg, ns-zeit, holocaust usw.

     

    warum man schwarzrotgold nun toll finden sollte, scheint mir mehr eine frage des wollens denn dürfens. zumal 'stolz', der sich auf fremdleistungen bezieht, irgendwie was verqueres anhaftet (oder sind sie schon soviel 50+?)

     

    dennoch dürfen selbst 'dt. linke' meinetwegen 'stolz' auf kleopatras attraktivität oder hawaiische tanztraditionen oder eben schwarzrotgoldene revoluzzer sein. wer's denn braucht...

  • G
    gaijinette

    Hm... gerade entdeckt, daß es für Artikel und Kommentarseite jeweils zwei Adressen gab... gültig sind noch drei, zwei Debattenseiten und eine Artikelseite (hier mal die alte, auf der ich geschrieben hatte (zensiert; mein ein kleinwenig 'bissigerer' Kommentar ist aber noch auf meiner Website zu finden):

    Vielleicht sollte man dem Autor das letzte Wort lassen. Hat er aber ja sowieso, zumindest die Redaktion.

     

    (Nebenvorbemerkung: Da im Grenzgebiet wohnend, bin ich überrascht: Wieso sagen Sie 'Lorraine', wenn Sie 'Elsaß' sagen? Wäre dann 'Lothringen' und 'Alsace' auch richtig? Das mag spitzfindig klingen, aber ich verstehe es wirklich nicht. Außerdem: Da sehr viele Deutsche aus Steuergründen im benachbarten Frankreich wohnen, kann man nicht von Autos mit französischem Kennzeichen, an denen Deutschlandfähnchen wehen, auf Franzosen schließen...)

     

     

    Vorbemerkung: Ich bin ein (meinetwegen etwas 'spätes') Mädchen -- ich darf beißen!

     

     

    Man könnte den einzelnen in seinem (patriotischen, nationalen) Wahn vielleicht verteidigen. Patriotismus und / oder Nationalismus predigen aber, gar zu Nationalstolz aufrufen... ist unverantwortlich. Die von Ihnen lehrmeisterhaft geforderte Differenzierungsleistung (das Deutschland vor Hitler, Hitler-Deutschland, Nach-Hitler-Deutschland) dürfte von dem, was wieder Masse wird, wohl kaum zu erwarten sein.

     

    Daß mir ausgerechnet in der taz Verachtung entgegenschlägt, weil ich Patriotismus und Nationalismus und übrigens auch alle Formen von Stolz (auch wenn ich von selbstbezogenem Stolz nicht immer völlig frei bin) ablehne, ist eine grenzwertige Erfahrung.

     

    Wenn einzelne sich freuen über sportliche Erfolge einer Gruppe, mit der sie sich identifizieren, ist das scheinbar kein Grund zur Sorge oder Anlaß für Kritik. Freude ist doch etwas Schönes. Auch Fanclubs sind ja vielleicht etwas Nettes, wenn man nicht gerade versehentlich im gegnerischen Club gelandet ist und dabei erwischt wird, 'den Falschen' zu applaudieren.

     

    Aber die Verklärung des neuen deutschen Nationalismus als Fanclub ist... unjournalistisch.

     

    Was jetzt noch fehlt ist eine Umdeutung des Wortes 'Ewiggestrige' -- derart, daß etwa die Ewiggestrigen ab sofort die seien, die das Nationale verdammen... oh, ich wollte nicht vorsagen...

     

    Es ist nicht die Freude des einzelnen, um die es geht; es ist:

     

    # die (nationalistische) Masse, in der der einzelne erneut aufzugehen droht (bzw. 'aufzugehen hat')

    # die schleichende, unterhalb der Wahrnehmungsschwellen der Bürger dieses und anderer Staaten) sich vollziehende -- richtiger: durchgeführte) Re-Nationalisierung

    # die Steuerung (versus Entwicklung) hin zu Patriotismus / Nationalismus / Nationalstolz

    # die Instrumentalisierung von Freude zu nationalistischen Zwecken

    # der Mißbrauch von Minderheiten, gerade auch Migranten (wie schon geschehen in der unsäglichen nationalistischen hitlerstämmigen Kampagne (die taz hatte berichtet) 'Du bist Deuschland'), als 'schlagendes' Argument für eine Re-Nationalisierung

    # die Ächtung nichtnationaler, nichtpatriotischer Mitbürger, wie zunehmend auch in der taz zu beobachten (soso, wer sich nicht von K.-P. Klingelschmitts Farbenlehre belehren / beeindrucken läßt, ist ignorant...)

     

    Hey, das hier zu Lesende (und weit Unsäglicheres) habe ich schon von Gehirnwäsche-Experten des Nazi-BND gehört, muß das jetzt auch in der taz stehen?

     

    Außerdem finde ich es infam, wenn diejenigen, die sich gegen den zunehmenden Druck zum Nationalismus wehren, der eben gerade durch neugöbbels'sche Anwendung der Lehren von Pavlow und Skinner erzeugt wird, als konditioniert diffamiert werden -- es ist gerade die Wehr gegen solche Art Manipulation, die uns (ich sage mal: uns) umtreibt.

     

     

    --[url=""http://saarlenzer.de/taz/"" target="_blank">gaijinette,

    links-freiheitlich-anarchische Ignorantin,

    noch ohne Maulkorb (Beißen kann auch Notwehr sein...)

  • K
    Klingelschmitt

    Lieber Otto.

     

    Was ist das eigentlich für eine Realität, in der Sie und andere leben? Dass sich Menschen hier in Deutschland den "Anschluss" des Elasass und der Lorraine wünschen würden, wie Sie suggerieren, ist mir jedenfalls nicht bekannt (und ich bin Korrespondent dieser Zeitung auch für das an beide Departements angenzende Saarland und Rheinland-Pfalz).

     

    Die "türkischstämmigen Jungs" von der Waschstrasse - das kann ich Ihnen versichern - betreiben den Laden kollektiv in Eigenregie. Und beim "Baba" an der Kasse hängt extra noch ein gigantisches Plakat von Özil. Gehen Sie am Sonnabend doch einmal auf eine Fanmeile! Sie werden sich wundern, wie viele junge Menschen mit Migrationshintergrund(in Ihren Augen sicher alles irregeleitete) Deutschlandtrikos tragen und/oder begeistert Deutschlandfähnchen schwingen.

     

    Und ein letztes Wort: Warm sollte man als Linker auf die revolutionäre Tradition der deutschen Trikolore nicht auch ein "bisschen stolz" sein dürfen? Weil sich beim Wörtchen "stolz" bei Ihnen und und all den anderen linken Ignoranten auch schon wieder gleich der "Beissrelex" regt!?

    Ist mir egal. Echt.

     

    Liebe Grüße von Ihrem Autor Klingelschmitt

  • HF
    Helmut Frosch

    @Otto Chili

    Ihr Beißreflex funktioniert hervorragend.

     

    @Klaus-Peter Klingelschmit

    Bitte, es war die KPD in der Weimarer Republik, nicht die DKP.

    Übrigens hassten die Nazis Schwarz-Rot-Gold mindestens so sehr wie die stalinistische KPD.

     

    Mir scheint, die "Antideutschen" gleichen doch sehr ihren Hass-Gegnern: voller Vorurteile, blinder Hass auf den Gegner, simplistisches Geschichtsbild. Als ich 1989 das erste Mal "Deutschland verrecke!" auf einer Mauer las, wurde mir speiübel bei dem Gedanken, wie hier alte Nazi-Ideologie verbreitet wird. Dass die Parole "X verrecke!" an sich schon an Unmenschlichkeit nicht zu überbieten ist - egal wer nun gerade X ist - geht diesen Leuten nicht in den Kopf.

  • MB
    Martin Brauzeit

    Die 1968 gegründete DKP hat die Weimarer Republik (1918-1933) bekämpft? Was für ein entsetzlicher Dummfug!

     

    Auch ansonsten eine Tirade, die weder lustig noch lehrreich ist. Sagt einer, der deutlich unter 50 ist.

  • OC
    Otto Chili

    " Selbst die starken Jungs von meiner Autowaschstraße - alle mit (türkischem) Migrationshintergrund - haben ihre Anlage deutsch beflaggt"

     

    -War das nich wohl eher der Chef?

     

     

    "Und seit dem schmachvollen Abgang der Equipe Tricolore aus Südafrika sieht man in der Lorraine und im Elsass immer mehr Autos mit Deutschlandfähnchen, weil sich viele Franzosen jetzt für "Le Nationalmannschaft" ihrer Nachbarn begeistern."

     

    -Da wünscht sich der geneigte Deutsche doch glatt die alten Zeiten zurueck.

     

     

    "Darauf dürfen wir sogar ein bisschen stolz sein."

    -ach echt? Weil "wir" das erreicht haben oder wie? Und wer ist ueberhaupt "wir"?

     

     

     

    Ich glaube, der Autor hat das Grundproblem des Patriotismus nicht ganz verstanden. Warum sollten wir uns aufgrund von Nationalitaeten und abgesteckten Grenzen unterscheiden? Warum gibt es ein "Wir"-Gefuehl aufgrund von Sachen, die auf dem Personalausweis stehen?

     

     

    So etwas gehoert nicht in die taz.