Kolumne Älter werden: Die Suche nach dem Geheimnis
Veröffentlichungsfreiheit statt Journalismus? Wir von My Generation schwingen tapfer weiter das Recherchefähnlein und lassen uns von Wikileaks nicht einlullen.
W ikiLeaks (SchnellLecks)! Was für ein bescheuerter Name, liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus (undogmatisch) links. Doch selbst in dieser feinen kleinen etc. Plus-…-Zeitung, die sich seit ihrer Gründung vor über 30 Jahren der genauen Einhaltung journalistischer Grundsätze verpflichtet fühlt, wurden dieses verräterische Internetportal und sein von der Staatsanwaltschaft in Schweden - und ganz sicher nicht im Auftrag der Justizbehörden in den USA - der Vergewaltigung in zwei Fällen angeklagte Boss Julian Assange noch vor Silvester in Kommentaren und Traktaten mit rhetorischen Brillantfeuerwerken ordentlich (ab-)gefeiert.
Und jeder (Ab-)Schuss war ein Treffer mitten hinein ins Herz einer Branche, die - jenseits von Blöd und Co. - lange tapfer das Fähnlein der Recherche, der Investigation gar und der Überprüfung aller in den Redaktionen eingehenden Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt hoch hielt.
Jetzt aber hieß es plötzlich: Veröffentlichungsfreiheit statt Journalismus. Doch geheime und andere, auch denunzierende Dokumente ungeprüft ins Netz zu stellen, hat mit Freiheit so wenig zu tun wie Exhibitionismus auf einem Kinderspielplatz. Vielleicht sind diese Dokumente ja alle gefälscht? Oder wenigstens einige. Aber welche? WikiLeaks schert sich darum nicht. WikLeaks liefert einfach. Mit fatalen Folgen. Echt! Eine Knallcharge im Büro von Westerwelle musste seinen Schreibtisch räumen, weil er den Amis gesteckt hatte, dass sein Chef ein von Ehrgeiz zerfressener Dilettant ist. Wow! Und? War da sonst noch was an (Aus-)Wirkungen? Nein. Danke!
Gerade hat WikiLeaks geheime Papiere veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass Israel Trouble mit den Hamasbrüdern hat. Jo! Alles, was es dazu zu sagen gibt, stand am letzten Dienstag schon in verboten. Bleibt der militärische Komplex. Also die Amis. Dass WikiLeaks eigentlich nur dem alten Affen Antiamerikanismus Zucker gibt, ist auch dem Kabarettisten Dieter Nuhr jüngst aufgefallen. Gerne nämlich würde der bei WikiLeaks einmal geheime Dokumente etwa über das Atombombenprogramm des Iran einsehen wollen. Oder lesen, an was der Irre in Nordkorea gerade so herumbastelt. Aber: Fehlanzeige! Sicher alles zu sicher in den beiden Super-High-Tech-Gottesstaaten. Da kommt selbst Assange nicht ran - an die Wachstafeln.
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT ist taz-Korrespondent für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland.
Dafür denkt der WikiLeaks-Boss (schwere Kindheit) über die Einleitung juristischer Schritte gegen den Guardian nach, weil es das britische Blatt wagte, aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gegen ihn zu zitieren. Lustig! Ist das nicht genau die Methode WikiLeaks/Assange? Nein. Der Guardian veröffentlichte die Textstellen erst nach der Prüfung ihrer Echtheit. Und was machen wir von My Generation jetzt? Als so weider, wie der Hesse sagt. Schließlich haben wir WikiLeaks 50 bis 60 Jahre lang nicht gebraucht. Warum sollten wir ausgerechnet jetzt noch da reinfallen!?
Exkurs: Schmeißt die Ungarn aus der EU.
Epilog: Diese Kolumne wurde Ihnen präsentiert von Artrosa Kreuzfahrten, der Seniorenreederei ihres Vertrauens.
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