Kolonialismus-Aufarbeitung in Bremen: „Greueltaten der Neger“
Der Historiker Horst Rössler hat das Staatsarchiv nach Spuren von direkten Verstrickungen hanseatischer Kaufleute in den Sklavenhandel durchsucht.
Warum war die Verordnung dann nötig, könnte man sich fragen. 1841 kam es vor dem Bremer Kriminalgericht zu einem Verfahren – angeklagt waren der Bremer Kapitän Ratje Siedenburg und der Bremer Reeder Friedrich Leo Quentell. Nach zwölf Monate langen Verhandlungen wurden sie freigesprochen. Sie hatten einen renommierten Fürsprecher: Anwalt und Senator Johann Carl Friedrich Gildemeister begründete die Unschuld der Angeklagten.
In Hamburg gab es ein ähnliches Verfahren in derselben Zeit mit demselben Ergebnis. Das wirft die Frage auf, ob das bremische Strafgesetz nicht vor allem den Sinn hatte, der britischen Seemacht, die den Sklavenhandel unterbinden wollte, Loyalität zu signalisieren – mit dem schönen Nebeneffekt, dass bremische Beschuldigte in Bremen selbst vor Gericht kommen. Denn das Schiff des Reeders Quentell war von englischen Kriegsschiffen vor Afrika aufgebracht worden.
Der Bremer Historiker Horst Rössler hat für das Bremische Jahrbuch die Akten des Staatsarchivs durchforstet und nach Hinweisen auf bremische Beteiligungen am Sklavenhandel gesucht. Nach seiner Darstellung war der Verdacht gegen den Kaufmann Quentell ganz und gar nicht unbegründet.
Weil Großbritannien den Sklavenhandel unterbinden wollte und gleichzeitig mit seiner Flotte im 18. Jahrhundert die Weltmeere beherrschte, gab es aber genügend Gründe, über das Thema nicht offen zu sprechen. Rössler hat dennoch verschiedene Hinweise darauf zusammengetragen, dass auch die bremische Kaufmannschaft genau wusste, was gespielt wird, nicht nur wenn sie mit den Produkten der Sklavenplantagen als Kolonialwaren handelte.
In Bremen sind diverse renommierte Kaufmannsfamilien, die mit dem Sklavenhandel direkt oder indirekt zu tun hatten, in Straßennamen verewigt, so die Familien Fritze, Gildemeister und Wilkens, Büsing, Duckwitz oder Overbeck. Der nur zugereiste Kaufmann Quentell erhielt keine Straße, aber sein Porträt hängt in der Bremer Kunsthalle.
In Liverpool, einem Zentrum des Sklavenhandels, war die Bewegung der „Anti-Abolitionisten“, also der Bewegung gegen die Abschaffung der Sklaverei, besonders stark. Einer ihrer Köpfe war der Bremer Kaufmann Hinrich Wilkens. Er hatte 1778 die britische Staatsbürgerschaft erworben und war Mitglied der Handelskammer.
1793 veröffentlichte er eine anonyme Streitschrift mit den verbreiteten Argumenten für die Sklavenwirtschaft – insbesondere mit dem Argument, dass die „Neger“ in Westindien ein glücklicheres Leben hätten als in Afrika selbst. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist pikant – hatte doch zwei Jahre vorher in der französischen Kolonie Saint Domingue ein Sklavenaufstand begonnen. Die Sklaven dort hatten die Parolen der Französischen Revolution ernst genommen, die die Sklaverei verurteilte. Am Ende des Aufstandes stand 1804 die Gründung des unabhängigen Staates Haiti.
Der Bruder des Liverpooler Autors, Jacob Friedrich Wilkens, war Kaufmann in Saint Domingue – er verließ 1797 die unsichere Insel. Er sei „von sanftem Charakter, musste viel leiden, da die Unruhen auch dorten ausbrachen und er Augenzeuge der Greueltaten war, die die Neger gegen die Weißen ausübten“, notierte Familienmitglied Martin Wilkens in Bremen. Er ging nach Jamaika und legte dort eine Kaffeeplantage an – mit 60 Sklaven.
Der Bremer Kaufmann Dietrich Hermann Wätjen hatte es in Havanna bis zum Konsul gebracht. Auch andere Bremer Familien waren als Kaufleute in Westindien engagiert, etwa Richard Fritze. Auf der Todesanzeige seiner Frau Dorotea Duckwitz de Fritze ist die gesamte lokale Sklavenökonomie verewigt: Geschäftsleute und Plantagenbesitzer, die die Kolonialwaren billig herstellten und daher für die Bremer Handelspartner waren, zu denen man auch familiäre Bande knüpfte. Fricke war zeitweilig selbst Besitzer einer Zuckerplantage und damit direkt verantwortlich für die Sklavenwirtschaft.
Und das Schiff „Julius & Eduard“, das vor dem westafrikanischen Cabinda, heute Angola, als potenzielles Sklavenhandelsschiff von den Briten aufgebracht worden war? Der Segler des Reeders Quentell sollte Eisenwaren, Schießpulver und Glasperlen ins Zentrum des afrikanischen Sklavenhandels Cabinda bringen. Die Ladung sollte gegen „Elfenbein“ getauscht werden. Die „Julius & Eduard“ sollte zudem mit „Ballast“ nach Buenos Aires segeln. „Elfenbein“ und „Ballast“ waren geläufige Tarnwörter für Sklaven. Diese wurden gewöhnlich kurz vor den Zielhäfen an Land gebracht, um eine peinliche Kontrolle im Hafen zu vermeiden. Als Indiz für die Zulieferfunktion im Sklavenhandel hatte das britische Militär auch die Wasservorräte auf dem Schiff angeführt, die den Bedarf der Mannschaft weit überstiegen.
Den Auftrag für die Fahrt nach Cabinda hatte der Kaufmann Charles Tyng gegeben, der den britischen Behörden als Sklavenverschiffer bekannt war. Tyng hatte übrigens auch den Hamburger Segler „Echo“ an die westafrikanische Küste geschickt, ähnlich beladen wie die Bremer „Julius & Eduard“. Empfänger der Waren sollte der bekannte Sklavenhändler Theodore Canot sein. Der Verdacht des Sklavenhandels gegen die „Echo“ wurde von einem Gericht in Sierra Leone als bestätigt angesehen, während der Hamburger Segler „Louise“, unter ähnlichen Anschuldigungen von der britischen Marine gestoppt, von einem Hamburger Gericht 1842 freigesprochen wurde.
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