Kohle auf dem Klimagipfel: Das Phantom von Paris
Auf der Klimakonferenz fehlen die großen Kohlefirmen. Die Dreckindustrie hat nur ihre Strategie geändert.
Peking, vergangenen Freitag, im Ausgehviertel Sanlitun: Wang Zhen hält seinen Zeigefinger in die Luft. „Windstille“, sagt der 54-jährige Straßenhändler, der auf einer Fußgängerbrücke geröstete Sonnenblumenkerne verkauft. „Jetzt droht Peking wieder dichter Smog.“ Wang behält recht: Nicht einmal eine halbe Stunde später umhüllen gelbe Nebelschleier Pekings Hochhäuser. Mitten am Tag wird es dunkel, es riecht nach Schwefel und verbrannter Kohle. Der Hals schmerzt, die Augen fangen an zu brennen. Die Sonne ist nur noch in Facetten zu erkennen. Auf den speziellen Handy-Apps, die die Luftqualität der Stadt anzeigen, schnellen die Kurven für Feinstaub in die Höhe, auf das mehr als 25-fache des laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch erträglichen Wertes.
Der Smog in Peking ist nur Symptom eines globalen Problems: Kohle. Anfang der Woche schworen sich am anderen Ende der Welt, in Paris beim großen Klimagipfel (COP 21), über 160 Staatschefs mehr oder weniger auf Klimaschutz ein. Im Nordostchina versank eine Region der Größe Frankreichs und Deutschlands zusammen unter einer Glocke aus toxischer Luft.
In Paris ist allen klar: Der Klimawandel kann nur gemäßigt werden, wenn die Menschheit ihre Sucht nach Kohle, Öl und Gas ablegt. Und Kohle steht im globalen Therapieplan ganz oben. Die Kraft- und Stahlwerke, in denen sie verbrannt wird, steuern 44 Prozent des weltweiten Ausstoßes an Kohlendioxid bei.
In der Klimapolitik ist es deshalb en vogue, Kohle zu verteufeln. Nicht nur bei Umweltschützern, auch bei mächtigen Präsidenten und einstigen Verbündeten, den Öl- und Gaskonzernen. Nirgends sonst lässt sich das so gut beobachten wie auf dem Weltklimagipfel in Paris. Dort riecht es nicht nach Kohle, sondern nach: Fisch.
Mittwoch, Paris, Le Bourget
Ein milder, windiger Tag. Wer die fossile Industrie in Paris finden will, muss gut zu Fuß sein und den Geruch von frittiertem Fisch ertragen. Die Kohlelobbyisten haben sich ganz hinten im riesigen Zelt „Climate Generations“ versteckt, auf gerade mal 25 Quadratmetern. Erst, wer die Pandabären des Umweltverbands WWF und die Reggaemusik des „Solar Sound Systems“ hinter sich lässt, steht vor dem Messestand von „CO2GeoNet“.
Eine Wissenschaftlerin redet eindringlich auf einen Jugendlichen ein, der sich erschöpft am Tisch niedergelassen hat. „Die Menschheit muss sich entscheiden. Und sie muss es JETZT tun“, steht auf einem Poster. Das soll meinen: Kohle ist gut für die Welt, weil sie Entwicklungsländern hilft, billigen Strom für die Armen zu produzieren. Und Kohle kann man auch sauber machen. Das ist die Strategie. So will sich die Kohleindustrie retten.
Zehn Minuten Fußweg und zwei Sicherheitsschleusen weiter kann sich die Menschheit gerade wieder einmal nicht entscheiden. 10.000 Delegierte aus 195 Staaten reden über komplizierte Dinge wie Klimapläne, Finanzhebel, Überwachungsmechanismen. Die Konferenz soll endlich einen weltweiten Klimavertrag bringen. Und sie soll ein „Signal an die Investoren“ für ein Auslaufen der fossilen Brennstoffe setzen, wie es die Klimachefin der UN, Christiana Figueres, sagt. Hier soll es der Kohle an den Kragen gehen.
Zumindest auf der Konferenz ist dieses Ziel schon erreicht. Die Kohle ist das Phantom von Paris. Sie ist zwar überall: In den Gesprächen auf den Korridoren. In den Statistiken. Bei den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Gleichzeitig ist sie nirgends: Es gibt keine großen Stände der Kohle-Lobby. Es gibt von ihr keine offiziellen „Side Events“, wo sonst im Stundentakt Staaten und Interessengruppen ihr Angebot zur Weltrettung zwischen Happening und Häppchen präsentieren.
Was sich als Beitrag zum Kampf gegen die Erderwärmung verkaufen lässt, hat auch ökonomische Gründe. Kohle ist zum Investorenschreck geworden. In den USA ist Erdgas extrem billig geworden, weil viel zu viel mittels Fracking gefördert wird. Die Börsenwerte der Kohle-Konzerne sind um 90 Prozent abgestürzt. Seit auch die Bank of England vor diesen Investments warnt, suchen Geldgeber andere Anlagen. Das ist auch in Deutschland zu spüren: Der deutsche Braunkohle-Riese RWE hat diese Woche seine Aufspaltung verkündet – das Kohlegeschäft wird ausgegliedert.
Längst ist auch die Phalanx der Energiekonzerne aufgebrochen, wie man an Philip Ringrose sehen kann. „Ja, früher waren die Kohleleute noch da“, sagt er und klappt neben dem Kohlestand seine Stelltafel zusammen. „Jetzt nicht mehr“. Der Norweger mit den rosigen Wangen und dem roten Schnäuzer grinst, während er mit seiner Tafel kämpft, die sich immer wieder entfaltet. Ringrose arbeitet für den norwegischen Öl- und Gaskonzern Statoil. Solche Konzerne sehen mittlerweile eine Chance im Niedergang der Kohle. Gleich zweimal versammelten sich in diesem Sommer die Chefs von Energiekonzernen wie Shell, BP, Total und Statoil, um ein „bedeutungsvolles Abkommen“ zum Klimaschutz zu fordern.
Sie setzen sich sogar für eine weltweite Steuer auf CO2 ein, eine der Kernforderungen von Klimaschützern. US-Konzerne wie ExxonMobil und Chevron schließen sich dem zwar nicht an, sie wünschen der Konferenz offiziell alles Gute, setzen aber auf ein Scheitern der Klimaverhandlungen. Für den Rest der Öl- und Gasindustrie würde eine CO2-Steuer schlicht ein Wettbewerbsvorteil gegenüber der Kohle bedeuten. Ihr Erzählung: Ersetzt Kohle durch Gas, weil Gas effizienter und damit klimafreundlich ist.
Der Norweger Ringrose ist optimistisch. Immerhin wirbt seine Firma in Deutschland mit riesigen Anzeigen, in denen sich das Gas aus der Nordsee als idealer Partner der Energiewende andient. Und er sagt: „Nächste Woche kommt unser Vorstandschef Eldaer Saetre nach Paris. Der wird auch sagen: Nehmt Gas. Vergesst die Kohle.“
Allerdings ist das nur die halbe Geschichte: Global gesehen gibt es eine Art grünes Paradox. Weil die Kohle vor allem in den USA gegen das Gas verliert, sinkt die Nachfrage. Damit fällt der Preis. Die Folge: Länder wie China, Indien, Vietnam, Indonesien, Südafrika oder die Philippinen finden diese Art der sicheren und billigen Stromversorgung extrem attraktiv. Weltweit sind laut „Global Coal Plant Tracker“ 1.466 Kohlekraftwerke im Bau. Für diese Staaten heißt die Rechnung: Kohle oder Armut. Für die Klimaschützer dagegen heißt es: Kohle oder Klima. Beides geht nicht.
Neu-Delhi, Mittwochnachmittag
Umweltminister Prakash Javadekar muss sich im Oberhaus des Parlaments, der Rajya Sabha, den Fragen stellen.
Ob die Luftverschmutzung in Neu-Delhi zu Depressionen führe? „Das Ministerium hat keine wissenschaftlichen Daten oder Informationen, die den Schluss zulassen, dass die faule Luft in Delhi Menschen in den Selbstmord treibt“, sagte Umweltminister Javadekar.
Vergangene Woche erreichte die Feinstaubbelastung in Delhi Werte, die zehn Mal so hoch waren als die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Grenzwerte.
Nach einer Studie, die an der Universität von Ohio an Mäusen durchgeführt wurde, zeigten die Tiere, die langfristig starker Luftverschmutzung ausgesetzt waren, Anzeichen von Depression und Angst: „Die Resultate legen nahe, dass ein anhaltender Kontakt mit verschmutzter Luft negative Auswirkungen auf das Gehirn haben kann.“
Nach Angaben des indischen Umweltministers sind Autoverkehr, Industrie und intensive Bautätigkeit für die schlechte Luft in Delhi verantwortlich. Und damit auch: die Kohle. Man könnte dies Entwicklung nennen.
Entwicklung, das ist der Trumpf, den die Kohleindustrie noch hat. Ein paar depressive Mäuse in einem Labor stören da nicht weiter. Ungebrochenen Fortschrittswillen strahlt auch der indische Pavillon in Paris aus: Tablets überall, ein stilisierter Baum hält das Dach, hüfthohe Bildschirmtische zeigen Bilder vom indischen Klimaprogramm. Hostessen in Saris helfen bei Fragen gern weiter. Am Eingang bildet ein künstlicher Wasserfall die Schlagworte der COP 21 spektakulär aus beleuchteten Wassertropfen: „Climate“ steht dann da, oder „Action“. Derzeit aber ruht das Spektakel: Das Wasser hat das Becken beschädigt.
Mit der indischen Climate Action ist das so eine Sache. Auf der Klimakonferenz hat Premierminister Modi eine „Solarrevolution“ angekündigt. Doch für die Entwicklung der heimischen Wirtschaft bleibt die Kohle erste Wahl. Zwar findet man sie nicht mehr auf den Ausstellungsflächen und bei den Sponsoren in Paris, aber hinter den Wänden der Delegationsbüros. Hier stehen Manager der staatlichen und halbstaatlichen Energiekonzerne auf der Delegationsliste: In Indien, aber auch in Südafrika oder Kanada, gelten die Angestellten der Kohleindustrie als Experten.
Es scheint, als könnte der Kampf gegen die Kohle nicht gewonnen werden, wenn sich der Gegner in Paris versteckt und in großen Teilen der Welt als unersetzlich gilt. War’s das? Bleibt es dabei: Klima und Kohle, das geht nicht zusammen?
„Geht doch“, sagt Marco Baroni. Der Experte der Internationalen Energie-Agentur IEA trägt einen eleganten, grauen Anzug. Ab und zu übertönen ihn scheppernde Ansagen in der Zelthalle. Baroni zuckt nur kurz zusammen, ehe er weiterdoziert. „In Südostasien werden Dutzende von Kohlekraftwerken gebaut“, sagt er. Dazu kommen Hunderte geplante Kraftwerke in China und Indien. „Das ist nicht zu verhindern, wenn die Leute Strom bekommen sollen, selbst wenn sie so viele Erneuerbare bauen wie möglich. Der Bedarf ist einfach zu groß.“
Damit kommt eine weitere Rettungsstrategie der Kohleindustrie zum Vorschein: Die Speicherung von CO2 in der Erde, unschädlich gemacht für den Menschen und das Klima. Der Zaubertrick, der das CO2 verschwinden lässt, heißt CCS. Kohle will nicht nur unersetzlich für die Schwellenländer sein. Verkauft wird ein Versprechen: Uns gibt es auch sauber.
CCS, das ist auf der Klimakonferenz ein beliebtes Thema auf Podien und in Diskussionsrunden. Einer, der auf diesen Podien sitzt, ist Mike Marsh. Ein junger Mann mit Hornbrille und kurzem, schwarzen Haar, das an den Spitzen grau wird. Er hat gelernt, zu überzeugen, und das muss er auch. Er ist Manager beim kanadischen Stromkonzern SaskPower, der in der Provinz Sasketchewan seit einem Jahr das Kohlekraftwerk „Boundary Dam“ betreibt: Das einzige Kohlekraftwerk der Welt, das mit CCS ausgestattet wurde. Das heißt, es ist sauber.
Kaum CO2 kommt noch aus dem Schornstein, weil eine angeschlossene Chemiefabrik es auffängt. Von den 1,5 Milliarden US-Dollar für die Renovierung des Kraftwerks hat der CCS-Teil über 900 Millionen verschlungen. „Wir hatten keine Wahl“, sagt Marsh, „es hieß: sauber werden oder das Kraftwerk dichtmachen.“ Marsh bestätigt damit den Verdacht: CCS ist für ihn die Rettung für die Kohle.
Doch das Beispiel aus Kanada taugt nicht als Vorbild. Philipp Ringrose vom Öl- und Gaskonzern Statoil rechnet vor: „Bei denen müsste die Tonne CO2 100 Dollar kosten, damit kostet es derzeit 8,50 Euro eine Tonne CO2 auszustoßen.
Damit setzt die Welt ihr Schicksal auf eine Technik, die technisch nur als subventionierter Pilotversuch funktioniert, die zusätzliche Energie braucht und teuer ist. Baroni von der IEA hofft deshalb auf China: „Die Kosten sinken durch Entwicklung und China wird dabei eine Hauptrolle spielen.“ Bislang ist davon allerdings noch nichts zu sehen.
Die Erzählung von der sauberen Kohle, sie verfängt auch in Europa. Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo machte bei ihrem Statement am ersten Konferenztag deutlich, dass sie sich immer noch als erste Bergbauarbeiterin der heimischen Kohleindustrie sieht. Sie warnte vor „unnötiger Bewegung“ beim Klimagipfel. Polen sei stolz darauf, seit „Jahren das System der Verhandlungen zu formen.“ Für Klimaschützer klang das wie eine Drohung.
Warschau, sechs Tage vor Beginn der Klimakonferenz
Andrzej Duda, Polens neuer rechtsnationaler Präsident, legt sein Veto gegen ein Gesetz ein, mit dem Polen das Kyoto-Protokoll und die weitere Absenkung des Kohlendioxidausstoßes bis 2020 verlängert hätte.
Derweil wird in Krakau immer öfter „SOS-Smog-Alarm“ ausgerufen. Mit den winterlichen Temperaturen hat die Heizperiode begonnen. Noch immer heizt ein großer Teil der Krakauer mit Kohle, Koks, Holz und billigem Kohlegranulat. Viele stecken alles in den Ofen, was irgendwie brennt: Haushaltsabfälle, Lumpen, alte Möbel, leere Plastikflaschen. Viele nehmen das Keuchen und Husten, die Asthmaanfälle bei immer mehr Kindern, als unabänderlich hin. Doch immer mehr Krakauer kämpfen in Bürgerinitiativen wie Krakauer Smogalarm oder Luft für Krakau für besseres Atmen.
Zurück in Paris. Die Verhandlungen laufen auf Hochtouren weiter, aber sie laufen oft im Leerlauf. Dem Abkommen sind schon lange die meisten Zähne gezogen worden. Was immer aus Paris herauskommt, wird nicht direkt für die Kohle bindend sein. Auch nach Paris wird geredet, und die Lobby der dreckigen Energie schafft Fakten. 1.446 Kohlekraftwerke sind weltweit im Bau. Nach Paris wird sich daran erst einmal nichts ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten