Kölns Philharmonie als Problemzone: Ein Konzertsaaldach zum Skaten

Bei der Kölner Philharmonie ist das Dach zugleich Boden eines Stadtplatzes. Seit 25 Jahren muss er bei Musik mehrmals täglich gesperrt werden.

Illustration: Eine sich verjüngende Treppe führt auf einen Quader

Illustration: Jeong Hwa Min

KÖLN taz | Es ist ein feiner Platz geworden. Architektonisch erlesen und mit freiem Blick auf den Rhein: Mit roten Klinkern ist der Boden des Kölner Heinrich-Böll-Platzes zwischen Dom, Hohenzollernbrücke, Museum Ludwig und Philharmonie bestückt. Inzwischen ein bisschen lose und stolperig, aber macht nichts. Wichtig ist doch, den 1986 eingeweihten Platz als Gesamtkunstwerk des israelischen Land-Art-Künstlers Dani Karavan zu begreifen.

„Ma’alot“ heißt sein „Environment“, zentrales Element: ein 10,80 Meter hoher begehbarer Treppenturm aus Eisen, Granit und Backstein, die Baumaterialien der umliegenden Gebäude aufgreifend.

„Ma’alot“ beziehungsweise „Schir ha Ma'alot“ bedeutet auf Hebräisch „Aufstiegsgesang“ und bezieht sich auf die Bibel­psalmen 120–134. „Ma’alot“ heißt aber auch „Stufen“ und evoziert die christliche Vergangenheit des Ortes: Der mittelalterliche „Königsweg“ für prominente Gäste führte hier vom Rhein herauf zur längst abgerissenen Kirche Maria ad gradus (Maria zu den Stufen) und weiter zum Dom.

Auch zeithistorische Bezüge sind hineingewoben: Der Turm, ein etwas unheimlicher Monolith, erinnert an KZ-Wachtürme, die in den Boden eingelassen Bahnschienen an Deportationszüge. Und obwohl der Künstler nichts Konkretes hineingedeutet haben wollte, gilt „Ma’alot“ manchen als Holocaust-Mahnmal.

Die Besonderheit

Ein eigentlich geniales architektonisches Konzept, das Oben und Unten verschränkt. Das aber in einem wichtigen Detail scheitert und so das Gesamtkunstwerk beeinträchtigt, zu dem ein allzeit begehbarer Platz gehört.

Die Zielgruppe

Jedweder Passant, also Museumsbesucher, Pendler, Reisende, Touristen. Vor allem: Leute mit Humor und mildem Verständnis für den Hang der Kölner zu unvoll­endeten Baustellen.

Hindernisse auf dem Weg

Wenn man vom Bahnhof kommt: die Massen. Wenn man auf die Brücke will: die Massen. Wenn man vom Rhein hochkraxelt: die steilen Treppen, dafür weniger Massen.

Dass die in den Boden eingelassene Scheibe vor dem nahen Museumscafé die Materialien des Turms wiederholt, bemerkt man erst auf den zweiten Blick. Und dann kommt das genial Gedachte: Die Scheibe ist der Deckel der darunter liegenden, halb unterirdisch in den Hang gebauten Philharmonie. Einer einstigen römischen Kolonie (auf Italienisch heißt Köln noch immer Colonia) würdig, ist der 1986 eröffnete Saal als Amphitheater konzipiert, das Dach auf schwingenden Trägern montiert.

Wunderbarer Trainingsplatz

Die übertragen brav jedes Geräusch von außen. Zum Beispiel Schuhabsätze, Rollkoffer und natürlich – die Szene hatte es sofort entdeckt – Rollerskates und Skateboards. Welch wunderbarer Trainingsplatz, majestätisch hoch überm Fluss! Ein Platz nicht nur für Kulturelite, sondern ein Ort für alle, wie schön!

Der Platz war so kommunikativ, dass Passanten, Touristen, Skater qua Geräusch direkt Kontakt aufnehmen konnten mit den Leuten im Saal. Und da das Zentrum des Bodenkreises genau über dem Podium angebracht wurde, trampelte man dem Dirigenten direkt auf dem Kopf herum und den Musikern und dem Publikum auf den Ohren. Das Dach ist nämlich nicht gedämmt, sondern besteht aus einfachen Ziegeln.

Dabei hatten die Architekten alle anderen Lärmquellen durchaus sorgsam abgeschirmt: Züge, Schiffe, Autoverkehr – die üblichen Problemlagen von Konzertsälen, die zentral und doch schalldicht sein sollen. Auch Hamburgs Elbphilharmonie wurde gegen Schiffshupen des Hafens abgeschirmt – mit „Federpaketen“ im Tragwerk, die zugleich wiederum Hotel und Wohnungen im Gebäude vor Konzertklängen schützen sollen.

Doch während Hamburg die Besucher des Platzes – der „Plaza“ – durch den Verkauf abgezählter Tickets regulieren konnte, verfiel Köln, konfrontiert mit einem öffentlichen Platz, auf eine andere Idee: Statt das Dach nachträglich zu dämmen, sperrt man den Platz seit 1999 – was in den 13 Jahren davor geschah, ist nicht überliefert – regelmäßig ab.

Will sagen: Immer, wenn Probe, Konzert oder WDR-­Aufnahme ist – also drei- bis viermal täglich – fordern Wachleute die Passanten auf, den Platz nicht zu betreten, sondern in schmalen Randkorridoren drum herum zu laufen. Zusätzlich hat die Touristenmetropole Köln deutschsprachige Schilder mit entsprechenden Anweisungen aufgestellt.

Wachen als Stadtführer

All das kostet: Für 2024 sind über 300.000 Euro für die Bewachung eingeplant, die dann ihr 25-jähriges „Jubiläum“ feiert. Da hätte man die Schallschutzkosten vermutlich längst heraus.

Aber die Stadt will nicht, und wie der Kölner nun mal ist, redet er sich die Sache schön: Die Wachen hätten sich zu „einer Art Stadtführer im Kleinen entwickelt“, beteuert eine Sprecherin.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Außerdem dürfe man das Dach nicht sanieren, da das ein Eingriff ins Gesamtkunstwerk sei. Da der Künstler über diesen Debatten 2021 verstarb, kann man ihn nun nicht mehr fragen.

Überhaupt scheint das Verhältnis der Stadt Köln zu Philharmonie-Dächern angespannt: 2004 etwa ließ sie für Bauarbeiten das Vordach des Haupteingangs abmontieren. Dann lagerte man es so unsachgemäß, dass es verschrottet werden musste – aber für ein neues wollte die Stadt nicht zahlen. Finanziert haben das 2020(!) eingesetzte neue Vordach Spender und Sponsoren. Da steht jetzt, erstmals seit der Eröffnung 1986, „Kölner Philharmonie“ drauf.

Transparenzhinweis: Wir haben die Höhenangabe des Mahnmals „Ma’alot“ auf 10,80 Meter korrigiert. Die Redaktion.

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