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Kochen in Napoléons ZeitenErotik über Kulinarik

Die neue Apple TV+-Serie „Carême“ entführt ins kulinarische Frankreich – und macht genussvolles Essen zu einer feministischen Angelegenheit.

Benjamin Voisin und Lyna Khoudri in „Carême“ Foto: Apple TV+

Ob sie den Unterschied zwischen Sahne mit Haushaltszucker und Sahne mit Puderzucker schmecken, fragt der französische Koch Marie-Antoine Carême (César-Preisträger Benjamin Voisin) Frauen, die er begehrt. Das Vermögen, den Unterschied zu schmecken, weist für ihn auf ein ähnlich sinnliches Essverhalten hin und schwebt wie ein gutes Omen über der voranschreitenden Liebe. Dieses Kriterium Carêmes verdeutlicht vielleicht am klarsten das Zusammenspiel, das die gleichnamige Apple-TV+-Serie durchzieht: Kulinarik und Erotik.

Der Koch Carême hat wirklich existiert: Als 16. Kind in einem Armutsviertel von Paris geboren, wurde er mit 15 Jahren der Lehrling des berühmten Konditors Sylvain Bailly und eröffnete 1803seine eigene Konditorei in Paris. Er beglückte unter anderem den französischen Außenminister Talleyrand, in der Serie eine zentrale Rolle einnehmend, mit seinen Köstlichkeiten und richtete 1810 zudem das Bankett für die Hochzeit von Napoléon mit Marie-Louise von Österreich aus.

Auch der britische König George IV. und Kaiser Franz I. von Österreich ließen sich von ihm kulinarisch verführen. Die Serie nutzt diese historischen Zusammenhänge, bettet Carême in Machtkämpfe zwischen rivalisierende politische Kräfte ein und ist dabei inspiriert von Ian Kellys Biografie „Cooking for Kings: The Life of Antonin Carême, The First Celebrity Chef“ über den französischen Koch.

Seit Lasse Hallströms „Chocolat“ (2000) wurden Desserts nicht mehr so sinnlich inszeniert wie in dieser von Martin Bourboulon realisierten Serie. Üppig werden Buttercremes auf Torte verstrichen, verschwenderisch Kakao in Sahne eingerührt – das Zuschauen ist ein Fest, die Kameraführung ein Genuss. Nach den Produktionen „À la Carte!“ (2021) und „Geliebte Köchin“ (2023) reiht sich „Carême“ als Serie in französische Historienfilme ein, die Kochen aus anderen Jahrhunderten thematisieren.

Buttriger Blätterteig

Wenn dann in „Carême“ die völlig fehlende Reue bei dem Genuss von fetthaltigen Glasuren, hauchzartem, buttrigem Blätterteig und Cremes so leicht und fluffig, dass man fürchtet, sie könnten zusammenfallen, die moderne Zuschauerschaft möglicherweise erstaunt, vielleicht sogar irritiert – dann fühlt man sich ertappt von der Selbstverständlichkeit, mit der heutzutage Kalorien innerlich vermerkt, Kohlenhydrate gemieden, Genuss eingeschränkt wird.

Dann fühlt man sich vielleicht auch erinnert an Theresa Präauers unvergleichlichen Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“, weil manchmal eine Nostalgie bezüglich alter Kochpraxen ohne all das wichtige, vernünftige, manchmal aber eben auch anstrengende undgenussfeindliche Wissen um Nahrungsmittel aufkommt; vielleicht auch an die Erzählerin in Ingeborg Bachmanns „Malina“, die sich in ein Kochen mit Sahne und Zucker, ganz ohne Gesundheitsdruck, zurückwünscht.

Die Vermutung liegt nahe, dass ein entscheidender Anteil der Irritation auf dem weiblichen Genuss all dieser hochkalorischen Köstlichkeiten basieren könnte. Die Frauen in „Carême“ sind die wirklich ­genussfähigen Figuren. In einer Film- und Medienwelt des kontrollierten weiblichen Essens macht diese Perspektive „Carême“ zu noch mehr als einer fürstlichen, satten Hommage an die Kunst des Kochens und das Geschenk des Essens.

„Carême“, ab 30. April auf Apple TV+

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