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Koalitionsvertrag von CDU und SPDDas schwarz-rote Handbuch

Bauen, Soziales, Integration: Das Programm für die kommenden drei Jahre enthält viele Absichtserklärungen, aber wenig konkrete Maßnahmen.

Stefan Evers, Franziska Giffey und Kai Wegner bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages Foto: dpa

Bauen als Hoffnung

Obwohl bauen, bauen, bauen das Leitmotiv ist, stellt sich die Koalition aus CDU und SPD direkt auf das Scheitern ihrer Ziele ein. Statt 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr sollen demnach „bis zu“ 20.000 Wohnungen entstehen, davon „bis zu“ 5.000 Sozialwohnungen. Wörtlich heißt es: „Angesichts der aktuellen schwierigen und krisenhaften Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft wird dieses Ziel in der verbleibenden Legislaturperiode nicht sofort erreichbar sein.“ Die neue Stadtentwicklungssenatorin der SPD wird die nächsten Jahre wohl stets niedrigere Zahlen präsentieren als die bisherige rot-grün-rote Koalition.

Um nicht vollends hinter den Erwartungen zu bleiben, soll der Wohnungsbau beschleunigt werden, durch ein Schneller-Bauen-Gesetz, das Investoren von allzu lästigen Auflagen, etwa beim Denkmalschutz oder Natur- und Artenschutz entbindet. Eine neue Bauordnung soll Widerspruchsverfahren verkürzen oder auch verhindern, Bebauungspläne durch „Genehmigungsfiktionen“ ersetzt werden, Investoren mit mehr Förderungen und weniger Sozialstandards gelockt werden.

Neben dem Ziel der Teil-Bebauung des Tempelhofer Feldes wurde zudem eine „strategische Ankaufspolitik“ vereinbart, um die Bestände der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften „perspektivisch auf 500.000 Wohnungen zu erhöhen“.

Die Vergesellschaftung als Mittel ist dagegen für diese Koalition ausgeschlossen. Sollte die Enteignungskommission bei ihrem Abschlussbericht, der in wenigen Wochen vorliegen soll, zu einem positiven Ergebnis kommen, will man zwar ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ verabschieden, das einen Rechtsrahmen für Enteignungen beschreibt, dieses soll aber erst zwei Jahre nach seiner Verkündigung inkraft treten. Mit der konkreten Forderung des Volksentscheids wird sich die Koalition damit in den nächsten drei Jahren nicht befassen.

In Sachen Mieterschutz ist von Schwarz-Rot nichts zu erwarten: Die Kontrolle der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften durch die Wohnraumversorgung Berlin wird aufgeweicht, Mietenstopp und Kündigungsmoratorium wohl nicht verlängert. Das Ziel eines Mietenkatasters wird an ein Bundesvorhaben gekoppelt und damit in ferne Zukunft verschoben. Die Einrichtung einer Prüfstelle zur Einhaltung der Mietpreisbremse ist nichts als eine Absichtserklärung.

Sozialpolitik bleibt unkonkret

Im Bereich Soziales hat der Koalitionsvertrag viel Prosa, aber wenig Konkretes zu bieten. So lesen sich die nicht einmal vier Seiten zum Thema wie eine Auflistung jeder Menge guter, aber unverbindlicher Absichten: So soll die Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt gestärkt werden – wie, wird nicht gesagt. Ebenso wenig erschließt sich, woher die ganzen Wohnungen und Häuser kommen sollen, in denen Mehrgenerationenwohnprojekte entstehen oder Familien aus Flüchtlingsheimen einziehen sollen.

Ressortverteilung

Regierender Die CDU stellt den Regierenden Bürgermeister, ihm werden Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung sowie Europa zugeordnet.

CDU Folgende fünf Ressorts werden schwarz: Finanzen; Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt; Bildung, Jugend und Familie; Kultur, Zusammenhalt, Engagement- und Demokratieförderung; Justiz und Verbraucherschutz.

SPD Die Sozialdemokraten besetzen diese fünf Ressorts: Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen; Inneres und Sport; Integration, Arbeit, Soziales, Vielfalt und Antidiskriminierung; Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung; Wirtschaft, Energie und Betriebe.

Verteilung Außerdem sollen beide Parteien ein*e Bür­ger­meis­te­r*in stellen. Die CDU hatte bei der Abgeordnetenhauswahl im Februar als Sieger mit gut 28 Prozent etwa zehn Punkte Vorsprung vor der SPD.

Personen Wer die neuen Se­na­to­r*in­nen werden, ist noch offen. Die Namen würden erst nach Zustimmung beider Parteien zum Koalitionsvertrag vorgestellt. Berlins Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey lässt noch offen, welchen Posten sie im schwarz-roten Senat übernehmen will.

Auch beim digitalen „Chancenpass“, den alle Berliner Kinder erhalten sollen, ist unklar, welche Angebote dieser genau enthalten soll, „um einen unbürokratischen Zugang zu Bildung und sozialer Teilhabe für Kinder aus einkommensschwachen Familien sicherzustellen“. Auch der geplante „Tag gegen Einsamkeit“ ist weniger eine politische Strategie als vielmehr kostenlose Symbolpolitik.

Konkreter wird es da schon im Bereich Obdachlosenhilfe. Zwar wird an keiner Stelle erwähnt, wie das Ziel erreicht werden soll, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden. Dass das 2018 unter Rot-Rot-Grün eingeführte Prinzip „Housing First“, also die bedingungslose Vergabe von Wohnungen an Wohnungslose, fortgeführt werden soll, wird angesichts der niedrigen Unterbringungszahlen alleine nicht ausreichen.

Dafür werden jedoch durchaus einige konkrete Verbesserungen in Aussicht gestellt: So sollen zusätzliche Obdachlosen-Treffs eingerichtet und die Anzahl der Plätze in 24/7-Einrichtungen erhöht werden. Auch soll in Notunterkünften ein Kontingent an Einzelfahrscheinen für den öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung gestellt werden. Das könnte insbesondere die hohe Anzahl von Obdachlosen verringern, die wegen Schwarzfahrens eine Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis absitzen. Zudem soll es mehr mobile Hygieneangebote, mobile Sozialarbeit und zusätzliche suchtmittelakzeptierende Angebote geben. Genaue Zielzahlen fehlen allerdings auch hier.

Das ist auch bei der in Zeiten hoher Energiepreise immer wichtiger werdenden Vermeidung von Energiearmut der Fall. So sollen zwar bei sozialen Härtefällen Strom- und Gassperren verringert und möglichst ganz vermieden werden. Wie hoch die finanzielle Unterstützung dafür aussehen soll, steht jedoch in den Sternen.

Strafvollzug: Mehr Haftkontrollen

Wie die meisten Kapitel im Koalitionsvertrag sind auch die Vorhaben im Bereich Justiz in Unterpunkte aufgegliedert. Die Passage zum Strafvollzug beginnt mit einer Absichtserklärung, die sicher viele unterschreiben könnten: „Wir werden den Strafvollzug in Berlin sicher und modern ausgestalten (…). Unser Ziel ist die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität zu steigern und die Resozialisierung der Straftäterinnen und Straftäter zu stärken.“

Aber dann kommt es: „Zum Auffinden gefährlicher und unerlaubter Gegenstände werden wir anlassbezogene Haftkontrollen verstärken und Sanktionen von Regelverstößen schärfen. Wir stellen uns dem Kampf gegen Drogen im Strafvollzug.“ Aber das ist nicht alles: „Die Koalition prüft den Einsatz von Handyblockern im Strafvollzug.“ Gemeint ist damit die Installation von Störsendern, um zu verhindern, dass mit eingeschmuggelten Handys aus dem Knast telefoniert werden kann.

2022 wurden in den acht Berliner Gefängnissen 930 Mobiltelefone beschlagnahmt, 2021 waren es 1.154. „Ein Rückfall in das Programm von vor 30 Jahren“, kommentiert Olaf Heischel, Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, am Montag das Vorhaben zur Verstärkung der Haftkontrollen.

Der Vollzugsbeirat ist ein unabhängiges Gremium, das für „Menschlichkeit, Vernunft und Recht“ in Gefängnissen einsteht. Heischel hat sich schon vor Jahren für die Legalisierung von Handys in den Knästen ausgesprochen. Alles andere sei realitätsfremd.

Bekenntnis zu Vielfalt

Der große Backlash findet in anderen Bereichen statt. CDU und SPD bekennen sich laut Vertrag zu einer „Stadt der Vielfalt“. Bleiben und fortentwickelt werden soll das Antidiskriminierungsgesetz – stets ein rotes Tuch für die CDU. Neu ist die Einrichtung von Queer-Beauftragten „für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ auf Landes- und Bezirksebene. Darüber hinaus hat man sich einen Runden Tisch und eine Strategie zum Thema vorgenommen und plant eine Studie zu Transfeindlichkeit. Für Betroffene von queer- und transfeindlicher Gewalt sollen Schutzwohnungen entstehen. Geeinigt hat man sich auch auf den Ausbau der Frauenhäuser, von denen zwei weitere entstehen sollen.

In den Blick genommen wird auch der Bereich der Islamfeindlichkeit. Der 15. März, Jahrestag des Terroranschlags auf Moscheen in Christchurch, soll als Internationaler Tag gegen Islamfeindlichkeit „öffentlich thematisiert und gewürdigt“ werden. Für Polizei und Staatsanwaltschaft soll ein Leitfaden hinsichtlich Islamfeindlichkeit erarbeitet, die Landesantidiskriminierungsstelle als Anlaufstelle erweitert werden.

Geflüchtete könnten zukünftig einen Wohnberechtigungsschein erhalten, unabhängig von der Dauer des Aufenthaltsstatus. Insgesamt bleibt bei der Flüchtlingspolitik alles beim Alten, ob Familiennachzug, Winterabschiebestopp, oder Bleibemöglichkeiten für Geduldete.

Kampf dem Unterrichtsausfall

Mit einer zukünftigen schwarz-roten Landesregierung soll Berlins säkularer Sonderweg enden. Religionsunterricht soll als Wahlpflichtfach eingeführt werden. Im Volksentscheid „Pro Reli“ 2009 hatten sich die Ber­li­ne­r*in­nen gegen eine solche Änderung entschieden. Religionsunterricht, ob katholisch oder evangelisch, war damit bisher freiwillig. Weiterhin soll zwar Ethik verpflichtendes Fach bleiben, aber die Schü­le­r*in­nen sollen von nun an ab Klasse 7 zwischen Religion und Lebenskunde wählen. Dafür bräuchte es allerdings entsprechendes Personal.

An Lehrkräften mangelt es nämlich schon jetzt. 1.000 Polizeibeamte will sich die Koalition leisten. Aber bei den Leh­re­r*in­nen drücken sie sich um eine konkrete Zahl. „Wir streben eine Personalausstattung an, die Unterrichtsausfall vermeidet“, steht im Koalitionsvertrag. Dafür sollen Lehrkräfte vereinfacht quer einsteigen und ausländische Abschlüsse schneller anerkannt werden. Die Koalition will außerdem Schulen in freier Trägerschaft stärker fördern.

Vieles bleibt in der Bildung mit einer schwarz-roten Koalition aber auch wie gehabt, gebührenfreie Bildung bleibt erhalten. Das heißt: Kindertagesstätten und Horts sowie ÖPNV Tickets sind weiter kostenfrei zugänglich. Grund­schü­le­r*in­nen steht ein warmes Essen zu. Mit dem Kita-Chancenjahr sollen Sprachdefizite vor Schulbeginn beglichen werden. Eine ähnliche Initiative existiert bereits. Viel größer ist das Problem, dass dieses – eigentlich verpflichtende Angebot – nicht genutzt wird. Einen Ansatz, wie dies in Zukunft besser angenommen werden könnte, liefert der Koalitionsvertrag nicht.

Eine Ausbildung soll deutlich attraktiver werden. Dafür will die Koalition bis Ende April 2025 „gemeinsam mit der Wirtschaft“ 2.000 betriebliche Ausbildungsplätze schaffen. Gelingt dies nicht, soll eine Ausbildungsumlage eingeführt werden, eine solidarische Querfinanzierung, die ausbildende Unternehmen stützt. Um insbesondere den Fachkräftemangel im Handwerk zu bekämpfen, soll die Fortbildung zum Meister kostenfrei werden. Wie auch das Schulgeld für werdende Sozialassistent*innen.

Für die Studierenden bleibt fast alles gleich. Gegen den Wohnungsmangel wolle man für Studierende und Auszubildende gezielt bauen.

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1 Kommentar

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  • Die Kritik ist also, dass die Bauordnung Berlin mit all ihren Nebengeräuschen entrümpelt werden soll. Das, was RRG eigentlich auch wollte und verkompliziert hat.

    Toller Kommentar :-)