Koalitionskrise in Österreich: Die sieben Gebote des Sebastian Kurz
Der Außenminister will nur dann den Vorsitz der ÖVP übernehmen, wenn er dafür mit umfassenden Vollmachten ausgestattet wird.
Die sieben Gebote umfassen die alleinige Entscheidungshoheit bei der Ernennung von Kandidaten für die Bundesliste des Nationalrats sowie Generalsekretär und Regierungsteam der Partei. Für die Listen der Länder beansprucht er ein Vetorecht.
Der männerdominierten Partei dürfte auch das Reißverschlusssystem zur Sicherstellung der Geschlechterparität nicht behagen. Bei allfälligen Regierungsverhandlungen will Kurz allein den Kurs vorgeben. Zu den voraussichtlich nach dem Sommer anstehenden vorgezogenen Nationalratswahlen will der 30-jährige Senkrechtstarter mit einer eigenen Liste antreten, die von der ÖVP unterstützt werden soll. Zu sehr fürchtet er, vom vorgestrigen Stallgeruch der Christlichsozialen beschädigt zu werden.
Um ihre Demütigung komplett zu machen, müssen die altgedienten Funktionäre diese Neuerungen auch noch ins Parteistatut schreiben. All das ist nicht Verhandlungsmasse, über die man reden und von der man das Eine oder Andere entschärfen oder entsorgen kann. Für Kurz ist das Gesamtpaket conditio sine qua non.
Segen der Landeshauptleute
Die ÖVP ist eine Partei, die traditionell von starken Länderorganisationen dominiert wird. Ohne den Segen der Landeshauptleute geht gar nichts. Sie besteht aus sechs Bünden, unter denen der Wirtschaftsbund, der Bauernbund und der Arbeiter- und Angestelltenbund die stärksten sind. Ihnen und nicht der Partei gehören auch die Mitglieder an. Bei der Regierungsbildung hat jeder Parteichef darauf zu achten, dass jeder der Bünde sich im Kabinett ausreichend vertreten sieht und dass die Länderinteressen gewahrt bleiben.
An dieser Hypothek sind schon einige gescheitert. Kein Wunder, dass Kurz den Laden nur übernehmen will, wenn diese Strukturen aufgebrochen werden. Er kommt aus der Jungen ÖVP, einem der bisher am wenigsten gewichtigen Bünde, und von der Wiener Landespartei, die zu den bedrohten Arten gehört. Im urbanen Raum tut sich die traditionell-katholische Partei schwer.
Sebastian Kurz hat es als Außenminister verstanden, sich zu profilieren, ohne sich in den Niederungen des Politalltags abmühen zu müssen. Keiner hat sich beim Ministerrat so oft entschuldigen lassen. Und es sind nicht nur dringende außenpolitische Termine, die ihn in Anspruch nahmen. Zuletzt tourte er durch die Bundesländer, um sich für höhere Weihen zu empfehlen, nicht ohne stets zu betonen, dass er den Parteivorsitz nicht anstrebe.
Noch vor einer Woche hatte er versichert, „im derzeitigen Zustand“ der Partei sei das kein erstrebenswertes Ziel. Dennoch gilt in der ÖVP seit Monaten als ausgemachte Sache, dass nur Kurz einen Totalabsturz bei den nächsten Wahlen verhindern kann. Das war auch das wichtigste Motiv für Reinhold Mitterlehner, vergangenen Mittwoch entnervt hinzuschmeißen. Er wolle nicht länger „den Platzhalter“ spielen.
Kritiker von Erdogan
Sebastian Kurz, der als „das größte politische Talent“ der ÖVP seit Jahrzehnten gepriesen wird, freut sich über Umfragewerte, die in keiner Relation zu messbaren Leistungen stehen. So sieht es jedenfalls die Philosophin und Kolumnistin Isolde Charim in der Wiener Zeitung vom Samstag: „Was Kurz aber wirklich kann, ist den Eindruck zu erwecken, er könne etwas“.
Sebastian Kurz, einer der schärfsten Kritiker des türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan, fordert jetzt für sich ähnliche Vollmachten, wie sie sich der türkische Präsident per Plebiszit in die Verfassung schreiben ließ. Man darf gespannt sein, ob die Partei so desolat ist, dass sie da mitgeht.
Jüngste Umfragen stehen in Einklang mit einer Studie, wonach sich über 40 Prozent der Österreicher einen starken Mann wünschen: Die Kurz-ÖVP hat sich mit 35 Prozent Zustimmung an die Spitze katapultiert. Die SPÖ wäre mit 21 Prozent nur dritte Kraft.
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