Kneipen und Kultur wieder dicht: Berlin, du bist so verwundbar

Künstler:innen haben eine Wut im Bauch – und der Magen knurrt. Zwischen Panik und Pandemie stecken, findet ein Artensterben statt.

Gelbe Hinweisschilder mit der Aufschrift „Einstellung des Vorstellungsbetriebs vom 2. bis 30. November“ sind am Berliner Ensemble zu sehen

Geht den großen wie den kleinen Bühnen in Berlin und anderswo so Foto: picture alliance/Kay Nietfeld/dpa

Licht aus, Vorhang runter. Hier in der Hauptstadt steppt der Bär eben nicht. Corona hat auch ihn auf dem falschen Fuß erwischt, an der Achillesferse sogar. Und mit ihm kommt eine ganze Zunft aus dem Takt. Es herrscht Shutdown mit Lampenfieber. Ki. Keiner weiß so richtig, wann und wie es weitergeht. Aber wir wissen, dass es nicht so weitergehen kann. Wir, nämlich diejenigen, die zu den freischaffenden Künstler:innen dieser Metropole zählen, tappen im Dunkeln und fühlen sich im Stich gelassen. Die nun wieder verschärften Corona-Schutzmaßnahmen drohen uns den Boden unter den Füßen völlig wegzuziehen.

Hals- und Beinbruch, wie es so schön heißt, eine selbstironische Verballhornung des jüdischen Spruches Hatslokhe un Brokhe für „Erfolg und Segen“. Die nun wieder verschärften Corona-Schutzmaßnahmen drohen uns allerdings das Genick zu brechen und uns den Boden unter den Füßen völlig wegzuziehen. Der Boden ist die Bühne, die Bretter, die vermeintlich die Welt bedeuten.

Aber was für eine Bedeutung haben sie für diese Metropole, die sich gern Weltstadt schimpft? Berliner Künstler:innen haben eine Wut im Bauch – und der Magen knurrt. Während wir zwischen Panik und Pandemie stecken, findet ein Artensterben statt.

Wie bei allen schwerwiegenden Entwicklungen ist natürlich Anpassungsfähigkeit angesagt. Ich trage eine Maske. Die Mund-Nasen-Bedeckung ist Pflicht und ja eine Frage der Rücksicht. Wiederum vermisse ich die Maske in anderer Hinsicht. Die Requisite für das Rampenlicht. Die Räumlichkeit, in der eine Visagistin mir vor und nach meinen Kabarettgigs bei der „Denkmalpflege“ hilft …

So gewöhnungsbedürftig

Ich weiche möglichst auf die virtuellen Bühnen aus, wohl anerkennend, dass ein echter Green Screen heutzutage zur essenziellen Grundversorgung zählt. Vor dem Hintergrund, vielmehr vor wechselnden Kulissen, mache ich mein Kabarett und meine Keynotes weiter, so gewöhnungsbedürftig die räumlichen und akustischen Einschränkungen auch sind.

Nicht minder frustrierend ist es, den verringerten Gagen von bereits absolvierten Gigs hinterherzulaufen. Selbst renommierte Auftraggeber:innen müssen wir wegen offener Rechnungen zur Rechenschaft ziehen, was Zeit und Nerven kostet. Die Mitarbeiter:innen der Buchhaltung befinden sich im Homeoffice, einem Zustand, den sie freilich als Urlaub mit Lohnfortzahlung betrachten.

Mit Glück erreicht man sie doch am Telefon, allerdings während sie an der Kasse einer Drogerie stehen. Sie müssen nicht aufstocken, vom Toilettenpapier abgesehen. Wegen Corona und auch deshalb, weil sie so viel Mist erzählen. Datenschutz, Computerprobleme. Man solle sich in Geduld üben und, so nebenbei empfohlen, über Rücklagen verfügen.

Rücklagen? Selbst eine frisch ausgebildete Opernsängerin verdient in guten Zeiten jährlich 9.000 Euro. Wie soll bei dem niedrigen Gehalt etwas auf die hohe Kante gelegt werden? Sind Balletttänzer:innen und Filmemacher:innen weniger systemrelevant als Bankkaufleute und Finanzbeamt:nnen?

In Selbstquarantäne

Niemand muss mich von der letalen Natur Coronas überzeugen. Sie ist alles andere als eine herkömmliche, saisonale Grippe. Gute Bekannte von Mailand bis nach Manhattan haben nicht weniger als vier Tote durch die Pandemie zu beklagen, die weltweit mehr als eine Million Menschenleben auf dem Gewissen hat. Zwei Berliner Freund:innen, eine davon eine Medizinerin, wurden positiv getestet.

Im Frühjahr war ich in Selbstquarantäne, als ich es auf der Plauze hatte, bis sich herausstellte, dass ich lediglich von einer schweren Bronchitis heimgesucht wurde. Nächstes Jahr soll ich sechzig werden, ich zähle schon zur Risikogruppe für Covid-19.

Zur Erklärung: Covid ist kurz für Corona Virus Disease. Und die Zahl „19“ entspricht dem IQ des typischen Coronaleugners. Von den selbsternannten „Querdenkenden“ halte ich also herzlich wenig, und auch als eingefleischte Veganerin stehe ich nicht auf pflanzliche Reichsbürger, ob mit oder ohne Pommes.

Allerdings scheint Jazztrompeter Till Brönner mit seinem viralen Video genau den richtigen Ton getroffen zu haben. Chapeau! Es ist #AlarmstufeRot. Man kann Covid bekämpfen und gleichzeitig das Überleben des vielschichtigen Künstlermilieus solidarisch garantieren. Kunst ist kein Luxus, sondern eine Lebensnotwendigkeit, die hoffen lässt, unterhält, informiert und sogar heilt. Eine Gesellschaft, die dies nicht würdigt, bleibt verwundbar.

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Michaela Dudley (Jg. 1961), eine Berliner Queerfeministin mit afroamerikanischen Wurzeln, bezeichnet sich als „Frau ohne Menstruationshintergrund, aber mit Herzblut, in der Regel“. So lautet ihr Signatur-Lied, und so kennt man sie als wortgewandte taz-Kolumnistin. Sie ist Kabarettistin, Filmschauspielerin, Keynote-Rednerin, Journalistin und gelernte Juristin (Juris Dr., US). Ihr 2022 veröffentlichtes Buch RACE RELATIONS: ESSAYS ÜBER RASSISMUS (2. Aufl. 2024), das als lyrischer Leitfaden zum Antirassismus reüssiert, erklärt: „Die Entmenschlichung fängt mit dem Word an, die Emanzipierung aber auch“. Ebenfalls 2022 erschien ihr Essay „Weimar 2.0: Reflexionen zwischen Regenbogen und Rosa Winkel“ in dem vom NS-Dokumentationszentrum München und Hirmer-Verlag herausgegebenen Buch TO BE SEEN: QUEER LIVES 1900 – 1950. Die LGBTQ_Aktivistin ist auch Stammkolumnistin bei der „Siegessäule“ und Gastredakteurin beim „Tagesspiegel/Queerspiegel“. Auf der Frankfurter Buchmesse 2023 als eine von 75 erlesenen Story-Teller:innen auf dem Paulsplatz mit einem symbolischen Klappstuhl ausgezeichnet. Neben Deutsch und Englisch spricht sie Italienisch, Latein und Hebräisch. Zudem Sie arbeitet sie mit dem Goethe-Institut zusammen. Gelobt wird sie überdies für ihren Auftritt im Spielfilm GESCHLECHTERKAMPF: DAS ENDE DES PATRIARCHATS (2023). In der neo-dokumentarischen Berliner Satire spielt sie sich selbst, und zwar in einer von ihr geschriebenen Szene. Auf dem 37. Braunschweiger Filmfest diente sie als Jurymitglied der Sektion „Echt“ für queere Filme. Von 2018 bis 2022 war sie eine offizielle Übersetzerin der Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale) für das Pressebüro und die Sektion Generation. 2019 agierte sie als Gastmoderatorin bei der Live-Übertragung von Berlin Pride (CSD) im RBB-Fernsehen. Regelmäßig erscheint sie in der „Kulturzeit“ (3Sat/ZDF). Im Aufklärungsvideo HAB’ ICH WAS GEGEN (2023) der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (44 Millionen Klicks) und in einem Beitrag für „ttt – titel, thesen, temperamente“ über das Selbstbestimmungsgesetz (110.00 Klicks in 24 Stunden) tritt sie auf. Als Impulsgeberin in puncto Diversity hielt sie Keynote-Reden bei der Deutschen Bahn, der Führungsakademie der Bundesagentur für Arbeit, dem DGB und im geschichtsträchtigen Schöneberger Rathaus. Oktober 2023 in der Arena Berlin moderierte sie für Funke-Medien eine brandaktuelle Diskussion über Antisemitismus und Rechtsextremismus. Ihr Solo-Kabarettprogramm EINE EINGEFLEISCHT VEGANE DOMINA ZIEHT VOM LEDER ist eine „sado-maßlose“ Sozialsatire mit eigenen musikalischen Kompositionen. Ihre diversen Auftrittsorte umfassen die Volksbühne, das SchwuZ, und die BKA (Berliner Kabarett-Anstalt.)

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