Knastarbeit in Deutschland: Ausbeutung hinter Gittern
Häftlinge bekommen für ihre Arbeit siebenmal weniger Geld als außerhalb der Mauern. Nun wehrt sich die Gefangenen-Gewerkschaft.
BERLIN taz | Auch den Stuhl, auf dem Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) sitzt, haben Gefangene der Justizvollzugsanstalt Tegel gezimmert. Denn die meisten Produkte, die im Gefängnis hergestellt werden, gehen hinterher an staatliche Behörden, Schulen, Gerichte, Bezirksämter oder Parlamente. Auch externe Unternehmen können Aufträge an die Gefängnisse vergeben. Darüber sprechen wollen sie meist aber nicht.
Die Arbeit, die hinter Gittern geleistet wird, ist auch schlecht bezahlt: Maximal 1,87 Euro verdienen die Inhaftierten pro Stunde, als Tagessatz zwischen 9 bis 15 Euro. Zum Vergleich: 8,50 Euro sieht der gesetzliche Mindestlohn künftig pro Stunde vor.
Die unlängst gegründete Gefangenen-Gewerkschaft fordert jetzt auch einen Mindestlohn für Inhaftierte. „Bislang hatten die Gefangenen keine Lobby“, sagt deren Sprecher Oliver Rast. „Diese schaffen wir uns nun selbst.“ Anfang September kam der 42-Jährige nach drei Jahren aus der Haft. Noch im Mai hat er mit Mithäftlingen in der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel die Gewerkschaft gegründet, der sich mittlerweile Leute aus acht weiteren Gefängnissen angeschlossen haben.
Sie setzen sich neben dem Mindestlohn auch für die Rentenversicherung der Häftlinge ein: Da sie während ihrer Haftzeit nicht in die Rentenversicherung einzahlen, haben sie im Alter weniger Rentenanspruch. Ein langjähriger Gefängnisaufenthalt führt da viele direkt in die Altersarmut.
Der Konzern Knast
Rund 66.000 Menschen sitzen in deutschen Gefängnissen, 41.000 von ihnen arbeiten dort. „Das ist de facto ein Großkonzern“, sagt Rast. In der Berliner JVA Tegel ist Arbeit Pflicht, ein Arbeitstag dauert 8 Stunden. Die JVA unterhält 13 Betriebe, darunter eine Tischlerei, Polsterei und eine Druckerei. Auf ihrer Homepage wirbt sie mit deren Produkten – Handarbeit als Qualitätsmerkmal.
Warum gibt es dafür keinen Mindestlohn? „Bei Inhaftierten handelt es sich nicht um ein klassisches Arbeitsverhältnis, deshalb fallen sie nicht unter den Geltungsbereich des Mindestlohns“, erklärt die Pressesprecherin des Bundesamts für Arbeit und Soziales, Jarmila Schneider.
„Sinn und Zweck der Arbeit im Justizvollzug ist, die Gefangenen entsprechend ihren Fähigkeiten zu beschäftigen“, sagt Lars Hoffmann, Sprecher der JVA Tegel. „Und sie zu qualifizieren, damit sie auf dem freien Arbeitsmarkt bessere Chancen haben.“ Auch Berlins Justizsenat will die Arbeit im Gefängnis nicht mit Lohnarbeit vergleichen. Es sei eine Resozialisierungsmaßnahme, sagt Claudia Engfeld, Sprecherin der Senatsverwaltung.
Rast bezweifelt das. Er habe in Tegel niemanden kennengelernt, der „besser rausging“, im Gegenteil: „Die Leute werden gebrochen.“ Die einzige Resozialisierungsmaßnahme sei „unser auf Sozialreformen ausgelegter Kampf“.
Klassenkampf im Knast
Wenn Arbeit im Gefängnis nicht als Arbeit gilt, was heißt dass für eine Gewerkschaft hinter Gittern? „Für einen erfolgreichen Gewerkschaftskampf braucht man die bürgerlichen Freiheiten“, meint Jan Jurczyk, Pressesprecher des Ver.di-Vorstands.
Hinzu kommt ein Interessenkonflikt: Denn auch die Angestellten im Strafvollzug sind bei Ver.di gewerkschaftlich organisiert. Für den Ver.di-Erwerbslosenausschuss Berlin hingegen ist „die Solidarität mit den Gefangenen und ihren Forderungen selbstverständlich“.
Mit dem neuen Strafvollzugsgesetz 2016 wird das Land Berlin die Arbeitspflicht im Gefängnis möglicherweise abschaffen. Spätestens dann würde es für die Behörden schwer, die Niedriglöhne im Knast zu rechtfertigen, glaubt Rast. Seine Gewerkschaft hat dem Justizsenat Thomas Heilmann angeboten, die JVA-Druckerei symbolisch zu pachten und gewerkschaftlich zu organisieren.
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