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Klinsmann in der KlemmeDer zugeknöpfte Bayern-Reformer

"Klinsmann raus"-Rufe hallen durchs Münchener Stadion - innerhalb von wenigen Wochen ist aus dem Messias des deutschen Fußballs ein Buhmann mit miserabler Bilanz geworden.

Vor lauter Innovationen ins Abseits trainiert? Jürgen Klinsmann. Bild: dpa

ie Taktik ist bekannt aus seiner Zeit als Bundestrainer: Wenn Jürgen Klinsmann öffentlich spricht, spielt er konsequent Verbal-Catenaccio. Sein Seelenleben verbirgt er hinter einem Gestrüpp von Allgemeinplätzen. Vor allem in kritischen Situationen klingen seine Aussagen starr und leblos - selbst wenn er zumindest den Worten nach über seine Gefühle spricht. Und deshalb ist unklar, was davon zu halten ist, wenn der 44-Jährige auf die Frage, was er denn zu den "Klinsmann raus"-Rufen sage, die Samstag durch das Münchner Stadion schallten, "Das tut natürlich weh" antwortet.

Wenigstens gab Klinsmann zu, die Rufe nach dem 3:3 des FC Bayern gegen den VfL Bochum gehört zu haben. Das unterschied ihn von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, die sich taub stellten. Vorstandsboss Rummenigge beendete gar das Gespräch mit Journalisten abrupt, als die Rufe zur Sprache kamen. Die beiden stecken in einer kniffligen Situation. Sie haben Klinsmanns reformerischen Elan über Monate so gelobt, dass sie damit gewaltige sportliche Erwartungen weckten. Scheitert Klinsmann, dann ist das auch ein Scheitern von Hoeneß und Rummenigge. Deshalb verkneifen sie sich jeden Anflug von Mäkelei. "Wir haben totale Geduld, wir haben totales Vertrauen zu Jürgen. Mehr kann ich dazu auch nicht sagen", so Rummenigge. Hoeneß, nach seiner 100-Tage-Bilanz von Klinsmanns Arbeit gefragt, wand er sich aus der Klemme: "Zur Bilanz sage ich etwas am 30. Juni. Da ist unser Geschäftsjahr zu Ende."

Die 100-Tage-Schonfrist, die Politikern stets gewährt wird, endet für Klinsmann theoretisch am Mittwoch. Praktisch hatte er sie nie. Das bringt sein Job mit sich. Klinsmanns Zwischenbilanz rechtfertigt auch keine Schonfrist. Die Zahlen sind miserabel: Nach sieben Spieltagen hängt der FC Bayern mit nur zwei Siegen im Mittelmaß fest. 13 Tore hat der Rekordmeister schon kassiert, in der gesamten vorigen Saison waren es 21. Schlechter standen die Bayern in dieser Saisonphase zuletzt vor 31 Jahren da. Damals endeten sie auf Platz zwölf.

Hat Klinsmann, der zuvor noch nie ein Vereinsteam trainierte, sich an der Aufgabe, den FC Bayern umzukrempeln, verhoben? Ist all das Brimborium um seine "revolutionären Arbeitsmethoden" vielleicht nur Blendwerk? Gegen die Zweifel kann er die nächsten zwei Wochen nichts tun. Es ist Länderspielpause. Die meisten Bayernprofis verschwinden in alle Himmelsrichtungen. Als Höhepunkt steht Donnerstag ein Testspiel gegen den Zweitligisten FC Ingolstadt an. Das klingt nach Saisonvorbereitung und ist vielleicht gar nicht so verkehrt: Klinsmann braucht einen Neustart.

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1 Kommentar

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  • RC
    Rudolf Carstens

    Man soll doch die Dinge beim Namen nennen, wie sie sind: Der FC Bayern spielt nicht schlechter und besser wie eh und jeh unter dem Trainer Hitzfeld auch. Oder ist bereits vergessen, wie kläglich die Bayern im Uefa-Pokal in St.Petersburg 0:4 untergegangen sind? Und es ist auch nicht feststellbar, dass irgendein Spieler seine individuelle Klasse unter Hitzfeld in vielen Jahren erkennbar verbessert hätte. Erst die für Unsummen aus den Nachbarländern eingekauften Toni und Ribery sorgten für kurze Zeit für etwas mehr Glanz im Bayernspiel. Auch das sind mittlerweile schon wieder Erinnerungen. Zumindest der Italiener Toni deutet an, offensichtlich inzwischen genug Geld verdient zu haben ...

     

    Wenn Hitzfelds Nachfolger also als Ziel ausgegeben hat, auf die fußballerische Weiterentwicklung seiner Spieler positiv Einfluss zu nehmen, ist das eine folgerichtige Konsequenz. Eine Mannschaft kann man nicht nur zusammenkaufen, sondern sie muss geformt und ausgebildet werden. Dazu hatte Klinsmann gerade 100 Tage Zeit, wobei ihm wichtige Spieler während der Vorbereitung nur beschränkt zur Verfügung standen oder erst jetzt wieder eingesetzt werden konnten. Es wird also vieler weiterer Tage bedürfen, bis die Bayern über die Klasse verfügen werden, ihren eigenen Ansprüchen auch auf dem Spielfeld real zu entsprechen. Das Bayern-Management dürfte das genauso sehen, und es wäre zu wünschen, dass es die eingeschlagene Linie durchstehen kann - auch gegen den Druck einer bestimmten Sportpostille, die nicht müde wird, gegen Klinsmann zu sticheln und gegen ihn Stimmung zu machen. Die Chancen, dass Klinsmann bei genügender Unterstützung sein Ziel erreichen kann, stehen so schlecht nicht.