Kliniken zurück in öffentliche Hand: Schluss mit Profitstreben
In Mecklenburg-Vorpommern soll eine Klinik rekommunalisiert werden. Die Menschen dort haben genug von den Machenschaften der privaten Betreiber.
Hinter der Schließung steckt der Plan zweier Kliniken in privater Trägerschaft: Mediclin, zu 52 Prozent in Asklepios-Hand, und der Asklepios-Konzern, der in Parchim ein Krankenhaus betreibt, wollen die Geburtshilfe und Gynäkologie „an einem Standort bündeln“ – in Parchim, aus „qualitätsmedizinischen Erwägungen“.
So richtig glauben will das den Klinikbetreibern aber niemand. Bürger*innen und Politiker*innen werfen Asklepios und Mediclin vor, ihren Versorgungsauftrag nicht einzuhalten und einfach Fakten zu schaffen – aus reinem Profitinteresse (taz berichtete). Deshalb könnte es jetzt ganz anders kommen: Der Landkreis Ludwigslust-Parchim will das Krankenhaus in Crivitz rekommunalisieren.
Die Option steht schon seit Dezember vergangenen Jahres im Raum, nimmt jedoch immer konkretere Formen an. „Ich möchte dieses Krankenhaus gerne zurück in die kommunale Familie holen“, sagte Stefan Sternberg, Landrat des Landkreises, nach einer Sitzung des Kreisausschusses Anfang April in einer Videomitteilung. Noch sei keine Entscheidung gefallen, man sei in Verhandlungen. „Da müssen wahnsinnig viele Hausaufgaben gemacht werden.“
Der Verkaufspreis dürfte nicht der einzige schwierige Verhandlungspunkt mit Mediclin sein. Das Krankenhaus in Crivitz ist laut Jahresabschluss 2018 „bilanziell überschuldet“. Der Landkreis will das Krankenhaus aber nur ohne Schulden übernehmen.
Torsten Koplin, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion, im Schweriner Landtag
Ziel des Landrates sei es, am 4. Juni ein belastbares und zustimmungsfähiges Konzept für die Übernahme vorzulegen, wie sein Sprecher Andreas Bonin auf taz-Anfrage mitteilt. Dann soll der Kreistag auch über einen möglichen Kauf abstimmen. Klar sei, dass das Krankenhaus zu 100 Prozent wieder in öffentliche Hand gelangen soll, es also keine Kooperation mit einem anderen Träger gibt. „Alle sind der Überzeugung, dass der Standort nur so erhalten werden kann“, sagt Bonin.
Sternberg hat die Idee, die Crivitzer Klinik mit den Krankenhäusern in Hagenow und Ludwigslust zusammenzuschließen. Beide sind bereits ein Verbund mit dem Namen „Westmecklenburg Klinikum Helene von Bülow“. Träger sind das Stift Bethlehem und der Landkreis Ludwigslust-Parchim zu gleichen Teilen. Durch neue Strukturen und Synergien könne man das Arbeiten der Kliniken wirtschaftlich machen und sei breiter aufgestellt als Mediclin jetzt, sagt Bonin.
Rückendeckung für seine Rekommunalisierungspläne bekommt Landrat Sternberg aus dem mecklenburg-vorpommerischen Landtag. Schon im Dezember beschloss dieser den Erhalt der Gynäkologie und Geburtshilfe in Crivitz, wie auch Julian Barlen, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, betont. „Mit Mediclin geht das offenbar nicht. Insofern bin ich sehr offen dafür, andere Lösungen zu finden.“
Es galt ein Moratorium
Dass Mediclin schon beschlossen hat, die Geburtshilfe zu schließen, kritisiert Barlen scharf. Denn bis zum 30. Juni sollte eigentlich ein Moratorium gelten, während dessen Mediclin mit dem Landrat und dem Land verhandeln sollte, wie es weitergeht. „Dementsprechend waren alle völlig entsetzt, als die Nachricht kam, dass Mediclin die Geburtshilfe zum 30. Juni so oder so abwickelt und Fakten schafft“, sagt Barlen.
Auch die Betriebsvereinbarung, die Mediclin mittlerweile mit dem Betriebsrat der Crivitzer Klinik geschlossen hat, nennt Barlen einen Affront. Laut dieser sollen Pflegekräfte klinikintern versetzt werden und eine Treueprämie erhalten, wenn sie dem zustimmen. Stimmen sie nicht zu, drohe der Jobverlust. Ärzt*innen und Hebammen hingegen sollen nach Parchim wechseln. Stimmen sie nicht zu, drohe ihnen die Kündigung. „Solche Praktiken sind nicht willkommen bei uns“, sagt Barlen.
„Mediclin hat Vereinbarungen getroffen, die im Widerspruch zu dem stehen, was man im Dezember vereinbart hat“, sagt auch Torsten Koplin, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag. Auch er ist für die Rekommunalisierung der Klinik, wünscht sich aber ein härteres Vorgehen gegen die privaten Konzerne.
Man könne einen Versorgungsauftrag einer Klinik auch entziehen, wenn diese den nicht einhält, so wie jetzt in Crivitz. Solch ein Schritt habe aber für beide Seiten entscheidende Konsequenzen. „Der Träger bekommt dann keine öffentliche Förderung mehr, ist aus dem Landeskrankenhausplan raus“, sagt Koplin. Das Land, das dann den Versorgungsauftrag habe, habe dann aber kein Krankenhaus, mit dem es diesen Auftrag erfüllen könnte.
Über diesen Punkt habe er mit Harry Glawe (CDU), dem Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit, gestritten. „Er sagt, es müsse jemanden geben, der den Auftrag zurückgeben will. Und ich persönlich bin der Meinung, es ist auch möglich, den Versorgungsauftrag zurückzunehmen, wenn er nicht erfüllt wird“, sagt Koplin. „In dem Moment wäre das Haus für den Träger unlukrativ und er würde es von alleine abgeben.“
Glawe sitzt gemeinsam mit Landrat Sternberg und Mediclin nun am Verhandlungstisch. Dabei war seine Rolle in der Geschichte nicht immer glücklich. Nachdem in Parchim die Kinderstation schon länger geschlossen war – angeblich wegen Personalmangels, auch hier gab es begründete Zweifel an der Argumentation von Asklepios –, sollte Glawe helfen, die Situation zu retten.
Sein Verhandlungsergebnis, das er in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit den Konzernen bekannt gab: Die Kinderstation macht dicht, stattdessen spendiert das Land einen Kinderarzt für ein „Modellprojekt“. Und die Geburtshilfe und Gynäkologie in Crivitz schließt. Stattdessen soll eine Abteilung für Geriatrie, also Altersmedizin, eröffnen. Die Crivitzer Mitarbeiter*innen erfuhren das alles aus der Presse.
Keine Garantie für die Geburtshilfe
Für Glawe hagelte es massive Kritik. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte zu Demonstrant*innen vor der Staatskanzlei in Schwerin, sie verstehe den Frust und finde den Protest richtig. „Ich bin von der Entscheidung überrascht worden und ich halte sie für falsch.“ Glawe musste nachverhandeln. Am Ende blieb der Plan für das „Modellprojekt“ für Kinder in Parchim, die Station in Crivitz erhielt eine Gnadenfrist bis Ende Juni. Bis dahin sollte ein Konzept erarbeitet werden, wie die Station erhalten bleiben kann.
Doch so lange wartete Mediclin eben nicht und gab schon Anfang April die Schließung bekannt. Und die mögliche Rekommunalisierung bietet der Geburtshilfe auch keine Garantie. Eine Übernahme durch den Landkreis könne frühestens zum neuen Jahr zustande kommen, sagt Landrat Sternberg.
Bis dahin ist die Station dicht und vermutlich auch das Personal weg. Die Chefärztin arbeitet mittlerweile schon in Parchim. Nach taz-Informationen haben zwei Oberärzt*innen die Kündigung erhalten und Hebammen sich ebenfalls andere Stellen gesucht, aus Angst vor der schlechten beruflichen Zukunft. Am ersten Wochenende im Mai hätte sich die Abteilung schon von der Versorgung abmelden müssen. Weil auch die Abteilung in Parchim über das Wochenende schließen sollte, organisierten sich die Crivitzer Mitarbeiter*innen so, dass ihre Station doch offen bleiben konnte und Frauen dort entbinden konnten.
Zweifel an der Personalsuche
Laut Mediclin ist der Personalmangel einer der Gründe für die Schließung der Geburtshilfe und Gynäkologie. Seit Jahren begleite die Klinik ein eklatanter Mangel an Fachkräften, sagt Mediclin-Sprecherin Gabriele Eberle. Doch daran, dass Mediclin wirklich nach Personal gesucht hat, bestehen Zweifel. Laut einem Bericht der Schweriner Volkszeitung aus dem Januar waren auf den einschlägigen Portalen keine Stellenanzeigen für Hebammen zu finden.
Das Vorgehen ähnelt dem von Asklepios in Parchim, wo sich über einen Ärzt*innenmangel beklagt wurde, aber gleichzeitig Ärzt*innen entlassen wurden, und erst nachdem sich die Politik eingeschaltet hatte, Stellenanzeigen geschaltet wurden.
Aber warum hängen die Menschen so an der Entbindungsstation des kleinen Krankenhauses mit gerade einmal 74 Betten? Zum einen gibt es die politische Entscheidung zum Erhalt, die der Landtag getroffen hat. Die Geburtshilfe in Crivitz habe einen besonderen Stand, sei so beliebt, dass Frauen auch von weit her zur Entbindung kämen, sagt Anna Schade. Sie ist eine von vielen, die sich für den Erhalt der Abteilung einsetzt und den Protest gegen die Schließung mit organisiert.
Dass Frauen, die eigentlich in Crivitz entbinden wollen, künftig nach Parchim fahren würden, glaubt sie nicht, denn in Notfällen sei wegen der geschlossenen Kinderklinik in Parchim nun das Krankenhaus in Schwerin das nächste für die Versorgung von kranken Kindern. Crivitzer*innen müssten also erst etwa 20 Kilometer Richtung Parchim fahren, und im Notfall dann wieder über Crivitz nach Schwerin. Sicher scheint die Zukunft der Geburtshilfe in Parchim außerdem auch nicht. Auch dort fehlt es an Personal, und nach Informationen der taz wollen die Crivitzer*innen größtenteils nicht nach Parchim wechseln.
Landtag setzt Enquetekommission ein
„In Parchim und Crivitz haben wir es mit Rosinenpickerei zu tun“, sagt SPDler Barlen. Es werde in lukrative Abteilungen investiert, andere Bereiche dagegen vernachlässigt. „Was da jetzt passiert, hat schon eine neue Qualität“, sagt er. „Als Staat muss man da selbstbewusst auftreten und sagen: So geht es nicht.“ Es müsse nun stärker geschaut werden, welche rechtlichen Möglichkeiten bestünden und welche Optionen der Landeskrankenhausplan biete, damit „die Struktur nicht dem Markt überlassen wird“.
Der Landtag beschloss in der vergangenen Woche, eine Enquetekommission zur „Zukunft der medizinischen Versorgung“ einzusetzen. Darin sollen Fachleute gemeinsam mit Abgeordneten beraten, wie die Gesundheitsversorgung im Land sichergestellt werden kann.
Anlässlich einer weiteren Debatte über das Krankenhaus in Crivitz äußerte Barlen erneut Kritik an Mediclin. Das Zustandekommen der Betriebsvereinbarung werfe Fragen auf, da in der Präambel stehe, dass die Schließung der Geburtshilfe zwingend und ein Ergebnis der gemeinsamen Lösungssuche zwischen Mediclin und Ministerium sei. Das sei schlicht falsch, sagt Barlen. „Da diese falsche Behauptung die Grundlage für die Unterschrift auch des Betriebsrates ist, sollte der Betriebsrat den Vertrag unverzüglich anfechten. Eine vorsätzliche Täuschung bietet hierfür alle Möglichkeiten.“ Laut Barlen könne so Zeit gewonnen werden, in der der Betrieb der Klinik in die Hand der Kommune übergehen könnte.
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