Klimaschutz in Bremen: Nachhilfe für die neue Koalition
Am Abend vor Beginn der Koalitionsverhandlungen in Bremen hat „Fridays for Future“ die Politiker*innen zu einer Nachhilfestunde in Klimakunde gebeten.
Mehr als die Hälfte ihrer Teilnehmer*innen hatte bereits zwölf Stunden zuvor im Überseemuseum in der „verpflichtenden Nachhilfestunde“ zusammengesessen. Angeordnet von den „Fridays for Future“ Bremen, der Saal – rappelvoll. Die ersten drei Reihen sind für die geladenen Politiker*innen von SPD, Grünen und Linken reserviert, an jedem Stuhl klebt ein Zettel, fast alle sind besetzt.
Das Programm: Neben eindringlichen Poetry-Slam-Beiträgen bekommt die Wissenschaft das Wort, Alfred Schumm vom WWF, davor Bernhard Stoevesandt vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme. „Das wird keine Gute-Laune-Veranstaltung“, warnt der gleich zu Beginn. Über dem Ganzen hängt das Skelett eines Zwergwals.
„Je mehr ich mich informiert und gelesen habe, desto frustrierender ist es“, sagt Stoevesandt. Anhand von Graphen und Datentabellen stellt er verschiedene Szenarien des Klimawandels vor. Dabei beruft er sich vor allem auf den „Sonderbericht 1,5 Grad globale Erwärmung“ des Weltklimarats (IPCC) von 2018. Darin wird ein 1,5-Grad-Ziel weiterhin für realistisch betrachtet, vorausgesetzt, es werden sehr schnell Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen und dem Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre getroffen.
Kristina Vogt, Die Linke
Es gehe nicht mehr um die Frage, ob man wegen der Hitze im Sommer bald nicht mehr so gut schlafen könne, sondern darum, dass es für Menschen mit schlechtem Kreislauf schwierig werde, die Hitzeperioden zu überleben, so Stoevesandt. Ganz zu schweigen von den Regionen auf dem Planeten, die wegen Temperaturen von über 50 Grad Celsius schlicht unbewohnbar werden.
Die Aussichten auf eine 1,5 Grad wärmere Welt sind noch ein Stück bitterer als Bremens Finanzen. „Es kann nicht sein, dass der Klimaschutz an der Haushaltslage eines Bundeslands scheitert“, sagt Kristina Vogt, Spitzenkandidatin der Linken denn auch am selben Abend.
Der Druck, sich über solche Grundfragen zu einigen, scheint zu wirken: „Wenn das so weiter geht, haben wir kurze Sitzungen“, resümierte am Nachmittag Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) Tag eins der Koalitionsverhandlungen, an dem es ums Finanztableau ging, „weil wir ein gemeinsames Grundverständnis haben“.
Das tut zumal beim Klima-Thema not. Während Stoevesandt im Überseemuseum die Hintergründe der Krise aufzeigte, setzte WWF-Mann Schumm als Nachhilfelehrer auf ganz konkrete Handlungsanweisungen: Den Politiker*innen trug er auf, Wochenmärkte zu fördern und Fahrradstellplätze zu schaffen und bei der Hafenwirtschaft lokale Sichtweisen endlich den nationalen unterzuordnen. „Setzen Sie den Rahmen und warten Sie nicht, was Ihnen die Wirtschaft sagt!“, fordert er. Mit 37 Prozent liege die Industrie bei Treibhausemissionen auf dem ersten Platz.
Am Abend war Schaefer jedenfalls noch optimistisch aus der Nachhilfestunde gegangen: Die Forderungen der Wissenschaft passen zur Parteilinie. Ihre wichtigste Erkenntnis: „Je länger wir warten, desto drastischer müssen die Maßnahmen sein, das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen.“ Am Samstag gibt’s deshalb eine Expertenanhörung zum Thema Klimaschutz. Nur für die Verhandler*innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen