Klimaprotest der Letzten Generation: Blockade könnte teuer werden
Aktivist:innen der Letzten Generation hatten im Sommer auch den Hamburger Flughafen blockiert. Nun fordern Fluggesellschaften Schadensersatz.
„Vergangene Woche lagen die Schreiben im Briefkasten“, sagt die Aktivistin Judith Beadle (43), die an der Blockade in Hamburg teilgenommen hat. Die Forderungen seien in zwei Briefen nacheinander bei ihnen angekommen, erzählt der Aktivist Julian Huber (19), der auch an der Blockade teilgenommen hat. Von allen betroffenen Menschen werde darin die gesamte Summe von 400.000 Euro gefordert. „Das war schon ein Schock, aber wir haben auch damit gerechnet, dass so was kommt“, sagt Huber.
In Hamburg hatten sich acht Aktivist*innen der Letzten Generation am ersten Tag der Sommerferien frühmorgens Zugang zum Gelände des Hamburger Flughafens verschafft und das Rollfeld blockiert. Der Flugverkehr war mehrere Stunden lang eingeschränkt. Nach Angaben des Flughafens waren durch die Blockade 68 Flüge ausgefallen, mehr als 200 verspäteten sich.
Die Fluggesellschaften argumentieren nun, dass ihnen durch die Blockade Gewinn entgangen ist und berufen sich auf die Schadensersatzpflicht der Aktivist*innen. Diese ist im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben und kann zunächst außergerichtlich eingefordert werden. Kommen die Aktivist*innen den Forderungen nicht nach, dann gibt es für die Fluggesellschaften die Möglichkeit zu klagen.
Notfalls lebenslang abstottern
Ob die Fluggesellschaften in diesem Fall tatsächlich Anspruch auf Schadensersatz haben, ist noch unklar und wäre am Ende Entscheidung eines zuständigen Gerichts. Die rechtliche Lage ist in diesem Fall nämlich nicht eindeutig, da bei der Flughafenblockade kein unmittelbar Schaden, zum Beispiel an einem Flugzeug, entstanden ist, sondern durch die Blockade nur indirekt der Gebrauch des Eigentums der Klägerin eingeschränkt war.
Wie genau die Höhe der Schadensersatzforderung berechnet wurde, will Eurowings nicht sagen. Gegenüber der taz beruft sich das Unternehmen darauf, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Gesetzt den Fall, dass die Forderung vor Gericht Bestand hat, müssten die Aktivist*innen zahlen, ob sie können oder nicht. Bei einer Blockade handelt es sich um eine vorsätzliche Handlung. Haftpflichtversicherungen übernehmen demnach nichts, eine Privatinsolvenz kann auch nicht geltend gemacht werden. Betroffene Aktivist*innen müssen die Beträge also abstottern, notfalls lebenslang.
„Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Geld gesehen und werde das wahrscheinlich auch nie“, sagt Judith Beadle. Als Mutter von zwei Kindern sei bei ihr am Monatsende meist nicht viel übrig. Ähnlich geht es dem Aktivisten Julian Huber. Trotzdem will er sich von den Forderungen nicht unterkriegen lassen. „Es war zwar ein Schock, aber irgendwo auch ein gutes Gefühl, schwarz auf weiß zu sehen, dass wir den Fluggesellschaften, die dem Klima so sehr schaden, materiellen Schaden zugefügt haben“, sagt Huber.
Ähnliche Fälle enden oft mit Vergleichen
Oft enden ähnliche Fälle vor Gericht mit einem Vergleich. Zuletzt hatte eine Klage des Logistikkonzerns DHL Aufmerksamkeit erregt. Nachdem 2021 Klimaaktivist*innen eine Zufahrtsstraße des Flughafens Leipzig/Halle blockiert hatten, forderte DHL Zehntausende Euros von einigen der Beteiligten. Das Unternehmen zeigte sich aber nach großem öffentlichen Druck bereit, die Forderungen gegen die Aktivist*innen fallenzulassen – gegen deren Verpflichtung, 80 Arbeitsstunden in einem Aufforstungsprojekt zu leisten.
Ob eine hohe Schadenersatzforderung Klimaaktivist*innen künftig von Blockaden abhält, bleibt offen. In der Vergangenheit gab es immer wieder Kritik an solchen Forderungen von Unternehmen: Die Rechtsanwältin Ulrike Donat aus Hamburg hatte Aktivist*innen vertreten, die nach der Blockade eines Tönnieshofs in Schleswig-Holstein 2019 vom Konzern auf Schadensersatz verklagt worden waren. Damals sagte sie der taz, Schadensersatzforderungen seien schon vor einer Klage vor allem „ein Versuch der Einschüchterung“.
Unabhängig von Schadensersatzforderungen ermittelt die Staatsanwaltschaft Hamburg im Zusammenhang mit der Flughafen-Blockade gegen insgesamt 10 Beschuldigte, unter anderem wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Gegen einige Aktivist*innen werde zudem wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt, sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Ein Anfangsverdacht des gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr habe sich aber nicht erhärten können.
Schon kurz nach der Blockadeaktion hatte auch der Flughafen Hamburg angekündigt, eigene Schadensersatzansprüche prüfen zu wollen. Diese Prüfung sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, „aber wir gehen von einem sechsstelligen Betrag aus“ sagt ein Sprecher des Flughafens der taz.
Bis zum 29. Dezember wollen die Fluggesellschaften 400.000 Euro von den Klimaaktivist*innen überwiesen haben. „Wir haben unsere Anwält*innen eingeschaltet und lassen es auf eine Klage ankommen“, sagt Julian Huber von der Letzten Generation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken