Klimapaket beim EU-Gipfel: Kanzlerin in der Klemme
In Brüssel entscheidet sich, ob Angela Merkel noch auf den Klimaschutz setzt - laut eigener Aussage "die wichtigste Herausforderung für die Menschheit".
Bis 2020 will die Europäische Union den Ausstoß der Treibhausgase um 20 Prozent auf der Basis des Jahres 1990 senken. Um das zu erreichen, wollen die 27 Länder der Europäischen Union die Lasten gerecht verteilen. Für Deutschland heißt das: Die Emissionen müssen im Vergleich zu 2005 bis 2020 um 14 Prozent vermindert werden. Ein entscheidendes Instrument auf dem Weg, weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen, ist der europaweite Emissionshandel mit Kohlendioxid-Zertifikaten. Diese staatlichen Verschmutzungsrechte sollen künftig von jedem Unternehmen gekauft werden, können aber auch an der Börse gehandelt werden. Die Zertifikate erhielten bislang die großen Stromverbraucher der Industrie und die Stromproduzenten kostenlos. Das soll sich nach Vorstellung der EU-Komission nun ändern. Dagegen sträuben sich jedoch vor allem Polen, Deutschland und Italien. Die drei Länder befürchten, ihre Industrien würden mit übermäßig hohen Kosten belastet - gerade vor dem Hintergrund der globalen Finanz-
und Wirtschaftskrise.
Die Sache wäre vermutlich nicht so kompliziert, wenn es nur um Klimaschutz ginge. Geht es aber nicht: Der Kompromiss, den Kanzlerin Angela Merkel heute in Brüssel aushandelt, wird das Projekt "Erneuerung der CDU" entscheiden.
Drei Themen hatte sich Merkel gesetzt, um die Union zu erneuern: Bildung, Familie und Klimaschutz. Bei der Bildung ist sie gescheitert, ihre Familienpolitik hat die Konservativen dagegen tatsächlich aus der verstaubten Ecke geholt. Der Spielstand "alte CDU" gegen "neue Merkel-Union" steht also eins zu eins. Die Verhandlungen zum Klima- und Energiepaket in Brüssel sind Merkels Entscheidungsspiel.
Der Kampf gegen die Erderwärmung sei "die wichtigste Herausforderung für die Menschheit", sagte Merkel. Damit stellte sie den konservativen Wirtschaftsflügel der Union kalt, der sich bis heute noch nicht einmal die Mühe gemacht hat, das Problem des Klimawandels wenigstens zu durchdringen. "Bei allen Anträgen, die wir im Bundestag zum Klimaschutz gestellt haben, gab es immer eine starke Rückendeckung aus dem Kanzleramt", sagt Frank Schwabe, klimapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Merkel hielt so die Fraktion auf Erneuerungskurs.
Mit großem Erfolg: Merkel schwor die Union im Vorfeld des Klimagipfels 2006 auf ein neues deutsches Klimaziel ein: minus 40 Prozent CO2-Ausstoß bis 2020, wenn die Europäische Union sich insgesamt verpflichtet, 20 Prozent ihrer Treibhausgase im selben Zeitraum zu senken. Ein Jahr später war es wiederum Angela Merkel, die als EU-Ratspräsidentin die Europäer auf ein Klimaziel einschwor: minus 20 Prozent, und wenn sich die Klimakonferenz in Kopenhagen im nächsten Jahr auf ein neues Klimaregime einigt, sogar minus 30 Prozent bis 2020. Bereits früher hatte die "Klimakanzlerin" als G-8-Präsidentin den weltgrößten Emittenten sogar noch das Versprechen abgerungen, bis 2050 den Treibhausgasausstoß im Vergleich zu dem von 1990 mindestens zu halbieren.
Die Europäische Kommission hat seitdem nichts anderes vorbereitet, als Merkels Vorgaben mit konkreten Instrumenten umzusetzen. Heute nun entscheidet Merkel, was davon übrig bleibt. Die Regelung zur Energieeffizienz und zu den Grenzwerten im Verkehrssektor hat Deutschland bereits kräftig weichgespült. Der am Dienstag verabschiedete Kompromiss zum Ausbau der erneuerbaren Energien ist wenig ambitioniert. Laut diesem Papier müssen 18 Prozent von Deutschlands Energieverbrauch bis 2020 aus regenerierbaren Quellen stammen, was im Stromsektor schon 2011 erreicht werden wird.
Bleibt als Letztes noch der Emissionshandel, um den es heftigste Auseinandersetzungen gab und gibt. "Nur wenn Kohlendioxid einen Preis bekommt, wird Klimaschutz wirtschaftlich interessant", sagt Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Deshalb plante die EU ursprünglich, dass alle Emissionsrechte für die komplette Industrie der Europäischen Union ab 2013 versteigert werden. Zusätzlich sollte die Zahl der ausgegebenen Emissionsrechte von Periode zu Periode gesenkt werden, um einen weiteren Preisdruck auszulösen.
Davon wird nicht viel übrig bleiben. "Diesmal gab es für unseren Antrag keine Unterstützung aus dem Kanzleramt", sagt SPD-Politiker Schwabe. Der Bundestag hatte in der vergangenen Woche noch einmal eine 100-prozentige Versteigerung der Emissionsrechte als Verhandlungsposition beschlossen.
Dass der Antrag auch ohne Merkels Diktum durchgekommen ist, zeigt, dass weite Teile der Union die Parteierneuerung mitzutragen bereit sind. Wochenlang hatten zuvor die Mittelstandsvereinigung, der Wirtschaftsflügel der Union und der Bundeswirtschaftsminister gegen die Versteigerung getrommelt.
Merkel hätte also gute Chancen, ihr Endspiel um die Erneuerung der Union zu gewinnen. Nun aber schwächelt sie. "Als wir unter deutscher Präsidentschaft das Thema Klimaschutz auf die Tagesordnung gesetzt haben", erklärte die Kanzlerin kürzlich, "da konnte niemand ahnen, in welcher Situation die Abschlussberatungen stattfinden würden." Stephan Singer vom WWF bezeichnet das als 180-Grad-Wende.
Beobachter auf der Klimakonferenz in Poznan halten deshalb folgenden Kompromiss in Brüssel für wahrscheinlich: Die Osteuropäer erhalten eine sogenannte Phase-in-Lösung, nach der sie schrittweise die Emissionsrechte versteigern müssen - etwa 35 Prozent bis 2016, doppelt so viel bis 2019. Deutschland verpflichtet sich zu einer 100-prozentigen Versteigerung in der Stromwirtschaft bei den Kraftwerken, die am Netz sind, bekommt dafür aber großzügige Ausnahmeregelungen für die Industrie. Und ebenfalls eine "Phase-in"-Lösung für alle Kraftwerke, die neu gebaut werden.
Vermutlich wird Angela Merkel das als guten Kompromiss verkaufen. Eine Modernisierung des CDU-Denkens, das der Ökonomie ein Primat vor der Ökologie gewährt, erreicht Angela Merkel damit jedoch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte