Klimakulturpanel am taz-Kongress: "Öko ist Lebensqualität"
Tübingens OB Palmer beanstandet das mangelnde Klimabewusstsein in der Gesellschaft, der stellvertretende WamS-Chefredakteur Poschardt will trotzdem weiter Porsche fahren.
„Braucht die Welt eine Klimakultur?“, fragte Peter Unfried, stellvertretender Chefredakteur der taz, seine Gäste am Samstagmorgen auf dem taz-Kongress in Berlin und diskutierte mit ihnen über die Frage, was man unternehmen muss, damit sich in der Mehrheitsgesellschaft ein nachhaltiges Klimabewusstsein entwickelt.
Die Fronten waren von Anfang an klar - und blieben es auch bis zum Ende der Diskussion: Ulf Poschardt, stellvertretender Chefredakteur der Welt am Sonntag, wagte sich als bekennender Porschefahrer aufs Podium und trat für eine liberale Gesellschaft ohne staatliche Regeln ein. Die drei weiteren Gäste, Meike Gebhard, Geschäftsführerin der Ökologie-Ratgeber-Plattform utopia.de, Christiane Grefe, globalisierungskritische Buchautorin und Redakteurin der Zeit und Boris Palmer, grüner Oberbürgermeister von Tübingen waren sich einig: Ohne staatliche Regeln und gute Vorbilder kann sich in der Gesellschaft kein Klimabewusstsein entwickeln.
Während der Diskussion wurde auf der Leinwand hinter der Bühne per SMS getwittert. Dabei kam Ulf Poschardt nicht gut weg. „Poschardt hat noch nichts gesagt, noch ist Zeit, ihn rauszuschmeißen“, lautete eine der ersten Twitter-Nachrichten, die über den Bildschirm wanderte und im Publikum für Gelächter sorgte.
„In dem Moment, in dem ich als kleiner Junge zum ersten Mal einen Porsche sah, wusste ich, dass ich ihn liebe“, sagte Poschardt ungerührt. Mit 23 Jahren gönnte er sich seinen ersten Sportwagen: „Das Gefühl, dass man beim Porschefahren hat, den Spaß an der Geschwindigkeit, kann man im Toyota Hybrid einfach nicht erleben.“
Die Diskussion um solche Autos sei oft durch Vorurteile geprägt, sagte Poschardt weiter. Deren Verbrauch sei oft gar nicht so schlecht, wie die meisten Menschen meinen. Stattdessen stünden Menschen wie er in der Kritik, weil in der deutschen Gesellschaft Sozialneid stark verbreitet sei. Durch die teils hämischen Zwischenrufe aus dem Publikum („Werd’ doch mal erwachsen“) sah er sich in seiner Meinung bestätigt.
In einer Gesellschaft, die alles regulieren will, wolle er nicht leben, so Poschardt. Stattdessen müsse man sich Gedanken machen, wie man zwischen den verschiedenen Interessen in der Gesellschaft zu einem Konsens komme. „Wo begegnen sich meine Liebe zu schnellen Autos und die ökologische Technik?“, fragte er. Die deutsche Autoindustrie habe in dieser Frage schon viel geleistet.
Die anderen DiskussionsteilnehmerInnen waren nicht der Meinung, dass die Gesellschaft schon genug gegen den Kimawandel unternehme. Sie sehe die Zukunft zwar nicht pessimistisch, sagte Christiane Grefe, „wir stehen aber gerade an einem Scheidepunkt.“ Das große Problem sei jedoch, dass der Klimawandel gerade vor den Problemen der Finanzkrise in den Hintergrund trete. Dies sei ein falscher Ansatz, so Grefe. Stattdessen müssten die Entscheider die Zusammenhänge zwischen Klimaschutz und Finanzkrise zusammendenken.
Auch für Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) ist das Klimabewusstsein in der Gesellschaft noch nicht stark genug ausgeprägt. Selbst in Tübingen, einer Stadt also, in der schon seit 1979 grüne Politiker über die Geschicke der Stadt mitentscheiden, habe das Klima bislang eine viel zu kleine Rolle gespielt. Er wolle jedoch erreichen, dass der jährliche CO2-Verbrauch der Tübinger auf drei Tonnen pro Jahr sinkt; im Schnitt verbraucht jeder Deutsche elf Tonnen. Laut Palmer haben die Tübinger ihren Verbrauch bislang schon auf durchschnittlich sieben Tonnen reduziert.
Poschardts impliziter Unterscheidung zwischen Spaß und Klimaschutz wollte sich Palmer nicht anschließen: „Öko ist Lebensqualität“, sagte er: „Ich fahre lieber entspannt mit der taz als Lektüre im Zug, als gestresst mit dem Sportwagen über die Autobahn.“ Man könne eine Menge Dinge tun, die Spaß machen und das Klima schützen.
Auch Utopia.de-Chefin Meike Gebhardt forderte, das Thema „Öko“ müsse aus der spaßbefreiten Ecke raus und in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Auf ihrer Plattform zeige sie, dass Öko mehr sei, als nur eine Energiesparlampe zu verwenden. Strategischer Konsum fange mit der Frage an: „Was brauchen wir eigentlich wirklich?“ Ein gewisser Verzicht sei beim Klimaschutz notwendig.
„Wie kommt man also vom Karriere-Porsche-Glück-Modell dazu, dass man Ökokonsum erstrebenswert findet?", fragte Peter Unfried seine Gäste. „Zum einen müssen wir den nachhaltigen Konsum vormachen“, sagte Grefe. Gleichzeitig bedürfe es staatlicher Regelungen. „Ich glaube, wenn man behauptet, dass es ohne Verzicht geht, dann geht der Schuss nach hinten los“, so Grefe. Wer für nachhaltige Produkte und klimafreundliche Techniken mehr bezahle, müsse verzichten. „Das muss man offen sagen und positiv besetzen."
Utopia.de-Chefin Gebhardt wies darauf hin, dass Verzicht keinen Verzicht auf Lebensqualität bedeuten müsse. Stattdessen bedeute Verzicht den Verzicht auf Faulheit, ergänzte Grefe. „Man muss sich um den eigenen Konsum Gedanken machen“, sagte Grefe „und das muss man den Leuten ganz klar sagen.“
In diesem Punkt widersprach Tübingens Oberbürgermeister Palmer den beiden Referentinnen: „Mit dem Verzichtargument kann man die Welt nicht retten“, sagte er. „Dazu gibt es zu viele Poschardts!“ Stattdessen müsse man wirtschaftlich argumentieren und den Menschen aufzeigen, wie begrenzt die Ressourcen seien.
Poschardt, der aufgrund der überwiegend kritischen Twitter-Nachrichten auf der Leinwand und des Widerspruchs auf dem Podium in der zweiten Hälfte der Diskussion geschwiegen hatte und mit überschlagenen Beinen und verschränkten Armen die Diskussion verfolgte hatte, meldete sich erst zum Ende wieder zu Wort.
In einer Frage konnten sich Poschardt und Palmer sogar einigen. Auf den Vorschlag Palmers, dass Menschen wie Poschardt zwar Porsche fahren dürfen, im Gegenzug jedoch genauso viel Geld zur Förderung von Klimaschutzprojekten ausgeben müssen, stieg er ein. „Ich will auch einen grünen Planeten“, sagte er. „Nur zu anderen Bedingungen.“
Das Publikum zeigte sich jedoch unversöhnlich: „Kein Ablasshandel!“, rief jemand aus dem Auditorium.
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