Klimakatastrophe in Peru: Der Seilzug über den reißenden Fluss
Konvois versorgen die Menschen in abgeschnittenen Bergdörfern. Doch der Katastrophenschutz müsste dringend ausgebaut werden.
Vor zwei Wochen führte noch eine Brücke über den weiterhin reißenden Fluss. Die Reste des Stahlungetüms liegen ein paar Meter tiefer, bedeckt von Felsbrocken am Rande des Flussbetts des Río Santa Eulalia. „Seit zwei Wochen sind wir abgeschnitten vom Rest der Welt. Nicht nur die Brücke, auch die Straße nach San Pedro de Casta ist von Gerölllawinen blockiert worden. Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagt Maravilla Vina Salinas Pérez.
Die 48-jährige, kleine, drahtige Frau ist die Sprecherin des Dorfes Cumpe, das auf einer Anhöhe oberhalb der Brücke liegt. 38 Familien leben hier. Die meisten von ihnen haben durch die Gerölllawinen ihre Lebensgrundlage verloren: kleine Avocado- und Chirimoya-Plantagen am Lauf des Santa Eulalia.
Der Fluss fließt in den Rimac, den wichtigsten Wasserlieferanten der peruanischen Hauptstadt Lima. Zwischen dem 15. Januar und den 15. März mutierte der Santa Eulalia von einem gemächlich mäandernden Flüsschen zu einem wilden, alles mit sich reißenden Strom. „Der Regen hat den Fluss immer weiter anschwellen lassen, bis er die Brücke einfach mitgerissen hat. Wir haben noch nie so viel Regen gehabt“, sagt Salinas Pérez und schüttelt den Kopf. Sie organisiert die Verteilung der Hilfsgüter, die von der Caritas der Diözese Chaclacayo und der Agrarberatungsorganisation IDMA bereitgestellt wurden.
„Wir sind gezielt hierhergekommen, weil die Leute von jeglicher Versorgung abgeschnitten sind. Es wird Monate dauern, bis die Infrastruktur wieder hergestellt ist und sie ihre Plantagen wieder aufgebaut haben“, erklärt Rosalyn Toribio Medina, Direktorin der Caritas von Chosica. Rund zwei Fahrtstunden ist das dortige Caritas-Depot entfernt, von wo der Osten Limas mit Nothilfe versorgt wird.
Auf dem Weg bitten Leute lautstark um Hilfe
In der Lagerhalle stapeln sich Wasserkanister, Sanitärartikel, Kleidung und Lebensmittel, die von der Bevölkerung gespendet werden, aber auch durch Hilfsgelder eingekauft werden, so die Caritas-Verantwortliche, die sich derzeit gezielt darum kümmert, besonders abgelegene Orte wie Cumpe anzusteuern.
Das ist hart, denn auf dem Weg über Schotterpisten, die sich immer höher in die Berge schrauben, stehen immer wieder Leute, die lauthals um Hilfe bitten. Längst noch nicht überall in der östlich von Lima liegenden Bergregion, die von mehreren Flüssen durchzogen werden, ist ausreichend Hilfe angekommen.
Schlammlawinen: Mehr 250 Menschen sind am Samstag in Mocoa, im Süden Kolumbiens um Leben gekommen. Überschwemmungen und Lawinen trafen mitten in der Nacht die 345.000-Einwohner-Stadt Macoa.
Regen: Binnen weniger Stunden war soviel Regen gefallen, wie sonst im ganzen März.
Unterstützung: Bundesaußenminister Sigmar Gabriel erklärte, die Bundesregierung stehe bereit, Hilfe für die Opfer des Unglücks zu leisten.
Auch in Cumpe ist der peruanische Katastrophenschutz, die Policia de Rescate y Busqueda, in Person von Félix Huaman Azabache erst zum dritten Mal vor Ort. Der kräftige Brigadier von Anfang fünfzig koordiniert die Arbeit am Seilzug, den nicht er, sondern die Leute aus Cumpe und dem weiter entfernt liegenden San Pedro de Casta aufgebaut und finanziert haben. „So viel organisierte Selbsthilfe gibt es selten“, lobt Huaman Azabache und schickt das nächste Netz auf den Weg über den Fluss.
Junge Männer wie Antonio Calixtro, 22 Jahre alt und angehender Agrartechniker, haben den Seilzug aufgebaut, weil sie auf Hilfe von der Lokalregierung nicht warten wollten. „Die sind erst gekommen, als alles schon zerstört war“, kritisiert der Student, der am Seilzug Brigadier Huaman Azabache zur Hand geht. Vorbeugung gehe anders, ärgert er sich. Der Brigadier nickt zustimmend. „Einerseits haben wir derartige Regenfälle in den letzten 50 Jahren nicht erlebt, anderseits sind viele Gesetze nicht befolgt worden, sodass die Katastrophe ihren Lauf nehmen konnte“, sagt Huaman Azabache und gibt das Signal zum Übersetzen eines Caritas-Mitarbeiters auf die andere Seite.
Es sind, wie so oft, die Ärmsten, die alles verlieren
Eigentlich darf in Peru in einem Abstand von 50 Metern vom Ufer nicht gebaut werden. Doch links und recht vom Santa Eulalia stehen die Bauten teilweise nur drei, fünf Meter neben dem Flussbett – selbst die in der Region beliebten Ausflugslokale. Viele sind komplett zerstört, andere renovierungsbedürftig. Doch eigentlich dürfte keines wieder eröffnet werden, all diese Gebäude müssten abgerissen werden.
„Ob sich das durchsetzen lässt, steht in den Sternen“, erklärt der Brigadier. Er rollt mit den Augen und reibt Daumen und Zeigefinger aneinander. Korruption ist in Peru weit verbreitet. Sie hat es ermöglicht, dass links und rechts vom Rimac genauso wie an den Hängen von Hügeln und Bergen rund um Lima wild gebaut wurde, wo die gravierendsten Schäden festzustellen sind. „Ganze Siedlungen an Berghängen sind ins Rutschen gekommen, weil die Hänge nicht aus Fels, sondern aus Geröll und Sand bestehen“, ergänzt Caritas Direktorin Rosalyn Toribio Medina.
Es sind, wie so oft, die Ärmsten, die alles verlieren und nun in Zelten unter anderem am Ortseingang von Chaclacayo, einer der reichen Vorstädte Limas, untergebracht sind. Vermeidbar, wenn die Politik die aufgestellten Regeln durchsetzen würde. Doch das ist in Peru genauso wenig Usus wie die Bewilligung von ausreichend Mitteln für den Katastrophenschutz: „Unsere Einheit in Lima besteht aus 80 Polizisten. Das ist schlicht zu wenig“, kritisiert Brigadier Huaman Azabache, bevor er das nächste Signal gibt, diesmal für die nächste Fuhre mit Wasser und Sanitärbedarf.
Angesichts der Tatsache, dass in den letzten Jahren die Zahl der Naturkatastrophen mit Schlammlawinen, Überflutungen, aber auch Schneestürmen und Kältewellen in den Anden zugenommen haben, mehr als ein Indiz für die fehlende Weitsicht der staatlichen Institutionen. Immerhin wird denen derzeit gute Arbeit bei der Bewältigung der Krise bescheinigt.
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