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■ Klimagipfel in Kioto: Die Europäer werfen den USA vor, unverbesserliche Klimakiller zu sein. Doch es ist viel komplizierterDie europäische Arroganz

Jahrzehntelang galt Amerika als Vorbild im Umweltschutz. In den USA waren die Emissionsstandards für Autoabgase niedriger und der Anteil der unter Naturschutz stehenden Landesfläche um ein Vielfaches größer als anderswo. Jetzt aber scheinen die USA beim Klimagipfel in Kioto weit hinter die Europäer zurückzufallen. Wirklich?

In Kioto geht es in erster Linie um Mengenbegrenzungen und Zeitpläne. Dabei macht der europäische Vorschlag, die Treibhausgasemissionen real zu senken (15 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 bis 2010) einen besseren Eindruck als die von den USA vorgeschlagene bloße Stabilisierung der Emissionen (Rückkehr zum Stand von 1990 zwischen 2008 und 2012, danach nicht näher bezifferte Senkungen). Kritiker sehen darin ein Zurückweichen vor dem Druck der Wirtschaft und den Versuch, nötige Reduktionen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.

Unterstellen wir aber für einen Augenblick, daß der Vorschlag der USA ehrlich und ernst gemeint ist. Macht es Sinn, die Emissionen ansteigen zu lassen, um sie erst in 15 Jahren zu senken? Durchaus. „Haste makes waste“, heißt ein altes englisches Sprichwort (Eile verschwendet). Es ist billiger, neue und bessere Kraftwerke, Fabriken, Häuser und Autos zu bauen, als alte umzurüsten oder zu verschrotten. Jedenfalls macht es mehr Sinn, alte Investitionen zu amortisieren und das so gesparte Geld in die Entwicklung innovativer Technik zu investieren, als unausgereifte Techniken einzuführen.

Die Unterschiede zwischen den Vorschlägen von EU und USA liegen vor allem aber in den Methoden. Der europäische Vorschlag legt das Schwergewicht auf ein geplantes Ziel. Pläne aber werden bekanntlich selten eingehalten; problematisch wirkt auch, daß sie Kosten außer acht lassen. Und wenn es etwas gibt, das noch unsicherer ist als die Auswirkungen weltweiter Erwärmung, dann sind es die Kosten ihrer Vermeidung. Genau auf die aber konzentriert sich der US-Vorschlag des „Emission Trading“, der Ausgabe von Emissionsgutscheinen. Danach erhalten Betriebe (geschenkt oder durch Versteigerung) eine Anzahl Gutscheine im Wert von – sagen wir – 10 Dollar pro Tonne CO2, die verbraucht oder auf dem freien Markt gehandelt werden können. Wer mehr emittiert, muß zukaufen, wer Emissionen senkt, hat Gutscheine übrig, die er verkaufen kann. Dieses Verfahren, das sich in den USA bei der Senkung der Schwefeldioxidemission bewährt hat, läßt sich prinzipiell auch als internationale Börse organisieren. So könnten US-Firmen statt ihre Werke umzurüsten in China neue Anlagen gleich auf dem neuesten Stand der Technik bauen und für die in China eingesparten Emissionen ihre eigenen Stinker noch 10 Jahre qualmen lassen. Real und global käme eine Begrenzung der Emissionen dabei heraus.

Auch der Vorschlag, die sogenannten Senken in die Kohlenstoffbilanz einzubeziehen, läßt typisch amerikanische Businessman- Handschrift erkennen, ohne deswegen unbedingt schlecht zu sein. Investitionen in Kohlenstoffsenken wie Wäldern sind wie die Einzahlung auf ein lokales Konto, um andernorts bei einem Geldautomaten Geld abheben zu können. Wälder binden Kohlenstoff, während ihre Abholzung zum Treibhauseffekt beiträgt. Ebenso wie Emissionssenkung verbessert also auch die Aufforstung von Wäldern die Kohlenstoffbilanz. Wenn US- Firmen also im Gegenzug für ihre Emissionen zum Erhalt von Wäldern beitragen, ist das ebenso begrüßenswert, wie wenn sie ihre Emissionen senken. Wirklich gut ist keiner der Vorschläge, erklärt Jennifer Morgan vom Climate Action Network, einer Dachorganisation aller Klimaschutzgruppen. Auf die Frage, ob ihr der europäische oder der US-Vorschlag mehr zusagt, antwortet sie: „Sie entstammen völlig verschiedenen Welten.“

In der Tat spiegeln die Vorschläge präzise die unterschiedlichen historisch-politischen Verfaßtheiten. Europäer sind an staatliche Bestimmungen gewöhnt, US- Bürger akzeptieren staatliche Regulierungen nur widerwillig. Vor allem Steuern sind ein Tabu. Clintons Versuch, über Steuern den US-Energieverbrauch zu beeinflussen, scheiterte kläglich. So ist der Rekurs auf Marktmechanismen in den USA der einzige Weg, um Umweltziele durchzusetzen. Und womöglich ja auch der bessere. Zudem mißtrauen US-Bürger schon ihrer eigenen Regierung – internationale Aufsichtsbehörden sind ihnen erst recht suspekt. Während sich Europäer daran gewöhnt haben, Teile ihrer Souveränität an die EU abzutreten und sich ein internationales Regime zur Kontrolle von Emissionen vorstellen können, denken US-Bürger dabei gleich an internationale Konspiration.

Europa hat den Sozialstaat hervorgebracht und schickt sich an, diesen zu globalisieren. Nichts anderes ist letztlich die Idee einer bindenden Klimavereinbarung: ein global und für die Zukunft hochgerechnetes Sozialstaatsprojekt. Dagegen spricht nichts – man sollte nur konzedieren, daß Klimaschutz prinzipiell auch anders denkbar ist. In der europäischen Tradition ist Armut Gegenstand kollektiver und staatlicher Verantwortung. Dieses Bewußtsein verlängert sich über nationale Grenzen hinaus in die Entwicklungshilfe, die aus europäischer Sicht gewissermaßen die Sühne für die kolonialistische Sünde ist.

Dies ist die Folie der europäischen Argumentation in Kioto. Nur auf diesem Hintergrund versteht sich die Fürsorgepflicht für eine noch nicht geborene Generation in Weltgegenden, die von den Klima-Umschwüngen heimgesucht würden. US-Bürger aber empfinden nicht einmal die Armut im eigenen Lande als etwas, wofür sich die Gesellschaft als Ganzes – und der Staat schon gar nicht – verantwortlich fühlen sollte. Und eine Kolonialmacht waren die USA nie. Kurzum: Daß US-Bürger sich heute für die Enkelgeneration von Bengalis verantwortlich fühlen sollen, ist ein moralisches Postulat, das in den USA kaum Widerhall findet. Das macht Klimaschutz nicht unmöglich, schreibt aber andere Wege vor. Da sich ein globaler Temperaturanstieg für tropische und subtropische Landstriche, für Küsten- und Gebirgsregionen sehr verschieden auswirken würde, kann es kein globales Regime geben, das mit allen Problemen fertig wird. Der US-Plan setzt deshalb auf die Schaffung von Rahmenbedingungen, die Technologietransfer, Einzelinitiativen, Absprachen unterhalb staatlicher oder supranationaler Autorität und dezentrales Herangehen ermöglichen. Falsch ist der Gedanke nicht. Peter Tautfest

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