Klimafarm in Schleswig-Holstein: Das Moor wird wieder nass
Auf einem früheren Viehhof ist der ökologische Wandel zu besichtigen. Das Ziel: Landwirtschaft auf wiedervernässten Flächen profitabel machen.
Während die vier Versammelten von den Anfangsmonaten ihres Projekts berichten, witzeln sie untereinander, ergänzen und präzisieren sie einzelne Aspekte des vorher Gesagten. „Und das Coole daran ist ja …“, kommt es dann von der einen Ecke des Tischs, wenn gerade an der anderen Ecke ein Satz beendet wurde.
„Es ist natürlich etwas wild hier“, sagt Elena Zydeck, sie hat als Projektleiterin den Hut auf. Sie und ihr Team arbeiten am selbstgesteckten „Pionierhaften“. Doch tritt man vor die Tür, befindet man sich nicht in der Stadt, wo man die Eindrücke von innen verorten würde, sondern mitten in der schleswig-holsteinischen Prärie: in der Eider-Treene-Sorge-Niederung, Gemeinde Erfde, Ortsteil Ekel, noch genauer – auf einem früheren Milchviehbetrieb.
Das kleine verklinkerte Gebäude war früher das Betriebsgebäude des Hofs, der sich dahinter auf rund eineinhalb Hektar erstreckt. Drumherum befinden sich kilometerweit hügellose Äcker auf einer früheren Moorlandschaft.
Die ökologische Transformation der Landwirtschaft
Irgendwie soll hier tatsächlich eine Geschäftsidee zum Gelingen gebracht werden. Zuvorderst ist das Projekt-Team hier, um eines der zentralen Klimaprobleme ganz konkret und so umfassend wie kaum anderswo anzugehen – wie die enormen CO2-Emissionen durch die landwirtschaftliche Nutzung beendet werden.
Viel wichtiger noch: Die einst trockengelegten Ackerflächen sollen wieder vernässt und wie früher zu einer Moorlandschaft werden. Danach sollen sie trotzdem landwirtschaftlichen Ertrag abwerfen. Deshalb ist der Bauernhof, auf dem einst Viehwirtschaft betrieben wurde, nun eine selbsternannte Klimafarm, die eine andere Form der Landwirtschaft ins Rollen bringen soll.
Die WG im Moor besteht aus fünf Personen mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen. Der 27-jährige Mathes Holling etwa ist Betriebswirt und damit der Praktiker des Hofs. Zuvor hatte er auf einem konventionell betriebenen Hof in der Nähe gearbeitet. „Da habe ich aber schon gemerkt, dass die Landwirtschaft so nicht weitergehen kann“, sagt er. Immer mehr Milchbauern etwa müssen im Zuge des Preisdrucks aufgeben.
Und die Erträge auf den Feldern hier in der Region sind immer schwieriger zu halten: Früher war die Niederung eine riesige Moorlandschaft, doch wie auch in weiten Teilen Norddeutschlands wurde im 19. Jahrhundert mit der Trockenlegung begonnen, um die Flächen bewirtschaften zu können.
Der Teufelskreis auf den Moorböden
Das kommt nun aber an ein Ende. Sinkt das Wasser im Boden, kommt der Torf in Berührung mit Sauerstoff und emittiert CO2. Das ist nicht nur fürs Klima ein riesiges Problem. Bundesweit werden so rund 44 Millionen Tonnen CO2 jährlich aus entwässerten Moorböden freigesetzt – das entspricht etwa 5 Prozent der Gesamtemissionen der Bundesrepublik.
Durch diesen Abbau des Bodens sackt auch die Oberkante kontinuierlich ab und die Qualität des Bodens verschlechtert sich für die Landwirtschaft. Und das wiederum könnte nur durch eine weitergehende Abtrocknung des Bodens behoben werden – ein Teufelskreis.
Der soll hier nun durchbrochen werden. Was dabei am Ende entstehen soll, befindet sich in drei meterhohen weißen Säcken einsam in der Scheunenecke. Ein bisschen Heu liegt daneben, und weil links davon mehrere Anhänger, ein alter roter Trecker und weitere, mitunter verrostete landwirtschaftliche Gerätschaften stehen, sind die Säcke leicht zu übersehen.
„Dabei ist das Mahdgut darin die erste kleine Ernte nasser Moorböden“, sagt Holling und nimmt eine Handvoll getrockneter Gräser aus dem vorderen Sack und zeigt auf die unterschiedlichen Blüten etwa des Rohrglanzgrases oder einiger Binsen.
Die drei Säcke sollen nur ein klitzekleiner Anfang von etwas Großem sein. Aus der Ernte vom Moor sollen Rohstoffe für Dämm- oder Verpackungsstoffe in der Industrie werden. Häuserwände zum Beispiel könnten mit dem Material gedämmt werden. Auch könnten Gras und Schilf in Biogasanlagen zum Einsatz kommen.
Die Klimafarmer sollen erproben, wie eine optimale Bewirtschaftung der nassen Moorflächen aussehen muss und was konkret angepflanzt werden soll, damit aus der Ernte der Rohstoff für eine ganze Reihe von Produkten wird. Und sie müssen nebenbei beweisen, dass sich das Wirtschaften auch finanziell lohnt.
Abgesehen von der kleinen Probeernte ist das Team allerdings noch lange nicht so weit, in den regelhaften Alltagsbetrieb einer Moorbewirtschaftung zu gehen. Erst einmal müssen die Ackerflächen wiedervernässt werden. Am hinteren Ausgang des ehemaligen Kuhstalls wird der Acker leicht abschüssig, der Blick über die Niederung endet erst nach einigen hundert Metern durch eine alte Hecke und wenige Bäume.
Auf diesen Feldern hat die gelernte Biologin Wiebke Schuster nun die Aufgabe, die Wiedervernässung der Flächen zu planen und zu koordinieren. Ein Schritt zurück, um zwei nach vorn zu machen – das ist hier die Devise. „Dämme etwa müssen dafür dann aufgeschüttet, Rohre verlegt werden“, sagt Schuster und zeigt auf die linke Begrenzung des Feldes.
Neue Pläne für den alten Kuhstall
Im Mai stand Projektleiterin Zydek das erste Mal auf dem Hof. Jahrelang hat sie schon Klimaschutzprojekte für Kommunen und in der Landwirtschaft organisiert, seit vier Jahren betreibt sie mit ihrem Mann einen Bioland-Milchviehbetrieb im Kreis Schleswig-Flensburg. „Damals im Mai war hier eine große Leere“, sagt sie. Im Stall zeigt sich, was Zydek damit meint: In der großen Halle standen voriges Jahr noch die Kühe des ehemaligen Besitzers, der wie viele andere Milchviehbetreiber aufgegeben hat.
Heu liegt noch auf dem Boden, aus dem Spaltenboden dringt noch der Güllegeruch nach oben, am seitlichen Eingang zum Laufstall liegen auch noch ein paar Kuhfladen herum. „Hier wollen wir später die Ernte lagern“, sagt Holling. Vielleicht könnte auch noch ein großer Trockner sowie eine Mühle hineinpassen.
Früher Milchvieh-, heute Moorwirt: Das öffentlich finanzierte Projekt soll zeigen, dass die Transformation möglich ist. Wenn es das nicht schafft, wird sich kaum ein Landwirt in der Region daran ein Beispiel nehmen. Dann wird wohl niemand von dem Projekt profitieren. Nicht das Klima, nicht der Landwirt. „Wir spüren auch den Druck, dass das Projekt gelingen muss“, sagt Zydeck.
Der Druck ist auch da, weil mehrere Institutionen richtig viel Geld für die Klimafarm bereitgestellt haben. Die Farm ist ein Projekt der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein. Das Bundesumweltministerium hat mehr als 12 Millionen Euro gegeben, weitere rund 3 Millionen Euro kommen von der Stiftung. Auch die Universität in Kiel ist mit an Bord.
Vom Büro auf den Acker
Dass seitens der Bundes so viel Geld dafür bereitsteht, ist der Anfang November endlich beschlossenen Moorschutzstrategie zu verdanken: Die Bundesregierung hatte Umweltministerin Steffi Lemcke (Grüne) mit dem Beschluss 4 Milliarden Euro zur Umsetzung solcher Projekte zur Verfügung gestellt – die Klimafarm ist also eine erste Folge dieser Finanzierung.
Es gibt in der Bundesrepublik noch drei weitere Pilotprojekte in Vorpommern, in der Prignitz und im Allgäu, die Bewirtschaftungsformen auf landwirtschaftlich genutzten, wiedervernässten Moorböden erproben sollen, doch die Klimafarm in Erfde hat einige Besonderheiten: Durch die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein stehen in einem Umkreis von 16 Kilometern insgesamt rund 400 Hektar Acker zur Verfügung, auf denen ein Wirtschaftsbetrieb ausprobiert werden kann.
Dadurch und durch den Kauf des ehemaligen Milchviehbetriebs ist die notwendige Infrastruktur vorhanden. Bei den anderen Projekten müssen etwa erst noch Landwirte in der jeweiligen Umgebung überzeugt werden, bei dem Projekt mitzumachen, und die Wiedervernässung ihrer Äcker zulassen. In Erfde kann das fünfköpfige Team der Klimafarm unmittelbar loslegen.
Das Loslegen beschränkt sich gerade aber eben noch vor allem auf die Arbeit am Computer: Zydeck sitzt gerade an der Ausschreibung für die Suche nach einem Landwirt. Der wird hier noch in Vollzeit gebraucht. Holling muss noch eine Ausschreibung für den Anhänger fertig machen, der dringend benötigt wird. „Und ich brüte weiter über den Karten für die Vernässung“, sagt Schuster.
Noch ist die Klimafarm in der Start-up-Phase. Bald wollen sie weniger Zeit am Computer verbringen und dafür mehr auf dem Acker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken