Klima und Windräder: Bepreistes Ja
Beim Streit muss es nicht immer entweder oder sein. Ein bezahltes Entgegenkommen könnte Lösung sein bei diplomatischen Herausforderungen.
G uten Tag. Mein Name ist Ariane und ich bin harmoniesüchtig. Puh. Jetzt ist es raus. Für meine Karriere im Streitbusiness des taz-Meinungsressorts ist das natürlich ein peinliches Eingeständnis. Vielleicht meldet sich ja das Auswärtige Amt bei mir. In Krisen vermitteln kann ich ganz gut. Schon als Kind hab ich, wenn am Familientisch mal Stunk aufzog, mit stressschweißnassen Händen, versucht, der einen Seite (Mama) die andere Seite (Papa) zu erklären.
Leider ist der beste Freund von allen genauso drauf wie ich. Streit bei uns heißt, dass einer zum anderen sagt: Du, darf ich dich darum bitten, mal deinen Kram da wegzuräumen? Im schlimmsten Fall ist einer mal beleidigt und fängt an zu weinen (ich) oder zu schweigen (er). Weil keiner von uns das lange aushält, ist der Kram, den wir am schnellsten wegräumen, der zwischen uns. Trotzdem ist das natürlich verheerend. Ich weiß, dass meine Sucht zerstörerisch ist.
Alle Paartherapeuten beten es rauf und runter: Sich ordentlich streiten zu können ist wichtig. Allerdings – das ist mir diese Woche im großen Wie-wird-die-neue-Regierung-Gesummse aufgefallen – ist Harmoniesucht viel verbreiteter, als ich dachte. Der häufigste Satz, den ich hörte, war: Wie harmonisch kann das werden in der Ampel. Wo wird’s knallen und wann? Und ich dachte, häh? Warum sollen die sich vertragen, ist doch kein Kaffeekränzchen. Die sollen Politik machen und da gehört Streit dazu.
Sie merken schon, wenn’s um andere geht, bin ich ganz schlau. Dabei bin ich vor allem neidisch auf alle, die sich selbstbewusst die Fetzen um die Ohren hauen, ob am Kabinettstisch oder auf Twitter. Vielleicht, dachte ich dann, ist das, was bei anderen so glamourös zornig aussieht, auch nur die Suche nach Zustimmung, Bestätigung, am Ende Liebe – zumindest für die eigenen Ideen vom Leben.
Das würde erklären, warum trotz Dauerstreits auf allen Kanälen und der angeblich kurz bevorstehenden Spaltung der Gesellschaft sich gefühlt wenig bewegt. Am ehesten vielleicht bald an der Front zwischen denen, die sich – aus mir immer schleierhafter werdenden Gründen – nicht impfen lassen und denen, die darüber immer verzweifelter werden – wenn es hoffentlich bald eine allgemeine Impfpflicht gibt.
Kein Streit mit Gewinnern
Klar, das wäre echt mal kein durch demokratisch-konstruktiven Streit gewonnener Fortschritt, sondern durch regieren – aber es wäre ein Fortschritt, der Menschenleben rettet, und da gibt’s eigentlich wenig zu diskutieren. Die völlige Missachtung der Unversehrtheit anderer verdient weder Respekt noch Applaus. Wahrscheinlich ist echter Streit, also welcher, wo es nicht nur darum geht, sich bei der eigenen Peergroup zu profilieren, für die meisten Menschen schwer auszuhalten.
Weil er immer beide Seiten was kostet, keiner kommt als Gewinner raus. Die immer noch lachenden Gesichter von Putin, Xi Jinping und Konsorten zeigen auch, dass manche die von mir geschätzte Diplomatie auch einfach ignorieren können wie einen schlechten Geruch. Deshalb bin ich echt mal gespannt, was Baerbock als Außenministerin an „Dialog und Härte“ zu bieten hat.
Sich von Despoten und Menschenverächtern nicht mehr nur auf der Nase rumtanzen lassen zu wollen, macht sie mir gerade echt sympathisch. Mal gucken, wie sie das schafft. Neulich hörte ich im Radio vom Konzept des bepreisten Ja. Das klingt so neoliberal, das müsste der FDP gefallen. Aber die Idee ist gut: Statt entweder für oder gegen, sagen wir mal Windräder zu sein, zu sagen: Ich bin dafür, dass sie vor meiner Haustür stehen – zu dem Preis.
Mir gefällt das, es erinnert mich an das Beste, was ich aus langer Therapie mitgenommen hab: Ich muss gar nicht darauf warten, dass andere sich ändern. Ich hab eine Wahl. Auch wenn sie nicht immer meine Traumoption sein mag. Sprich: Ich kann mich entweder darum streiten, dass mein Freund den Müll runter und das Geschirr in die Maschine bringt. Oder es selbst machen und den Preis sehen – nämlich dass er dafür alles, was kaputt ist, ganz wunderbar repariert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!