Kleines Theater in Köpenick vor dem Aus: Der Hauptmann von Köpenick hätte kurzen Prozess gemacht
Das Schlossplatztheater Köpenick gibt jährlich rund 70 Vorstellungen. Doch zum Januar wird dem kleinen Theater die komplette Förderung gestrichen.

An diesem Tag sind es weit weniger. Trotzdem haben einige von ihnen in guter deutscher Pauschaltourist*innenmanier ihre Sitze mit Jacken reserviert. Denn eine Platzzuweisung gibt es nicht und die besten Plätze wollen reserviert sein, während in der liebevollen Bar im Zimmer hinter der Bühne das Glas Rotwein für 2,50 Euro getrunken wird.
Auch einen Gong, das den Beginn der Vorstellung ankündigt, gibt es nicht. Nachdem die Zuschauer*innen nach und nach Platz genommen haben, huscht die Person, die eben noch die Gäste in der Bar bedient hat, durchs Publikum und setzt sich in der letzten Reihe an das spärlich beleuchtete Inspizientenpult. Es wird dunkel. Aus der gleichen Tür, die zur Bar führt, treten die drei Schauspieler*innen auf die Bühne. Das audiovisuelle Live-Hörspiel „Tannöd“ nach dem gleichnamigen Roman von Andrea Maria Schenkel beginnt.
In der etwas über eine Stunde dauernden Inszenierung nehmen die drei Spieler*innen das Publikum mit auf den Hof der Denners im Jahr 1922 und gehen dem Mord an der fünfköpfigen Familie und ihrer Magd nach. Mit digitalen Soundflächen und analog hergestellten Alltagsgeräuschen wie dem Schälen einer Kartoffel sowie einer mit Projektionen bespielten Leinwand im hinteren Teil der Bühne erschaffen die Spieler*innen einen Abend, der fesselt. Am Ende wird klar: Es war ein erweiterter Femizid. Der Inspizient klatscht den Applaus an, weil sich niemand traut, als erste*r zu applaudieren.
Für kleine Theater geht es um die Existenz
Als der Applaus abebbt, wendet sich eine Schauspielerin ans Publikum. Denn die kleine Kultureinrichtung am Rande der Stadt steht vor dem Aus: Ohne Vorwarnung wurde die Förderung der Senatskulturverwaltung ab 1. Januar komplett gestrichen. Während im Rahmen der Debatte um die Kulturkürzungen alle auf die großen Häuser blickten, geht es für kleine Theater um die Existenz.
Im Gegensatz zu „Tannöd“ braucht man für die Bedrohungslage des Schlossplatztheaters keinen Schuldigen zu erfinden. Mit seinen Kürzungen und der damit einhergehenden drohenden Schließung bedrohen CDU und SPD die kulturelle Vielfalt und politische Bildung, vor allem auch junger Menschen außerhalb des Stadtzentrums. Stücke wie „Queere Tiere“ und „Das Ende des Kreises“ über mentale Gesundheit können künftig nicht mehr stattfinden. Ebenso wie das Junge Schlossplatztheater, bei dem Jugendliche selbst auf der Bühne stehen.
Nur wenige Meter vom Theater entfernt steht eine Statue des Schuhmachers Wilhelm Voigt, der 1906 die Stadtkasse plünderte und mit dem Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ Berühmtheit erlangte. Den Bürgermeister zu verhaften und die Stadtkasse zu rauben, würde in diesem Fall allerdings nicht helfen. Zumindest Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) setzt sich dafür ein, das Theater zu retten, und appelliert an den Senat, die Kürzungen zurückzunehmen.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert