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Kleiner Parteitag der GrünenVon Kretschmann lernen

Der kleine Parteitag der Grünen ist die offizielle, groß angelegte Wahlnachlese. Kretschmann ist gekommen, um seiner Partei ins Gewissen zu reden.

Simone Peter, Anton Hofreiter und Winfried Kretschmann pflanzen Foto: dpa

Berlin taz | Winfried Kretschmann fügt sich dem Unvermeidlichen. Baden-Württembergs Ministerpräsident zieht sich Arbeitshandschuhe an, greift sich die Schaufel und pflanzt eine Rebe der Tafelweintraube „Georg“ in den Hof der Uferhallen im Berliner Stadtteil Wedding. Wieder ist ein trister Asphaltplatz ein bisschen grüner geworden. So soll es, ginge es nach den Grünen, nach 2017 in ganz Deutschland sein.

Kretschmann ist nach Berlin gekommen, um seiner Partei ins Gewissen zu reden. Was lernen die Grünen von Kretschmann, der bei der Landtagswahl gut 30 Prozent schaffte? Von jenem Mann, der die CDU düpierte – und jetzt über Grün-Schwarz verhandelt? Sind die Grünen gar eine neue Volkspartei?

Antworten gibt es viele, die Grünen sind bekanntlich eine diskursfreudige Partei. Doch der kleine Parteitag, zu dem am Samstag Spitzenleute aus der ganzen Republik anreisten, war die offizielle, groß angelegte Wahlnachlese. Auf erstaunlich viele Punkte, das vorab, konnten sich alle einigen – doch einige Deutungen gehen naturgemäß auseinander.

Kretschmann beginnt vorn auf der Bühne, die die Regie mit einem bunten Blumengesteck geschmückt hat, mit Optimismus. Die deutsche Gesellschaft ticke viel offener, sozialer und ökologischer, als es sich die CDU – und manche Grüne – vorstellen würden, ruft er. „Wir müssen uns an die Spitze der Entwicklung stellen – und diesen Dingen nicht hinterher bellen.“ Die Botschaft der Grünen in Baden-Württemberg sei „ökologische Modernisierung und Prosperität“ gewesen.

Der Oberrealo

Kretschmann hat mit diesem Versprechen massiv Wähler von SPD und CDU zu den Grünen gezogen. Er verteilt ein paar Spitzen an den linken Parteiflügel. Die Grünen bräuchten klare Grundsätze, findet er, müssten diese aber „elastisch und flexibel“ handhaben. Er sagt: „Auch auf Umwegen kommt man ans Ziel.“ Die Partei müsse Bündnisse schmieden und dürfe keine Angst vor Kompromissen haben. Nur so könne sie „wachsen und die Republik prägen.“

Das dominierende Thema von Kretschmanns Wahlkampf war die Flüchtlingspolitik. Der Oberrealo hatte schon 2014 einer Asylrechtsverschärfung im Bundesrat zugestimmt. Damals war die Empörung bei den Grünen groß. Im Herbst 2015, als Angela Merkels Koalition erneut Verschärfungen im Tausch gegen Finanzhilfen für die Länder vorschlug, stimmten neben Baden-Württemberg mehrere andere grün-mitregierte Länder zu. Kretschmann hatte sich im Wahlkampf offensiv an die Seite Merkels gestellt und ihre Flüchtlingspolitik gelobt.

Dann sagt Kretschmann einen entscheidenden, sehr ehrlichen Satz. „Wenn man selbst nix anders auf den Tisch legen kann, dann muss man mäßige Lösungen mittragen – und sich mit Globalkritik zurückhalten.“ Das ist eine unbequeme Wahrheit für viele in der Partei. Denn eins bestreiten führende Grüne nicht, lassen sich aber ungern damit zitieren: Während der Flüchtlingsdebatte drückten sich die Grünen um die Frage herum, ob und wie sie die unkontrollierte Einwanderung Hunderttausender in den Griff bekommen wollten. „Ganz klar: Da fehlte uns ein Konzept“, sagt ein Stratege aus der Fraktion.

Am Rednerpult fallen immer die gleichen Worte. Orientierung bieten. Verantwortung übernehmen. Eigene Konzepte anbieten, statt nur zu meckern. Und, ach ja, der Klassiker: „Haltung zeigen.“ Diese Floskel benutzen grüne RednerInnen so inflationär, dass die taz eine Strichliste führt. Das unvollständige Ergebnis: Grüne zeigen mindestens 18 Mal Haltung, rein sprachlich natürlich, allein auf 6 Mal kommt Fraktionschef Anton Hofreiter. Wirklich neue Deutungen liefert der Länderrat nicht, das allermeiste war in den Wochen zuvor gesagt und geschrieben worden.

Umwelt und Wirtschaft

Doch in der Debatte über die Wahlen werden ein paar entscheidende Nuancen deutlich. Parteichef Cem Özdemir weist zum Beispiel darauf hin, worum es bei der ökologischen Modernisierung gehe. Umwelt und Wirtschaft seien für Grüne kein Gegensatz mehr, sagt er. „Nein, sie bedingen einander geradezu.“ Wenn Grüne über Gerechtigkeit redeten, dann lieferten sie sich keinen Überbietungswettbewerb mit der Linkspartei, wer mehr Geld umverteile. Stattdessen müsse der Bildungserfolg endlich von der Herkunft abgekoppelt werden.

Das ist so ein grüner Dissenz. Die einen wollen hauptsächlich in Kitas, Schulen und Universitäten investieren – und dafür weniger Geld in klassische Sozialtransfers stecken. Hartz IV-Empfänger sind eben keine typischen Grünenwähler. Die anderen definieren Gerechtigkeit auch über Umverteilung des Reichtums. Solche Konflikte werden jedoch erst im Laufe des Jahres zutage treten. Die Grünen planen einen Gerechtigkeitskongress, ein Parteitag wird sich im Herbst mit dem Thema beschäftigen.

Vor Özdemirs Rede macht in der Halle das Gerücht die Runde, er könne gleich sein Interesse an der Spitzenkandidatur 2017 erklären. Doch Özdemir verliert kein Wort zu seinen Ambitionen. Dennoch gehen viele davon aus, dass er schon bald seinen Hut in den Ring werfen wird. Er wäre – neben Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck, Hofreiter und dem Basisgrünen Robert Zion – der vierte Mann, der sich für den Platz interessiert. Katrin Göring-Eckardt werden gute Chancen auf den Frauenplatz in dem Spitzenduo nachgesagt.

Kein „Dienstwagen im Kopf“

Wenig überraschend ist, dass der Erfolg in Baden-Württemberg von einigen mehr, von anderen weniger euphorisch interpretiert wird. Hessens Fraktionschef Mathias Wagner sagt, die Grünen dürften diese „Riesenchance“ nicht selbst kleinquatschen. Gerhard Schick, linker Grüner und Finanzexperte der Bundestagsfraktion, betont: „Wir dürfen nicht schon gedanklich den Dienstwagen im Kopf haben.“ Wenig später stellt Göring-Eckardt in ihrer Rede salomonisch fest, dass kein Grüner die Wahlergebnisse egoistisch in der Flügellogik interpretiert habe.

Damit liegt sie richtig. Die Grünen präsentieren sich seit den Wahlen weitgehend geschlossen, und sie halten das selbstverständlich auch auf dem Länderrat durch, der einer strengen Regie folgt. Außerdem räumen sie eine kleine Hürde für eine Regierungsbeteiligung im Bund beiseite. Die Delegierten beschließen einstimmig, die Satzung zu Basisbefragungen zu ändern. Der Hintergrund: Ein Parteitag soll 2017 entscheiden, ob und mit wem die Grünen Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Über den fertigen Koalitionsvertrag will die Partei dann alle Mitglieder entscheiden lassen – wie es auch die SPD 2013 getan hat.

Falls also die Grünen 2017 erfolgreich mit Merkel über Schwarz-Grün verhandeln oder mit SPD und Linken über Rot-Rot-Grün, dann kann die Basis nun schnell darüber entscheiden. Eine Regierungsbildung zu Ostern 2018, betont Michael Kellner, könne man der Bevölkerung nicht zumuten.

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9 Kommentare

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  • „Auch auf Umwegen kommt man ans Ziel.“

     

    Als ob Kretschmann noch linke Ziele hätte. Beim "Marsch durch die Institutionen" sind die Grünen doch längst an den Fleischtöpfen kleben geblieben.

  • Wenn eine Partei seit Jahr und Tag tapfer für die Rüstungslobby eintritt, dann sind es die GRÜNEN.Die Grünen wollen es nicht wahr haben ,das sie erhebliche Mitschuld an der Eurokrise haben, weil Deutschlands Lohndumping mit ihrer Zustimmung geschehen ist. In Deutschland hat der lohnpolitische Kahlschlag unter Rot-Grün begonnen.Diese Krise war schon lange angelegt, bevor Frau Merkel an die Macht kam. Dass ihre Politik die Krise verschärft, ist keine Frage. Wer aber die Spaltung Europas am Ende nicht verhindern hilft, ist der, der die bisherige Anpassung des Lohnniveaus in der Euro-Zone auf deflationärem Wege nicht scharf kritisiert. Wer nicht explizit über viele Jahre massive Lohnsteigerungen in Deutschland fordert, kann für sich nicht in Anspruch nehmen, gegen den aufkommenden Nationalismus in Europa sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen zu haben.

  • Was tun? Eat the Rich! - Vor allem @Stroheker Claus möchte ich hier antworten: Endlich nicht mehr auf die parlamentarische Demokratie setzen. Denn diese richtet noch jede progressive Partei, jeden progressiven Politiker systemisch zu, wenn sie jemals ans Regieren kämen. Das Scheitern solcher "Reformregierungen" (Bill Clinton, Schröder/Fischer, Obama) haben die letzten Jahrzehnte überdeutlich gezeigt. Hier ist grundsätzlich nichts mehr zu erwarten. - Es kommt also auf uns an, alternative Wirtschafts- und Lebensformen zu entwickeln und zu leben. In den Ländern der Krise - wie Spanien oder Griechenland - gelingt dies bereits in großem Maßstab. Der Dokumentarfilm "Projekt A" zeigt dies sehr eindrucksvoll. Deutschland bekommt demnach erst dann eine Chance zur Transformation, wenn es möglichst vielen Menschen "schlecht" geht. Eat the Rich!

    • @Albrecht Pohlmann:

      Danke für Ihre Antwort.

       

      Ich bin noch geprägt von dem Satz, Politik sei das Reden und Diskutieren, notfalls auch das Streiten darüber, wie wir zukünftig leben möchten.

      Und dies verweist meiner Meinung nach auf die Gesetz gebende Körperschaft, also vorrangig den Bundestag, und auf die darin mitwirkenden Parteien.

       

      Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass dies womöglich eine zu enge Sichtweise ist.

       

      Ich befürchte, dass speziell bei uns in Deutschland die Rechte zunimmt und stärker wird, wenn es den Menschen "schlecht", oder auch nur "schlechter" geht.

      Nicht nur die deutsche Geschichte in der Zeit der WEIMARER REPUBLIK, auch das Aufkommen von PEGIDA und auch der AfD sehe ich als Indiz dafür, dass diese Hypothese stimmt.

      Die Deutschen sind vermutlich zwanghaft ordnungs- und ruheliebender als andere Völker - warum auch immer.

  • Das andauernde Insistieren auf der "Flüchtlingspolitik" vernebelt immer öfter entscheidende Sachverhalte. Stattdessen hier Kretschmanns Erfolgsrezept, damit auch mal Grüne an die Macht gelassen werden: Unternimm nichts gegen die Kriegs- pardon: die "Sicherheitsindustrie" im Ländle, ebensowenig wie gegen die Autoindustrie und die vereinigte Bau- und Immobilienmafia ("Stuttgart 21"). Tu überhaupt den Kapitalisten (Özdemir: "Wirtschaft") nicht weh. Rühre nicht an tiefenstaatliche Strukturen (Mord an Michèle Kiesewetter) oder an traditionelle Connections des Establishmenets mit der italienischen Mafia (Oettinger - 2010 hat sich die TAZ noch mehr getraut: http://www.taz.de/!5146290/). Und auch sonst an keine weitere Mafia (s.o.). - Wenn die Grünen solche Regeln beherzigen, dann können sie bald überall mitregieren. Ihre systemische Existenzberechtigung bestünde dann darin, den Teil des Bürgertums zu binden, der wohlhabend genug ist, um "liberal" und "grün" zu sein.

    • @Albrecht Pohlmann:

      Zustimmung. Es backt, unter der derzeitigen etablierungs- (d.h. einfleischungs-) und respektabilitätsheischenden Verfassung dieser Partei welche sich überwiegend konfliktverweigernd im Medien-Showgeschäft ergeht, zusammen was zusammen gehört.

       

      Es wird eine weiterhin neoliberal geprägte, softautoritäre antidemokratische Koks-Koalition im Land wie auch möglicherweise im Bund geben, mit grünem Anstrich, keine Kiwi-Koalition.

       

      Mit Beharren auf dem Status quo. Die Umweltkrise wird mit einigen Windrädchen befriedet, die Autoindustrie darf herrschen. Die DUH darf sich dagegen abkämpfen, ohne gebührende grüne Unterstützung.

       

      Herr Kretschmann, Häuptling "fremde Federn", erstrahlt im Glanze der PR-Medien. "Der Käs ist gegessen".

       

      Keine Phantasie. Keine Impulse. Nichts. Eine überflüssig gewordene Personenkult-Partei.

      • @Ulrich Frank:

        Ich stimme mit beiden Kommentaren überein.

         

        Für mich bleibt nur die Frage offen, wem ich bei kommenden Wahlen meine Stimme(n) geben kann.

         

        Bis 2005 habe ich SPD gewählt, danach die GRÜNEN.

         

        Zuerst "verlor" ich - nicht allein, jedoch vor allem wegen Schröder's "Reformen" - das Vertrauen zur SPD, in den letzten zehn Jahren "verschwand" zunehmend das Vertrauen zu den GRÜNEN.

         

        Die LINKE kann ich nicht wählen, wegen des Einflusses der Westdeutschen in ihr.

         

        Die anderen Parteien sind für mich von Anfang an unwählbar (CDU, FDP usw.) oder zu klein (soll heissen, eine Partei zu wählen, die sehr wahrscheinlich an der Sperrklausel scheitert, betrachte ich als sinnlos).

         

        Was tun?

        • @Der Allgäuer:

          Die LINKE kann ich nicht wählen, wegen des Einflusses der Westdeutschen in ihr."

          > Ach, haben die Westdeutschen nur bei der LINKEN Einfluß?

           

          "Was tun?"

          > In ihrem Falle am besten eine eigene Partei gründen. Aber Vorsicht, dass keine Westdeutschen Einfluss darauf nehmen!

          • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

            Nein, GRAUZONE, natürlich haben nicht nur Westdeutsche bei der LINKEN Einfluss.

            (Nebenbei, ich bin Westdeutscher, genauer gesagt: Südwestdeutscher.)

             

            Mit meinem - missverständlichen - Hinweis wollte ich nur sagen, dass die Dogmatiker und Rechthaber unter den westdeutschen Mitglieder der LINKEN verhindern, dass die LINKE sich reformerischer ausrichten kann, und das wäre nach meiner Einschätzung die Voraussetzung dafür, dass sie insgesamt erfolgreicher werden könnte.

            Kurz und provokant gesagt: Mit dem Marx und dem Engels von vorgestern wirst du heute und morgen nicht punkten können, sondern nur abschrecken.

             

            Ihre Anmerkung zu einer eigenen Partei möchte ich damit beantworten, dass wir in Deutschland (und vielleicht auch in Westeuropa) tatsächlich eine neue Partei brauchen würden - so in die Richtung der ehemaligen Eurokommunisten.