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Kleine Parteien vor der Berlin-WahlEine schwere erste Hürde

Um zur Abgeordnetenhauswahl anzutreten, müssen alle dort nicht vertretenen Parteien 2.200 Unterschriften vorlegen. Bis Dienstag haben sie Zeit.

Wahlwerbung: Felix Werth von der Partei für Gesundheitsforschung sammelt Unterschriften Foto: Volkan Agar

Mit Klemmbrett und einer weißen Fahne am Rücken geht Felix Werth auf dem Tempelhofer Feld wieder mal von Person zu Person. Der hagere junge Mann mit Pferdeschwanz gleitet von spazierenden Pärchen zu sitzenden Familien und spricht auch Hundebesitzer freundlich an. Im vergangenen Jahr hat er mit anderen die Partei für Gesundheitsforschung gegründet. Nun sammelt er Unterschriften, damit sie bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl antreten kann.

Die Partei für Gesundheitsforschung setze sich für die Erhöhung finanzieller Mittel in der medizinischen Forschung ein, erklärt der Biochemiker ihr Alleinstellungsmerkmal. Bereits 1.850 Unterschriften habe man bereits eingereicht, weitere 350 würden noch geprüft. Weil von einigen ungültigen Signaturen auszugehen sei, gelte es jetzt, einen Puffer von mindestens 100 Unterschriften zu schaffen. „Wir schaffen das!“, sagt Werth.

2.200 geprüfte Unterstützerunterschriften müssen die Parteien, die mit einer Landesliste bei der Abgeordnetenhauswahl teilnehmen wollen, bis Dienstagabend beim Landeswahlleiter abgeben. 20 Parteien versuchen, diese Hürde zu überspringen: von der AfD-Abspaltung Alfa über die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) bis zur Transhumanen Partei Deutschlands (TPD). Für die Teilnahme an den Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen sind ebenfalls 185 Unterschriften vorzulegen. Sechs Parteien wie etwa die anarchistische Bergpartei in Friedrichshain-Kreuzberg oder die spirituell inspirierten Violetten versuchen nur hier ihr Glück. Fein raus sind lediglich die fünf derzeit im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, die nicht erst um eine Unterstützung werben müssen.

Eine Umfrage unter den Parteien, die sammeln müssen, ergibt: Für fast alle bedeuten die Auflagen einen enormen Aufwand. Die Hälfte der Parteien wird wohl an der Hürde scheitern, die höher ist als bei Bundestags- oder Europawahlen, wo pro Bundesland 2.000 Unterschriften einzureichen sind.

VERA hat aufgegeben

Bereits aufgegeben hat die VERA – ein Akronym für „Vertrauen, Ehrlichkeit, Respekt, Anstand“. Eine Partei, die aus dem gescheiterten Volksbegehren zur Abwahl Klaus Wowereits hervorgegangen ist. Ihr Sprecher, Martin Wittau, berichtet vom großen Misstrauen, das ihnen entgegenschlage.

Es gebe drei übliche Reaktionen und Vorbehalte der Angesprochenen: „Geh mir weg mit Parteien. Es gibt schon genug Parteien. Ich muss erst mal gucken, ob ihr nicht eine verkappte AfD seid.“ Sein Fazit: „Bei der Phobie, die dahintersteht, haben die etablierte Parteien ganze Arbeit geleistet.“

Auch die Allianz für Menschenrechte, Tier- und Naturschutz – eine Abspaltung der Tierschutzpartei – will nicht mehr weiter sammeln gehen. Zwar habe man mit vier Mitgliedern und zwei Sammlern 1.600 Unterschriften zusammenbekommen, ein Wahlantritt scheitere letztlich aber am fehlenden Personal und Budget, sagt Michael Marx vom Berliner Landesverband: „Es ist schwer, Menschen in Berlin zu finden, die politisch aktiv sein wollen.“ Das nächste Ziel ist die Bundestagswahl 2017.

Den Kleinparteien wird es nicht leicht gemacht. Viele beklagen sich über die Regelung, wonach jeder Berliner nur einer Partei seine Unterstützerunterschrift geben darf. Gibt man zwei Unterschriften ab, zählt keine der beiden. Wittaus Partei VERA hatte daher viele ungültige Bögen. Für ungenügend hält Wittau auch, dass die Bezirksämter bei den bereits eingereichten Unterschriften fast zwei Wochen zur Prüfung gebraucht hätten.

Mit Unterschriften zur Wahl

Um an der 18. Berliner Abgeordnetenhauswahl am 18. September teilnehmen zu können, müssen Parteien, die nicht schon im Abgeordnetenhaus sind, 2.200 Unterstützerunterschriften sammeln. Bis Dienstagabend müssen die beim Landeswahlleiter eingereicht werden. 20 Parteien versuchen derzeit auf diesem Wege, auf den Wahlzettel zu kommen.

Auch für eine Kandidatur bei Bezirksverordnetenversammlungen muss eine Hürde von 185 Unterschriften geknackt werden.

Für Bundestags- und Europawahlen gibt es eine ähnliche Regelung, hier reichen allerdings bereits 2.000 Unterstützerunterschriften. (taz)

Der erst 19-jährige Erik Koszuta ist mit seiner „Partei der Wähler“ ebenfalls gescheitert. Obwohl er versteht, dass es „Relevanzkriterien geben muss“, ist er enttäuscht: „Es macht ja die Demokratie aus, dass man auch als kleine Gruppe teilnehmen kann“, sagt er. Außerdem: „Mehr Diversität würde der Demokratie ganz guttun.“

Bereits geschafft haben die Hürde die Satirepartei Die Partei und die Grauen Panther. Für straff organisierte linke Kader scheint diese gar ein Klacks. „Weil der Zuspruch für unser Anti-Kriegs-Programm enorm ist, konnten wir die Unterschriftensammlung in diesem Jahr rasch abschließen“, teilt die Partei für Soziale Gleichheit mit.

Auch die FDP, die von „einer ungewohnten Situation“ und notwendiger „Fleißarbeit“ spricht, hat das Quorum geschafft.

Felix Werth arbeitet noch daran. Unermüdlich und mit dem kaum ablehnbaren ersten Satz „Für mehr pharmaindustrieunabhängige Forschung“ setzt er seine Sammeltour fort. Ein Mann, der an seinem Feierabendbier nippt, reagiert etwas hilflos: „Gesundheitsschutzpar­tei? Wat is dat für ’n Ding?“ Werth reicht ihm eine Broschüre, erklärt geduldig – und kassiert die vierte Unterschrift in zehn Minuten.

Dass seine Partei so viele Unterschriften bekomme, wundere ihn nicht: „Für andere Parteien mag die Unterschriftenzahl eine Hürde sein. Für uns nicht, weil unser Thema bei den Leuten gut ankommt.“ Ob das Verfahren demokratiepolitisch bedenklich sei? Auf Metakritik will sich der Biochemiker nicht einlassen: „Dazu kann ich nichts sagen. Ich mache keine klassische Politik. Ich setze mich nur für mehr und bessere medizinische Forschung ein.“

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