Klausurtagung in Leipzig: Wider Kahlschlag und Abbruchkante
Die Linksfraktion diskutiert Alternativen zum schwarz-roten Haushaltssparkurs. Das macht sie dort, wo die Linkspartei noch nie regierte: in Sachsen.

Die Tagung steht unter einem besonderen aktuellen Vorzeichen: die Linkspartei hat in der jüngsten Umfrage vor gut zwei Wochen am stärksten im linken Lager abgeschnitten und liegt deutlich vor Grünen und SPD. Sieht das nach der Abgeordnetenhauswahl am 20. September 2026 auch noch so aus, könnte sie eine linke Landesregierung anführen. Wer dabei aber ganz vorne stehen würde, ist weiter offen. Das macht Fraktionschef Tobias Schulze schon in seiner Begrüßungsrede klar: „Ich kann schon mal verraten, dass die Spitzenkandidatur-Frage hier nicht beantwortet wird.“
Bevor es zahlenlastig wird, schildert Schulze im Saal „Reclam 2“ in Leipzig, wie sich die Lage in Berlin für ihn darstellt. „Das Vertrauen in die Politik ist am absoluten Tiefpunkt“, sagt er, und das hat für ihn vor allem mit der schwarz-roten Koalition und dem Regierungschef zu tun. „Kai Wegners Politik der Heilsversprechen ist ganz hart auf dem Boden aufgeschlagen.“
Wegner klammere sich nur noch an zwei Themen: die Verwaltungsreform – die eigentlich ein rot-grün-rotes Projekt sei – und eine Olympia-Bewerbung. „Eine Stadt, die ihre Schwimmbäder nicht heizen kann, die kann auch kein Olympia“, sagt Schulze. Mehrfach noch werden sich Rednerinnen und Redner später an diesem Thema abarbeiten und eine Bewerbung unter anderem als abstrus bezeichnen.
In Sachsen regierte die Linkspartei noch nie
All diese Worte fallen allerdings in einem Bundesland, in dem die Linkspartei noch nie mitregierte, geschweige denn wie in Thüringen den Ministerpräsidenten stellte – anders als in allen anderen Ost-Ländern einschließlich Berlin. Sachsens Linkspartei-Chef Marco Böhme, als Gast bei der Klausur, hört sich fast neidisch an, wenn er sagt: „Ihr habt ja die Chance, im nächsten Jahr das Rote Rathaus wirklich rot zu machen.“
Den Zustand des Landeshaushalts nimmt Fraktionschef Schulze ganz anders wahr als Finanzsenator Stefan Evers von der CDU. Der sagt stets, Berlin nehme nicht zu wenig Geld ein, sondern gebe zu viel aus. Aus Linken-Sicht hingegen gibt es ein Einnahmeproblem – zu viele Wege dazu würden nicht genutzt.
Konkret soll das heißen: alle Möglichkeiten für Kredite nutzen, die Grunderwerbssteuer erhöhen und auch die Vergnügungssteuer und mehr Geld aus Parkgebühren ziehen. Entscheidend für die Linksfraktion dabei: die von Kürzungen Betroffenen zu beteiligen: „Alle brauchen Zeit zur Anpassung und Spielraum, um mit enger werdenden Mitteln umgehen zu können.“
In der anschließenden Aussprache mag das der erste Redner etwas differenzierter betrachten. Was die Linke wolle, koste „einen Stapel von Geld, und wo das herkommen soll, ist ziemlich unklar“, sagt Klaus Lederer. Der langjährige Kultursenator war im November aus der Linkspartei ausgetreten, aus Protest gegen die Haltung des Berliner Landesverbands zu Antisemitismus, auch in den eigenen Reihen. Lederer mahnt auch, nicht nur auf sich selbst zu schauen – wer im Roten Rathaus regieren wolle, „der muss eine Moderations- und Ausgleichsleistung erbringen.“
Rückzug prominenter Gesichter
Auch Steffen Zillich, der erfahrenste Haushaltspolitiker der Fraktion, mahnt zu mehr Realitätssinn und vor einem Weg, „der in der Umsetzung in sich zusammenbricht“. Für ihn wie Lederer aber gilt: Beide werden der nächsten Abgeordnetenhausfraktion nach der Wahl 2026 nicht mehr angehören – Zillich, der erstmals 1991 ins Landesparlament kam, will nicht erneut kandidieren. Von der jetzt 20-köpfigen Fraktion wird überschlägig etwa die Hälfte nicht bei der Wahl antreten.
Zillich und andere Haushaltsexperten führen am Nachmittag genauer aus, wie eine Alternative zu dem aussehen soll, was die Linksfraktion „Kahlschlag der schwarz-roten Koalition“ nennt. Die Grunderwerbssteuer beispielsweise könnte nach ihren Berechnungen jährlich 80 Millionen Euro bringen.
Indem das Land eine wirtschaftliche Notlage erklärt, soll bis zu einer Milliarde zusätzlicher Schulden jährlich möglich sein. Konjunkturkredite sollen weitere 800 Millionen bringen, Wohnungsbauförderung soll zusätzliche 500 Millionen Euro jährlich bringen. Und indem man die Tilgung der gegenwärtig rund 70 Milliarden Euro Schulden streckt, sollen sich 270 Millionen Euro einsparen lassen.
Was für Zillich aber auch klar ist: Um einen alternativen Weg zu ermöglichen, ist grundsätzlich eine Ausgabenbegrenzung nötig. Der Kurs müsse sein: „Ja zur Konsolidierung, Nein zur Abbruchkante.“ Als Abbruchkante gilt eine Situation, in der von jetzt auf gleich Gelder eingespart werden und beispielsweise soziale Träger ihre Arbeit einstellen müssen. Folgt man Zillich, geht es um ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Verzicht auf mehr Geld aus dem Haushalt gegen mittelfristige Finanzierungssicherheit. „Man muss Sicherheit verbreiten in so einer Situation“, sagt Zillich, „die Koalition hingegen verbreitet Unsicherheit.“
Die frühere Landesvorsitzende Katina Schubert wirft dem Senat in der anschließenden Debatte vor, mit einer Olympia-Bewerbung falsche Erwartungen zu schüren. Wenn Berlin all seine Probleme bewältigt habe, dann sei sie gar nicht gegen Olympische Spiele, sagt sie – „aber Olympia ist kein Mittel, um die Probleme zu lösen.“
(aktualisiert um 15:31 Uhr)
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