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Klausur der Berliner Grünen-FraktionGrüne würden nicht springen

Falls Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh wirklich mit der CDU bricht, kann er nicht darauf zählen, dass die Grünen ihn zum Regierungschef machen.

Alles Spekulation: Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch Foto: Stefan Boness/Ipon

Groß Behnitz taz | Es ist ein bisschen ruhig geworden um die Berliner Grünen, die doch die größte Oppositionspartei der Stadt sind. Für Nachrichten hat stattdessen eher die politische Konkurrenz gesorgt: die SPD, die angeblich für den Herbst einen Bruch mit der CDU und eine erneute rot-grün-rote Koalition plante. Und die Linkspartei, die in einer jüngsten Umfrage stärkste Kraft im linken Lager wurde und sich erneut für ein solches Bündnis anbot.

Aber würde die Grünen-Fraktion da mitziehen? Gut ausloten lässt sich das bei der Klausurtagung ihrer 34 Abgeordneten, die dafür im Parlament die Hand heben müssten. Kurz gefasstes Ergebnis: Ideen dieser Art lösen dort keine Begeisterung aus.

Die Fraktion hat sich an diesem Wochenende zurückgezogen ins Landgut Stober bei Nauen westlich von Berlin. Mal wieder. Die Gebäudeansammlung im Ort Groß Behnitz oberhalb eines lauschigen Sees ist in den vergangenen Jahren zu einer inoffiziellen Rückzugsstätte der Berliner Politik geworden.

Erst vor einer Woche trafen sich hier die Fraktionsvorstände von CDU und SPD. Die beschlossen im Landgut aus ihrer Sicht Bahnbrechendes und verkündeten das auch entsprechend – was aber im Kern nur darin bestand, Teile des schon zwei Jahre alten Koalitionsvertrags umzusetzen.

Bezahlbare-Mieten-Gesetz

Eckwerte Es klingt nach Franziska Giffey und griffigen Gesetzestiteln aus ihrer Zeit als SPD-Bundesfamilienministerin: Die Grünen-Fraktion hat auf ihrer Klausurtagung Eckwerte für ein „Bezahlbare-Mieten-Gesetz“ beschlossen. Die Überlegungen bauen auf Diskussionen beim Landesparteitag im Dezember 2024 auf.

Verpflichtungen Vermieter sollen gezwungen werden, einen Teil ihrer Wohnungen zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Mindestens 20 Prozent sollen unter der ortsüblichen Vergleichsmiete angeboten werden. Außerdem sollen sie Geld zurücklegen müssen, um ihre Häuser in Schuss zu halten.

Sanktionen Wer sich nicht an die Regeln hält, soll in der Hauptstadt nicht mehr vermieten dürfen. Ein Landesamt für Wohnungswesen soll Vermieter kontrollieren und Anzeigen nachgehen. (sta)

Kein Interesse, Gewehr bei Fuß zu stehen

Der Senat war auch schon zu Gast, und kurz vor der Abgeordnetenhauswahl 2023 spottete die SPD-Fraktion hier, nach der Wahl werde „der einsame Kai“ – der damalige CDU-Spitzenkandidat und nachmalige Regierungschef Kai Wegner – vergeblich Koalitionspartner suchen. Tatsächlich ebnete Wegner ausgerechnet die SPD kaum zwei Monate später mit ihrer Abkehr von den bisherigen Partnern Grünen und Linkspartei den Weg ins Amt.

Was sagen also nun an selber Stelle die Grünen-Abgeordneten zum Geraune über einen erneuten SPD-Kursschwenk zurück zu ihnen? Die dazu Befragten würden jedenfalls nach eigener Aussage nicht einfach bereitstehen, falls die SPD verkündet, dass die Gemeinsamkeiten mit der CDU aufgebraucht seien und dass man zum Wohle Berlins nicht anders könne.

Wobei sich „die SPD“ durchaus genauer fassen lässt. Das wäre keine Entscheidung eines Parteitags und auch nicht die des Landesvorstands: Käme es dazu, wäre dafür allein Raed Saleh verantwortlich – von dem auch das Zitat vom „einsamen Kai“ stammt.

Saleh ist zwar offiziell bloß der Chef der Abgeordnetenhausfraktion, verfügt aber auch in der Landespartei über einen gewissen Einfluss. Vor allem aber hat er faktisch auf der SPD-Seite im Senat das Sagen. In Berlin werden die Fraktionschefs der regierenden Koalition seit Jahrzehnten in die Senatssitzungen eingebunden.

SPD-Schwenk von 2023 nicht vergessen

Zwar lassen sich, obwohl konzentriert im Landgut Stober, bei Weitem nicht alle 34 Abgeordneten genau befragen. Aber in einer nicht unrepräsentativ erscheinenden Auswahl ist fast unisono ein Nein zur Vorstellung zu hören, mit einem konstruktiven Misstrauensvotum im Parlament – zuletzt 2001 praktiziert – Wegner durch Saleh zu ersetzen.

„Wir sind nicht der Pingpongball der SPD“, sagt ein Abgeordneter mit Blick auf den Bündniswechsel von 2023. Die SPD begleitete den Schlussstrich unter Rot-Grün-Rot seinerzeit mit vielen unschönen Worten über die Partei, die gerade noch sechseinhalb Jahre lang ihr Koalitionspartner war. Das ist nicht vergessen.

Unverantwortlich wäre ein solcher Schritt wenig mehr als ein Jahr vor der regulär für den 20. September 2026 angesetzten Abgeordnetenhauswahl, heißt es auch aus der Fraktionsführung. Zum einen, weil ein neu formierter Senat mindestens ein halbes Jahr zum Einarbeiten bräuchte, dann schon der Wahlkampf naht und noch ein Haushalt umzuarbeiten wäre.

Zum anderen fragen sich die Grünen, warum sie einer in den Umfragen siechenden SPD noch für ein Jahr bis zur Wahl ins Rote Rathaus verhelfen sollten. Wenn wirklich gar nichts mehr gehe zwischen CDU und SPD, dann müsse es vorgezogene Neuwahlen geben. Was aber auch kaum jemand möchte, weil es den Politikverdruss in der Wählerschaft nicht unbedingt mindern würde.

Begleitet wird die Klausur, in der es unter anderem um ein „Bezahlbare-Mieten-Gesetz“ geht (siehe Kasten), von einer Meldung des Tagesspiegels, wonach Co-Fraktionschefin Bettina Jarasch 2026 erneut Spitzenkandidatin sein soll, so wie 2021 und bei der Wiederholungswahl 2023. Jarasch selbst spricht gegenüber der taz von „Spekulation“.

Ähnlich Co-Parteichef Philmon Ghirmai, der ebenfalls an der Klausur teilnimmt. Ghirmai sagt letztlich, was die führenden Köpfe der Grünen seit Monaten dazu sagen: dass der Landesvorstand vertrauensvolle Gespräche führe – und die Partei die Frage der Spitzenkandidatur im Herbst klären werde.

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