Klaus Töpfer über den Atomausstieg: "Eine Erfahrung aus Tschernobyl"
Die Katastrophe in Japan fordert auf, über das Energiekonzept der Bundesregierung neu nachzudenken, sagt Ex-Umweltminister Klaus Töpfer. Erneuerbare Energien seien bereits jetzt eine "reale Größe".
taz: Herr Töpfer, welche Entscheidungshilfen kann die Ethik-Kommission zum Atomausstieg, die Sie nun mitleiten, den politischen Verantwortlichen geben?
Klaus Töpfer: Wir sehen in vielen Bereichen, dass es in unserer Gesellschaft nicht nur darum geht, dass man aus technischen Bewertungskriterien heraus Aussagen zur Akzeptanz von Technologien ableitet. Eine große Rolle spielt auch, welche Auswirkungen Technologien auf die Risikobereitschaft in der Gesellschaft haben. Es wird die Frage gestellt: Inwieweit wollen wir unseren Wohlstand auf Techniken aufbauen, die, wenn sie versagen, massive negative Auswirkungen haben, die kaum beherrschbar sind?
Ist diese ethische Frage in Bezug auf die Atomenergie nicht längst beantwortet?
Sicherlich sind diese Fragen immer wieder und vor allem kontrovers erörtert worden. Die Katastrophe in Japan fordert gebieterisch, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie die Kernenergie früher zu einem Ende geführt wird, ohne dass dadurch andere der Gesellschaft außerordentlich bedeutsame Ziele in Frage gestellt werden. Gedanken darüber zum Beispiel, dass dieser Ausstiegs- und Überbrückungsprozess nicht dazu führen darf zusätzliche Emissionen an C02 zu erzeugen. Dass er auch nicht dazu führen darf, eine im Export sehr erfolgreiche und damit für die Arbeitsplätze in diesem Lande entscheidende wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in Frage zu stellen. Es ist ernst und in einem breiten gesellschaftlichen Dialog zu erörtern, wie die Überbrückung gestaltet werden muss, in der mit erneuerbaren Energien eine umweltverträgliche und wettbewerbsfähige Energieversorgung gewährleistet werden kann. Ich halte es für ein richtiges Signal, dafür eine solche Kommission einzusetzen
Sehen Sie eine Kompromissmöglichkeit zwischen dem Profitstreben der Betreiber und dem Ausstiegswunsch einer breiten Bevölkerung?
Ich sehe es nicht als Aufgabe der Kommission, ein Schlichtungsverfahren zwischen Betreibern und der Öffentlichkeit durchzuführen.
KLAUS TÖPFER (72). Der CDU-Politiker war 1987 bis 1994 Bundesumweltminister in der Regierung Kohl, später Bauminister. Als Direktor des Uno-Umweltprogramms (UNEP) in Nairobi setzte er sich für internationale Zusammenarbeit beim Klimaschutz ein. Seit 2009 leitet er das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Vor wenigen Tagen ist Klaus Töpfer von Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu ernannt worden, zusammen mit Matthias Kleiner, dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) die Ethik-Kommission zum Atomaustieg zu leiten.
Gibt es bei der Regierung tatsächlich den Wunsch auszusteigen oder hat Herr Brüderle mit dem Vorwurf recht, dies sei nur Wahltaktik?
Nein, das ist nicht meine Besorgnis. Für alle Teilnehmer dieser Kommission kann ich sagen: es sitzt nicht einer darin, der sich für ein wahltaktisches Manöver missbrauchen ließe. Und dieses wahltaktische Manöver wäre ja schon am Montag zum größten Teil vorbei.
Die Bundesregierung hat vor nicht langer Zeit ihr Energiekonzept vorgestellt. Muss nun ein Neues her?
Das Energiekonzept der Bundesregierung ist durch die Ereignisse in Japan, durch die Dramatik des Kollapses dieser Kernkraftwerke, deutlich überarbeitungsbedürftig geworden. Dieser Aufgabe muss man sich stellen. Wir sollten nicht vergessen, dass Deutschland weltweit eine einmalige Position einnimmt. Gehen sie mit mir nach China, nach Indien, Russland, Frankreich. Es gibt kein Kernenergie nutzendes Land, bei dem sich die Gesellschaft insgesamt darüber einig ist, dass diese Energie eine auslaufende Technologie ist. Alle diese genannten Länder sind der Meinung – auch nach dem Drama in Japan -, dass Kernenergie eine Zukunftstechnologie ist. Bei uns ist das glücklicherweise nicht so. Das ist auch eine hart eingebläute Erfahrung aus Tschernobyl. Deswegen ist Deutschland aber auch weltweit führend geworden in erneuerbaren Energien.
Deutschland als energiepolitischer Vorreiter?
Den Begriff mag ich nicht. Ich denke, man muss eine nüchterne Analyse machen und darauf hinweisen, dass wir ganz zweifellos bis in die ökonomischen Determinanten hinein, Vorteile gewinnen können aus einer Umstrukturierung ohne Kernenergie. Wir sehen ja, dass Kernenergie keine Technik ist, die uns billiger kommt. Im Gegenteil, es entstehen an vielen Stellen massive Kosten zur Gewährung der Sicherheit – ohne dass ein nicht beherrschtes Restrisiko ausgeschlossen werden kann. Andere Energietechniken bekommen dadurch im Vergleich eine viel größere Wirtschaftlichkeit. Es wäre hervorragend, wenn die Arbeit der Kommission darüber eine breite gesellschaftliche Diskussion auslösen könnte. Eine Diskussion, die nicht von vornherein vergiftet ist.
Aber diese Diskussion gibt es doch schon seit 30 Jahren?
Ja, aber man muss dazu beitragen, dass die Alternativen neu aufgearbeitet werden statt alte Grabenkriege zu führen. Dafür ist jetzt eine neue Chance gegeben. Es ist eine klare Notwendigkeit nicht nur zu sagen, wir steigen aus, sondern diese Feststellung damit zu verbinden, wie wir auch Anderen belegen können, dass man aus Kernenergie aussteigen kann, ohne Stabilität und Wohlstand aufzugeben. Das ist nicht nur eine Frage für uns, sondern über unsere Grenzen hinweg. Denn wenn es uns nicht gelingt diesen Beleg zu bringen, dann werden wir anderen Ländern die Begründung dafür geben, auf Dauer bei der der Kernenergie zu bleiben.
Gehören dazu auch solche Zukunftsprojekte wie das von Ihnen unterstützte Großprojekt Desertec, das Energie aus Wüstenstrom in großem Maßstab gewinnen will?
Es wäre ein Fehler, gerade auch für ein technologisch führendes Land wie die Bundesrepublik, würde man eine realistische Technologie, die sich mit der Nutzung erneuerbarer Energien beschäftigt, nicht verfolgen. Die Technik der Solarthermie ist sehr risikolos, und vor allem: sie ist nicht visionär sondern sehr real. Es wäre meiner Meinung nach sträflich, so etwas nicht mitzuverfolgen – für die Energieversorgung in Europa und vor allem auch in Nordafrika als Beitrag zu einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung nach dem gesellschaftlich-politischen Umbruch in diesen Ländern.
Hat sich ihre Dringlichkeit bei dem Thema Ausstieg aus der Atomenergie nach Japan verstärkt?
Ich habe solange wie ich politische Verantwortung trage, seit dem ersten Tag meiner Tätigkeit als damaliger Bundesumweltminister gesagt, wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden. Nach Tschernobyl gab es noch nicht so konkrete Alternativen für die Energieversorgung ohne die Kernenergie. Was die Diskussion heute für mich sehr viel bewusster und sehr viel nachdrücklicher macht ist die Tatsache, dass viel erreicht wurde im Bereich der erneuerbaren Energien. Die Entwicklung und die massenhafte Nutzung erneuerbarer Energien ist keine Vision mehr, sondern reale Größe. Wir haben auch gesehen, dass die Entwicklung in diesem Bereich in den vergangen Jahren sehr viel schneller gegangen ist, als man glaubte. Dass wir heute 17 Prozent unserer Elektrizitätsversorgung über erneuerbare Energie bekommen, hätte uns vor zehn Jahren niemand geglaubt.
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