piwik no script img

Klangkünstlerin Thessia Machado„Jeder Sound ist Lärm“

Die brasilianische Künstlerin macht aus vielem Musik. Machado über Verstärkerbrummen, Elektroschrott und den Mangel an Respekt vor Maschinen.

An ihrem Arbeitsplatz in Berlin-Wannsee: Thessia Machado Foto: Sebastian Wells
Julian Weber
Interview von Julian Weber

taz: Frau Machado, lassen Sie mich mit einem Jahrestag beginnen: Vor fast genau 100 Jahren, am 18. Mai 1917, wurde das Ballett „Parade“, wofür Erik Satie Musik komponiert hatte, uraufgeführt. Dafür hatte er eigens das sogenannte Flaschenklavier erfunden. Was bedeutet Ihnen heute Klangkunst auf selbst gebauten Instrumenten?

Thessia Machado: Schon im 18. Jahrhundert wurden viele seltsame Tasteninstrumente erfunden. Im 19. Jahrhundert fand eine gegenläufige Entwicklung statt, Orchester überall auf der Welt führten die gleichen Werke auf. Erst im frühen 20. Jahrhundert konnte sich auch durch den von Ihnen erwähnten Erik Satie mehr Experimentierfreude durchsetzen, präparierte Klaviere wurden damals etwa eingesetzt. Mit Einführung von elektrisch verstärkter Keyboards in den 1930ern nahm diese Bewegung an Fahrt auf. Ich selbst sehe mich in der Tradition von US-Elektronikpionieren wie David Tudor, der elektrische und elektro-mechanische Komponenten zur Klangerzeugung verwendete und in seine Stücke mit einbaute. Und zwar solche Komponenten, die ursprünglich nicht zur Generierung von Klang gedacht waren. Ich mag daran, dass man wie ein Ingenieur herum improvisiert und sich langsam vorwärtstastet.

Nehmen wir den Oszillator, den Sie für das Stück „Interference“ konstruiert haben. Für meine naiven Ohren klingt sein nagelndes Geräusch wie ein Geigerzähler. Nicht sehr melodisch, aber wunderbar spröde. Was reizt Sie an dieser Klangkulisse?

Schon als Kind faszinierten mich Dinge jenseits der musikalischen Norm. Wenn mir jemand Gesetzmäßigkeiten nannte, war ich automatisch daran interessiert, intelligente Dislozierungen dafür zu finden. Etablierte Klangmuster von Musik sind ja bereits seit Langem erforscht, jenseits dieses Kanons gibt es viele Leerstellen. Deshalb hat John Cage unsere Aufmerksamkeit auf Nichtmusikalisches gelenkt: Den Klang eines Busses, das Quietschen einer Tür.

In seinem Essay „Silence“ hat Cage schon in den Fünfzigern prognostiziert, dass wir uns stärker mit den Formen von Lärm auseinandersetzen werden. Wie würden Sie Lärm von jetzt aus betrachtet definieren?

Im Interview: Thessia Machado

Leben und Werk: Geboren 1967 in Curitiba/Brasilien und aufgewachsen in Rio de Janeiro, lebt Thessia Machado heute als Bildhauerin und Klangkünstlerin, Instrumentenerfinderin und Performerin in New York. Momentan ist sie Stipendiatin der American Academy in Berlin

Installation und Konzerte: Machados Installation „telix“, eine Komposition für an der Wand befestigte, lichtempfindliche Soundmodule, wird vom 17. bis 20. Mai im SomoS Art House, Kottbusser Damm 95 in Berlin zu sehen sein. Am 17. Mai gibt sie in einem Artist Talk Auskunft über ihr Werk. Als Teil der Ausstellung wird Machado am 18. Mai zusammen mit Pedro Lopes und am 19. Mai zusammen mit Theresa Stroetges aka Golden Diskó Ship live spielen.

Jeder Klang ist Lärm. Und Lärm ist immer auch Musik. Da gibt es nach meinem Verständnis fließende Übergänge, eine Trennung ergibt keinen Sinn. Musiker meiner Generation sind mit Elektrizität und elektrischen Geräten groß geworden, wir sind an das Summen von Hochspannungsmasten und das Rascheln von Frequenzen gewöhnt. Das Knacksen und Brummen, wenn MusikerInnen einen Verstärker anstöpseln, erfüllt mich mit Freude, weil ich weiß, dass daraus Klang entsteht. Auf dieses Knacksen reagiert mein Gehirn positiv.

Für eine Klanginstallation haben Sie Plattenspieler und Tapedecks auseinandergenommen und wieder neu zusammengesetzt. Das erinnert mich an die Frühzeit von HipHop, als Laternenmasten für Verstärker angezapft wurden und DJs lernten, Turntables gegen die Bedienungsanleitung rückwärts zu drehen, und mit Platten zu scratchen.

Ja, das ist ein Beispiel für den kreativen Missbrauch von Gerät. Plattenspieler waren nur dazu gedacht, um Musik wiederzugeben. Mit HipHop wurden sie selbst zu einem Instrument. Mich interessiert an Plattenspielern ihr Antriebsriemen, ich baue diese mit Vorliebe aus und verwende sie für etwas anderes.

Sie sind in Rio de Janeiro aufgewachsen, einer Metropole, mit der man weithin den Reichtum von Musik assoziiert. Inwieweit sind Sie von traditioneller Musik geprägt?

Meine Familie stammt ursprünglich aus dem Süden Brasiliens, ich bin in Rio aufgewachsen. Musik ist überall in der Stadt. Als Teenager habe ich Gitarre gespielt und die rhythmische Vielfalt bewundert. Als ich dann in die USA gegangen bin, habe ich das bewusst beiseite gelegt und mich für die bildende Kunst entschieden. Ich habe zunächst mit Bildhauerei begonnen und dabei bin ich bald auf Sound als Baumaterial gestoßen, mehr als dass ich dabei an musikalische Traditionen gedacht habe. Und doch interessiert mich Rhythmus nach wie vor, sowohl visuell als auch, was seinen Klang angeht.

Maschinenlärm bedeutet auch Produktivität, etwa das rhythmische Rattern eines Fließbands. Wenn Sie sich Maschinen vornehmen, wenden Sie sich dann gegen ihre Funktion?

Ich sage mir immer, dass ich den Maschinen durch meine Eingriffe zu mehr Freiheit von ihren Verpflichtungen verhelfe, zu einer freieren Existenz.

Sie beschäftigen sich ausschließlich mit analoger Elektronik. Was sagt Ihnen die digitale Sphäre?

Als gelernte Bildhauerin berühre ich gerne Material und beschäftige mich mit Mechanik. Ich nehme gerne Maschinen auseinander, um zu sehen, wie sie funktionieren. Software-Instrumente kenne ich auch, aber ihre taktile Qualität finde ich unterentwickelt. Und ihre Fehlerquellen zu ergründen, macht mir nicht so viel Spaß. Ich habe andererseits schon mit Bildschirmen und Handyscreens gearbeitet. Generell finde ich Geräte älterer Bauart leichter zu navigieren. Ich bevorzuge Geräte, mit denen man besser interagieren kann.

Heute werden Maschinen kontinentübergreifend eingesetzt. Auch Ihre Existenz als brasilianische Künstlerin, die gerade Stipendiatin der American Academy in Berlin ist, hat einen globalen Aspekt.

Ich weiß nicht, ob das Einfluss auf meine künstlerische Arbeit nimmt. Aber generell fühle ich mich als Teil einer Gemeinschaft, die bestimmte Techniken und Strukturen nutzt, Konzerte und Performances macht und Zugang zu bestimmten Materialien hat. Diese Vernetzung wird durch das Internet erleichtert und bringt den Dialog in einen globalen Rahmen. Ich glaube nicht, dass es heute noch so etwas wie die isolierte Künstlergemeinschaft gibt.

In seinem einflussreichen Buch „Noise – The political Economy of Music“ hat der französische Wirtschaftswissenschaftler Jacques Attali beschrieben, wie sich der Lärm des Alltagslebens in Musik materialisiert. Was sagt Ihnen das?

Es stimmt, wenn man etwa die zunehmende Demokratisierung der Produktionsmittel betrachtet. Heute haben viel mehr Menschen Zugang zu Instrumenten und Aufnahmetechniken, was wiederum dazu führt, dass die Definition dessen, was Musik überhaupt ist, viel größer geworden ist: Jedes neu eingeführte Format, jedes neue Gerät wird sofort ästhetisch untersucht und auseinandergenommen: Denken Sie nur an den Loopsound von zerkratzten CDs oder an das Knistern von Schallplatten. Irgendwann wird jeder Defekt fetischisiert.

Ins Innere der Maschine vorzudringen, ist ein zentraler Aspekt Ihrer Arbeit. Was finden Sie da vor? Das Herz der Maschine?

Zuerst erinnere ich an die praktische Seite. Durch den Rhythmus unseres Konsums werden ja ständig funktionstüchtige Geräte verschrottet. Und in ihnen gibt es viele heile Bestandteile. Ich habe erst neulich ein altes Berliner Faxgerät geschenkt bekommen und sein Motor funktionierte einwandfrei – herrlich! Solche Geräte sind auch kleine Persönlichkeiten, sie benehmen sich sogar manchmal daneben! In meiner künstlerischen Arbeit geht es ums genaue Hinhören. Ich erlaube meinem Material, dass es mir sagt, wie es klingen möchte. Ein Teil meiner Recherchearbeit ist also, dass ich durch die Straßen laufe, auf der Suche nach Elektromüll. Berlin ist ideal. Es ist voll davon!

Ist das eine Kritik an unserem Update-Imperativ?

Ich denke schon, dass es einen Mangel an Respekt vor Maschinen gibt und zu wenig Respekt für die Ingenieure, die sie konstruiert und designt haben. Es gibt zu wenig Respekt vor der Dinghaftigkeit dieser Geräte. Wir sollten diese Maschinen mehr lieben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare