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Klage der Hamburger AfDInnensenator muss nicht neutral sein

Andy Grote (SPD) durfte in einer Parlamentsdebatte politische Kritik an der AfD üben. Das Neutralitätsgebot gelte dort nicht, entscheidet das Gericht.

Alexander Wolf (vorn), stellvertretender AfD-Vorsitzender in Hamburg, steht kurz vor der Urteilsverkündung im Gerichtssaal Foto: Ulrich Perrey/dpa

Hamburg taz | Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) darf in Parlamentsdebatten politische Kritik an der AfD üben. Das Hamburgische Verfassungsgericht hat am Freitag eine Organklage der AfD gegen Grote abgewiesen.

Die Klage, eingereicht von der AfD Hamburg, ihrer Bürgerschaftsfraktion und sieben teils ehemaligen Abgeordneten, befand das Verfassungsgericht als teilweise unzulässig und in der Sache unbegründet, wie Gerichtspräsidentin Birgit Voßkühler erklärte.

Mit einer Organklage können staatliche Organe wie Parteien oder Fraktionen eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte durch andere staatliche Stellen geltend machen, etwa wenn eine Partei meint, durch Äußerungen oder Handlungen eines Amtsträgers in ihren Rechten beeinträchtigt worden zu sein.

Im Zentrum des Streits stand ein Debattenbeitrag von Grote in einer Bürgerschaftssitzung am 8. November 2023 zum Thema „Solidarität mit Israel und Verurteilung der Hamas-Terrorangriffe“. Darin hatte Grote der AfD vorgeworfen, sich immer weiter zu radikalisieren, und die „Relativierung des Nationalsozialismus und des Holocaust“ als „Grunderzählung“ der Partei bezeichnet.

Dies werteten die AfD-Abgeordneten als Verstoß gegen das Neutralitätsgebot und als unzulässige Einmischung in den politischen Wettbewerb. Sie wollten vom Gericht feststellen lassen, dass ihre verfassungsmäßigen Rechte verletzt worden seien, weil Grotes Äußerungen sie in ihrer Chancengleichheit und der Ausübung des freien Mandats beeinträchtigen würden.

Keine Neutralität in Parlamentsdebatten

Das Gericht stellte nun klar: „Das Neutralitätsgebot gilt nicht im Rahmen einer Parlamentsdebatte – auch wenn der Beitrag von einem Senatsmitglied stammt“, so Voßkühler. Grote habe auf AfD-Redebeiträge reagiert, ohne sein Amt oder staatliche Mittel zu missbrauchen.

Seine Aussagen seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt und stützten sich auf nachvollziehbare Beobachtungen, etwa Verfassungsschutzberichte, die schon damals zwei AfD-Landesverbände als rechtsextremistisch einstuften. Die AfD-Fraktion habe keine Verletzung ihres Rechts auf Gleichbehandlung bei innerparlamentarischen Entscheidungen nachweisen können, weshalb ihre Anträge unzulässig seien.

Ebenso fehlte drei Antragstellern, die inzwischen aus der Bürgerschaft ausgeschieden waren, laut Gericht das Rechtsschutzinteresse. Die verbleibenden vier Abgeordneten seien nur hinsichtlich ihres freien Mandats antragsbefugt. Aber auch hier sah das Gericht keine Verletzung, weil Grotes Äußerungen sich nicht konkret auf einzelne Abgeordnete, sondern auf die Partei insgesamt bezogen.

Die Behauptung, die AfD relativiere den Holocaust, sei sachlich durch Äußerungen von AfD-Vertreter:innen zur Erinnerungskultur untermauert und kein Vorwurf der Volksverhetzung. Somit habe Grote weder die Chancengleichheit der AfD noch das Sachlichkeitsgebot verletzt.

Das Urteil unterstreicht damit die Freiheit politischer Äußerungen in parlamentarischen Debatten, selbst wenn sie von Regierungsmitgliedern stammen. Für die AfD ist die Niederlage ein Rückschlag, weil sie ihre Vorwürfe nicht durchsetzen konnte.

AfD will Opfer sein

Die Strategie der AfD, Neutralitätsklagen einzureichen, dient der Selbstdarstellung als Opfer staatlicher Willkür und Ungleichbehandlung. Sie soll politische Gegner belasten und diskreditieren und so gesellschaftliche Debatten polarisieren. Die Taktik ist dabei, prominente Gegner anzugreifen, um ihre eigenen Narrative zu verstärken, auch wenn die Erfolgsaussichten gering sind. Im Norden gab es in der vergangenen Zeit eine Reihe von Fällen, in denen die AfD zum Teil auch erfolgreich war.

So hatte die Partei im Februar 2024 in Hamburg eine Klage gegen den grünen Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz geführt und bekam vor dem Verwaltungsgericht recht. Werner-Boelz hatte die AfD in der Bezirksversammlung als „Feinde der Demokratie“ bezeichnet. Das war laut Gericht ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, weil Werner-Boelz als Amtsträger agierte und keine parlamentarische Debatte führte – im Unterschied zum aktuellen Grote-Fall.

2023 reichte die AfD Niedersachsen Klage gegen den damaligen Innenminister Boris Pistorius (SPD) ein, weil dieser in einem Interview die Partei mit der NSDAP verglichen hatte und deren Verbrechen verharmlost sah. Die Klage wurde abgewiesen, weil die Äußerungen als Teil der politischen Meinungsbildung gewertet wurden und kein Neutralitätsverstoß vorlag.

Ein Rückschlag für die AfD

In Hannover klagte die AfD-Fraktion gegen den Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und seine Dezernent:innen. Anlass der ersten Klage waren Äußerungen des Ersten Stadtrats Axel von der Ohe in einer Ratssitzung 2022, der eine AfD-Anfrage zu „Abschiebungen ausreisepflichtiger Migranten“ zurückwies und das Menschenbild der Partei kritisierte.

Weil von der Ohe als Stellvertreter des Oberbürgermeisters agierte, wurde die Klage formell auch gegen die Stadtspitze unter Onays Verantwortung geführt. Der Oberbürgermeister muss sich Äußerungen seiner De­zer­nen­t:in­nen zurechnen lassen. Das Verwaltungsgericht Hannover wies die Klage jedoch am 22. Januar 2025 ab, da die Äußerungen im Rahmen einer politischen Debatte fielen und kein Neutralitätsverstoß vorlag.

Im zweiten Verfahren ging es in Hannover um einen Vorfall am 22. Dezember 2022: Damals hatten Oberbürgermeister Onay, einige De­zer­nen­t:in­nen und Ratsmitglieder den Ratssaal verlassen, als in einer AfD-Rede der Begriff „Sozialtouristen“ fiel. Die AfD sah hierin einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot. Das Gericht erkannte zwar einen Verstoß gegen die Organtreue an, wies die Klage aber ab, weil die AfD sofort hätte reagieren müssen, etwa durch einen Antrag zur Geschäftsordnung.

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