Kitas sollen für Spielplätze bezahlen: Hamburger Senat bremst Kita-Ausbau
In Hamburg sollen Kitas, die nicht genug Außenfläche haben, für die Nutzung von Spielplätzen Geld bezahlen. Und sie brauchen eine Sondererlaubnis.
„Das ist nicht im Sinne der Kinder“, sagt zum Beispiel Kita-Leiter Torsten Behnk, der einen empörten Brief an die Sozialbehörde schrieb. Seine Kita „Mottenlos“ im dicht bewohnten Stadtteil Ottensen hat kein eigenes Außengelände. Doch das sei gar kein Problem. „Unsere Kinder gehen täglich raus. Seit nunmehr zwölf Jahren, ohne besondere Regulierung“.
Man habe aus der Not eine Tugend gemacht, die Kinder bewegten sich in ihrer urbanen Umgebung, besuchten die umliegenden Spielplätze und Parks, gingen schwimmen oder besuchten Museen. Und sie besuchten zehn verschiedene Spielplätze in der Nähe, die je ganz unterschiedlich sind. „Die Kinder auf einen Spielplatz zu begrenzen, begrenzt die Kinder in ihren Möglichkeiten“, findet Behnk.
„Ich weiß nicht mehr, ob ich darüber lachen oder weinen soll“, schreibt Kita-Leiterin Mona Slama zur Fachanweisung. Die sei ein „neues Bürokratiemonster“. Auch ihre Kita „Kurz & Klein“ liegt in Ottensen, hat kein eignes Außengelände und besucht die Spielplätze der Umgebung. „Wir sehen das als außerordentlich positiv“, sagt Slama. Die Kinder bewegten sich und lernten viel dabei.
Hygiene-Konzept gegen „Verunreinigung“ verlangt
Und nun gibt es seit dem 15. Februar eine „Fachanweisung“ für die Spielplatz-Nutzung. Bisher genügte es, wenn eine Kita auf Spielplätze in der Nähe verweisen konnte. Künftig müssen Häuser, die nicht sechs Quadratmeter Außenfläche pro Kind haben, eine Sondernutzung beim Bezirksamt beantragen.
Sie sollen sich auf einen Spielplatz festlegen und sogar, sollte der Platz weiter als 300 Meter entfernt sein, zum Schutz vor Verunreinigung ein Hygienekonzept vorlegen. Sie dürfen nicht mehr als die Hälfte eines Platzes für ihre Kinder benötigen. Darüber, welche Kitas wo spielen, wird ein Kataster erstellt. Auf die Nutzung haben Kitas keinen Rechtsanspruch.
Was sollen also Kitas tun, die in dichten Quartieren ohne Außengelände sind? Die Behörden sollen „Bestandsschutz“ versprochen haben. Allerdings sagt die Stadt offiziell, die Überlegungen dazu seien „nicht abgeschlossen“.
Klar ist: Für neue Kitas gilt dieses Regelwerk. In Hamburg können dank des „Kita-Gutschein-Systems“ von 2004 eigentlich Kitas immer dort öffnen, wo es die Nachfrage gibt. Die Finanzierung ist pauschal in Gutscheinen erhalten, die die Eltern von der Stadt erhalten und bei den Kitas einlösen können. Die Fachanweisung wirkt wie der Versuch der Stadt, doch etwas zu steuern.
Sabine Kümmerle, „Soal“
Dringenden Bedarf an Kita-Plätzen sieht der Träger Sternipark im Stadtteil Harburg und beantragte dort 2020 den Ausbau einer Kita um 90 Plätze. Doch für dessen Genehmigung verlangte der Bezirk erstmals so eine „Sondererlaubnis“, weil das Außengelände nicht reiche. Die Sache ging vor Gericht. Der Träger argumentierte, dass die Kinder in Harburg sieben Spielplätze gut zu Fuß erreichen könnten. Und da eh die meisten Kinder in einer Kita seien, verdrängten sie keine Kinder.
Doch das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg entschied am 5. November 2020, dass die Nutzung eines Spielplatzes einer Sondererlaubnis des jeweiligen Bezirks bedarf. Einer Kita müsse eine bestimmte Fläche zur „alleinigen Nutzung“ vorbehalten sein.
Seither beruft sich die Stadt bei neuen Anträgen auf das OLG-Urteil, obwohl dieses zunächst nur im Eilverfahren ergangen ist. Laut den Antworten des Senats auf CDU-Anfragen wurde 2021 und 2022 insgesamt zehn Kitas die Eröffnung nicht erlaubt oder der Platzausbau reduziert.
„Der Eröffnung neuer Kitas im städtischen Verdichtungsraum wird deutlich erschwert“, sagt Sabine Kümmerle vom Wohlfahrtsverband „Soal“, der rund 200 Kitas vertritt. „Jahrzehntelang war so etwas nicht nötig“, sagt auch Sternipark-Chefin Leila Moysich. „Es ist inhaltlich nicht der richtige Weg.“
Träger kündigt Widerspruch an
Zu spüren bekam die neue Linie auch der Kita-Träger „KMK Kinderzimmer“, der im Stadtteil Rahlstedt eine Kita eröffnen wollte und auf drei Spielplätze in der Nähe verwies. Weil der Bezirk die Genehmigung nicht erteilte, konnte die in einem ehemaligen Discounter errichtete Kita nur mit 40 Plätzen weniger öffnen. Solche Probleme hatte der Träger auch an zehn weiteren Standorten.
„Unsere Vision ist es, möglichst vielen Kindern einen sicheren Hafen für ihre Entwicklung zu bieten“, sagt Geschäftsführer Daniel Grimm. „Tatsächlich hätte KMK Kinderzimmer circa 1.000 weitere Kita-Plätze in den nächsten zwei Jahren in Hamburg schaffen können, wenn das Genehmigungsverfahren gerade in Hinblick auf Außengelände und die Nutzung von Spielplätzen nicht so kompliziert wäre.“ Der Träger kündigte an, Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid einzulegen.
Aber auch für die bestehenden Kitas ohne Außengelände – es sollen nach älteren Angaben etwa 60 sein – bedeutet die Fachanweisung einen hohen Aufwand und Ungewissheit. Denn auf taz-Nachfrage erklärt Umweltbehörden-Sprecherin Renate Pinzke dann doch, auch „sogenannte Bestandskitas“ fielen „entsprechend des Gleichheitsgrundsatzes“ unter eben jene Fachanweisung. Umwelt- und Sozialbehörde seien sich einig, dass die Mitnutzung öffentlicher Spielsplätze anstelle eines eigenen Außengeländes so einer Sondererlaubnis bedürfe.
„Für Kitas mit bestehender Betriebserlaubnis muss Bestandschutz gelten“, hält Sabine Kümmerle dagegen. „Es wäre absurd, wenn Kitas, die jahrelang gut mit der Spielplatznutzung zurecht kamen, schließen müssten, nur weil jemand im Bezirk findet, dass die Sondernutzungserlaubnis nicht erteilt werden kann“.
Gerade in Eimsbüttel oder Altona würde das alteingessene Kinderläden treffen. Sie sehe die Stadt in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass es ausreichend Freiflächen und Spielplätze für Kinder gibt, sagt die Verbands-Sprecherin Kümmerle: „Das kann nicht auf dem Rücken der Kitas ausgetragen werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“