Kirchenasyl: Kirche vorm Kadi
■ Präzedenzfall wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz durch Gemeinde
Braunschweig. Vor dem Amtsgericht Braunschweig hat gestern der Prozess gegen eine Pastorin und einen Pastor begonnen, die einer Familie aus Pakistan Kirchenasyl gewähren. Den beiden Vertretern der Evangelisch-reformierten Kirche wird ein Verstoß gegen das Ausländerrecht vorgeworfen, weil sie die achtköpfige Familie seit gut drei Jahren in ihrem Gemeindehaus wohnen lassen. Gegen die Mitglieder der unterdrückten Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft liegen Abschiebehaftanträge vor.
Die Verhandlung wurde am ersten Prozesstag zunächst vertagt. Obwohl in Deutschland der Rechtsweg ausgeschöpft gewesen sei, hätten die Ausländerbehörden bis heute keinen Versuch unternommen, die Familie in Abschiebehaft zu nehmen, stellte der Richter fest. Diese „stillschweigende Duldung“ sei merkwürdig, betonte er, zumal die Geistlichen die Familie nicht versteckt hielten. Die Pakistani seien in einem offen zugänglichen Raum untergebracht, sagten die Angeklagten. Sie seien davon ausgegangen, dass die Ausländer im Kirchenasyl toleriert würden, weil der Niedersächsische Flüchtlingsrat ihnen eine Weiterwanderung nach Kanada ermöglichen wollte. Eine Entscheidung der kanadischen Behörden steht aber noch aus. Beide Kirchenvertreter hätten regelmäßig Kontakt zu Vertretern des Innenministeriums, der Behörden und der Polizei gehabt, betonten sie. „Wir hatten den Eindruck, dass viel Verständnis für unsere Schritte aufgebracht wird“, hieß es.
Der Staatsanwalt verhinderte die Einstellung des Verfahrens mit dem Hinweis, ein Urteil werde weite Kreise bis ins Innenministerium nach Hannover ziehen. Deshalb müsse er zunächst Rücksprache halten. Als Präzedenzfall eines „politischen Versuchs, das Kirchenasyl zu kriminalisieren“, bezeichnete hingegen der Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrates, Kai Weber, den Prozess. Es gehe darum, eine härtere Linie gegenüber denjenigen durchzusetzen, die bereit sind, Kirchenasyl zu gewähren. Damit sollten Kirchengemeinden eingeschüchtert werden. dpa
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