Kirche im Nationalsozialismus: „Jesus galt als Märtyrer und Held“
Nazitreue Protestanten forderten die Abschaffung des Alten Testaments und die Vereinigung von christlichen und germanischen Göttern, sagt der Kieler Historiker Stephan Linck.
taz: Herr Linck, inwiefern spiegeln die um 1937 gebauten Kirchen Nazi-Ideologie?
Stephan Linck: Prinzipiell hat die NS-Ideologie ähnliche Wurzeln wie die Mentalität, die in der evangelisch-lutherischen Kirche seit der Kaiserzeit herrschte und sehr nationalistisch war.
Auch architektonisch?
Ja, man glaubte an eine große Tradition anzuknüpfen. Für Norddeutschland bedeutet das ein traditionelles Bauen mit Backstein. Das wiederum fußt auf Neogotik und Neoromanik um 1900, als man sich an das Mittelalter, an die Wehrhaftigkeit erinnerte. Dieses wehrhafte Moment in der Architektur, das an Burgen des Deutschen Ordens erinnert, gab es teils schon in der Weimarer Zeit. In der NS-Zeit hat man dies verstärkt.
Wurden alle Kirchen der Nazizeit gezielt nach Norden ausgerichtet?
Nein, denn sie wurden nicht alle von stramm nazitreuen Architekten konzipiert. Von den elf Kirchen im nordelbischen Raum weisen nur zwei gen Norden: die Lutherkirche in Lübeck und die in Hamburg-Wellingsbüttel.
Wie ist das zu erklären?
Die Planer waren wohl der Ideologie des nazitreuen „Bundes für Deutsche Kirche“ verpflichtet. Diese Gruppe hat hat sich in ihrem völkischen Antisemitismus auf Luther bezogen. Zentrales Papier waren die „Thesen für ein Deutschchristentum auf evangelischer Grundlage“ von 1917.
Was forderten sie darin?
Zum Beispiel die Vereinigung von germanischem Neuheidentum mit der christlichen Theologie. Es ging um die Ineinssetzung des christlichen Gottes und des germanischen „Allvaters“. Zudem forderte man die Abschaffung des Alten Testaments und die „Entjudung“ der Bibel.
Auch die „Entjudung“ Jesu?
Ja. Man argumentierte, dass Jesus Galliläer und also Arier gewesen sei. Die Galliläer seien die ersten Widerstandskämpfer im Kampf gegen das „Weltjudentum“ und Jesus ein Märtyrer.
Aber galt Jesus nicht andererseits als strahlender Held?
Ja, der „Bund für Deutsche Kirche“ sah Jesus als Kämpfernatur und stellte ihn auch so dar: als blonden, blauäugigen muskulären Jüngling. Ein schwacher Jesus passte nicht ins Bild.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos