Kirche des fliegenden Spaghettimonsters: „Unser Gott ist ein Kumpel“
Rüdiger Weida sieht aus wie der liebe Gott. Doch er wirbt mit obskuren Nudelmessen für Humanismus und Aufklärung.
taz: Herr Weida, wenn man Sie so sieht, halten Sie manche Leute mit Ihrer Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters eigentlich für einen Sektenguru?
Rüdiger Weida: Nö. Neulich waren zwar ein paar Touris hier, die die Nudelmesse-Schilder in Templin gesehen hatten. Aber die waren spontan vorbeigekommen, um mal an einer Nudelmesse teilzunehmen, die ich da drüben in unserer Kirche, einem ehemaligen Stall, abhalte.
Und die Templiner?
Aus Templin kam bisher nur ein Pärchen. Das waren neugierige Christen. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass bei der Nudelmesse eventuell ihre Gefühle verletzt werden könnten. Die sagten, das müssten sie eben aushalten, und überhaupt wollten sie nur zugucken. Übrigens fanden die auch nicht alles okay, was ihre Kirche so anstellt.
Haben Sie oft Diskussionen mit traditionellen Kirchenmitgliedern?
Hier selten, aber unterwegs dauernd. Wir hatten schon viele schöne Gespräche mit Christen, unter anderem beim Kirchentag in Dresden, wo wir Flyer für die Nudelmesse verteilten. Beim Kirchentag 2014 in Hamburg sind wir allerdings richtig angefeindet worden von den Evangelikalen, die erstmals dabei waren. Auch auf dem jüngsten Katholikentag in Leipzig waren wir präsent, nachdem uns eine Bürgerinitiative eingeladen hatte. Und in Berlin bin ich auch alle paar Wochen, um im Lokal Knofel in der Wichertstraße oder auf dem Bunkerberg eine Nudelmesse zu zelebrieren.
Nicht Sie haben ja die Kirche aus der Taufe gehoben, sondern ein Amerikaner. Wussten Sie gleich, auf den Zug spring ich auf?
Als ich vor gut zehn Jahren im Spiegel las, dass der Physiker Bobby Henderson aus Protest gegen die Zulassung der kreationistischen Pseudowissenschaft an amerikanischen Schulen die Religionsparodie gründete, war ich sofort begeistert. Das war total mein Ding, und ich habe im Dezember 2005 die Gemeinde Uckermark gegründet, die Urzelle unseres Vereins, der 2006 eingetragen wurde. Damit sind wir wahrscheinlich die älteste Kirche im internationalen Verbund. Erst war ich das einzige Gemeindemitglied, dann hat sich meine Frau aus Mitleid beteiligt und später mein Sohn. Die Idee mit dem Schwert und dem Nudelholz stammt auch von meiner Frau.
Ich fand die Messe vorhin ein bisschen karnevalesk.
So ist halt Religion. Denken Sie mal an die älteren Herren in lustigen Frauenkleidern und roten Schuhen bei den anderen Religionen.
Der Mensch: In einem Dorf bei Bitterfeld geboren, hat Rüdiger Weida (65) in Dresden Informationselektronik an der Ingenieurhochschule studiert, bis er wegen eines vermeintlich SED-feindlichen Kabarettstücks geext wurde. Anschließend arbeitete er als Elektriker in einem VEB und war in oppositionellen Kreisen aktiv. Nach der Wende studierte er in Templin an der Fachschule Sozialpädagogik und war 15 Jahre im sozialen Bereich tätig. Der Rentner Rüdiger Weida betätigt sich neben seinem Kirchenchefjob noch als Fotograf und als Gärtner in seinen vielen Kräuterbeeten.
Die Kirche: 2006 gründete Weida die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters e. V., die sich mit satirischen Mitteln für Humanismus und Aufklärung einsetzt und als Gottheit das Spaghettimonster verehrt. Ihre Mitglieder nennen sich Pastafari und stammen von Piraten ab. Auf Weidas Gehöft in Schulzenfelde nahe Templin ist die Heimstatt des deutschen Kirchenablegers. Bekannt wurde dieser auch durch den Streit über die Aufstellung von Werbeschildern für die Nudelmesse (jeden Freitag 10 Uhr) neben denen der Evangelischen und Katholischen Kirche. Das Landgericht in Frankfurt (Oder) urteilte gegen die Beschilderung, allerdings dürfen die Schilder nun an Masten der Stadt Templin weiterhängen. (gl)
Sie lehnen sich auffällig an christliche Gottesdienste an, nur dass Sie Spaghetti statt Oblaten verteilen und Bier statt Wein. Wollen Sie die Kirche persiflieren?
Na ja, es ist schon auch ein Seitenhieb auf die Kirchen.
Die ist im benachbarten Templin der größte Arbeitgeber.
Das ist für uns ein Problem. Wir sind hier fünf Pastafari, wie wir uns nennen. Von denen haben zwei jedoch nie die Nudelmesse besucht, denn wer in Templin im sozialem Bereich arbeitet, kommt an der Kirche nicht vorbei. Da ist nicht nur das Stift, sondern die Kirche betreibt auch Altenheime und Kitas. Und es wird immer Druck ausgeübt auf die Angestellten, doch in die Kirche einzutreten. Aufgrund des Sonderarbeitsrechts der Kirchen (Sonderrechte der Kirchen als Arbeitgeber, Anm. d. Red.) hätten Pastafari nie eine Chance auf diese Arbeitsplätze und müssten mit Entlassung rechnen.
Was sagen die Pfarrer der beiden Kirchen zu ihrer neuen Konkurrenz?
Den katholischen Pfarrer kenne ich nicht und den evangelischen, na, man nickt sich zu. Der war sogar schon mal hier auf dem Hof, um mir ein Päckchen Glockennudeln zu schenken. Ich hatte allerdings Wind davon bekommen und mit einem Gläschen Brotgewürz gekontert, damit er in seine Oblaten Geschmack reinkriegt. Da war er wieder sauer, weil sein Gag geplatzt ist.
Das läuft also auf einer humorvollen Ebene?
Einmal stand in der Zeitung, das Ganze sei ein persönlicher Wettkampf zweier verfeindeter Männer. So ein Quatsch! Mit dem Evangelen kann man noch reden, aber der wortführende Kathole hat Leserbriefe an die Lokalpresse geschrieben, dass die Hinweisschilder für die Nudelmesse an der Straße in Templin wegmüssten, schließlich wären wir nur ein bösartiger Karnevalsverein, der dem Werteverfall Vorschub leistet.
Begriffe wie Nudelmesse und Spaghettimonster liefern durchaus Angriffsfläche, dass Sie niemand erst nimmt!
Wir wollen auch nicht als Religion ernst genommen werden. Wir wollen, dass überhaupt niemand Religionen ernst nimmt. Wir verstehen uns ja auch nicht als Religion, sondern als Weltanschauungsgemeinschaft. Weil unser Gott kein eifernder, zorniger, rachsüchtiger Gott ist, sondern eher der Kumpel von nebenan, mit dem man auch mal ein Bier trinkt, hat er uns keine zehn Gebote gegeben, sondern acht bescheidene Bitten geäußert, was ihm am liebsten wäre. Diese acht „Am Liebsten Wäre Mirs“ proklamieren wir als Gegenentwurf zu den zehn christlichen Geboten.
Mit welcher zentralen Botschaft?
Liebt euch und habt Spaß am Leben. Und unser Satzungsziel als Verein ist nicht, die Kirche zu veralbern, sondern die Förderung wissenschaftlicher Weltanschauungen unter besonderer Berücksichtigung des evolutionären Humanismus, der sich vom alten Humanismus mit seinen starren Werten absetzt und offen gegenüber neuen Erkenntnissen der Wissenschaft ist. Wir sind als Verein, und auch ich persönlich, Mitglied der Giordano-Bruno-Stiftung, dem Thinktank der säkularen Bewegung in Deutschland, die für Humanismus und Aufklärung eintritt. Deren Losung können wir komplett übernehmen: Wer Wissenschaft, Philosophie und Kunst hat, braucht keine Religion.
Haben Sie da Unterstützer?
Ja, unter säkularen Verbänden wie dem Bund für Geistesfreiheit, dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten sowie dem Humanistischen Verband. Mit dessen unteren Chargen arbeiten wir gut zusammen, die Oberen können uns weniger leiden, weil die einen anderen Weg gehen als wir. Die wollen ebenfalls sämtliche Privilegien der Kirche wie die Gestaltung von Ethikunterricht und staatliche Gelder. Auch die Muslime baggern schon, um Körperschaft des öffentlichen Rechts zu werden. Wir dagegen finden, dass es völlige Gleichberechtigung nur geben kann, wenn überhaupt niemand gefördert wird, weder eine Religions- noch eine Weltanschauungsgemeinschaft.
Hatten Sie früher, als DDR-Bürger, mit Religion und Kirche irgendwas am Hut?
Religion spielte ja in der DDR nie so die Rolle. Mein Verhältnis zur Kirche entwickelte sich in den Siebzigern in Dresden. In der Weinbergkirche gab es einen alternativen Jugendtreffpunkt mit Pfarrer Christoph Wonneberger, den ich bis heute verehre. Der machte damals viel gegen den Widerstand der eigenen Kirchenführung, weshalb er ständig Anschisse bekam. Wonneberger hatte in Dresden und Leipzig Friedenskreise, die sich besonders gegen die Wehrpflicht engagierten, als eine Art Kirche von unten gegründet. Später hielt er in der Nikolaikirche die politischen Friedensgebete, die zu den Montagsdemos führten. Den Ruhm dafür erntete der eher kirchenhörige Pfarrer Führer, der eigentlich versuchte, die Politisierung der Gebete zu verhindern. Damals entstand mein Eindruck, dass SED und die Kirchen im Prinzip der gleiche Haufen sind. Beide missbrauchen eine an sich gute Idee für den eigenen Machterhalt.
Halten Sie die beiden Ideen nach wie vor für gut?
Von der Sozialismusidee bin ich streckenweise abgerückt, von der Kirchenidee völlig. Religion ist für mich totale Verdummung. Es gibt keine, die der Gesellschaft nutzt, weil jede ihre Dogmen hat und der Entwicklung abträglich ist.
Wie kam es, dass Sie die Kirche in der DDR zwar nie als Glaubens-, aber als Oppositionsraum entdeckten?
Ich war nie in der Christenlehre und brauchte die Kirche auch nicht, um ein Gerechtigkeitsgefühl zu bekommen. Ich glaube, dass ich das durch die Wildwestromane erhielt, die meine Tante von drüben mitbrachte. So hatte ich schon als Schüler in Bitterfeld oft meine Schwierigkeiten mit der Staatsmacht, zum Beispiel, wenn ich Bravos aus dem Westen in der Klasse vertickte.
Und wie erging es Ihnen als Erwachsener?
Ein einschneidendes Erlebnis hatte ich, als ich nach meiner Elektrikerlehre mit Abitur ab 1970 an der Dresdener Ingenieurhochschule Informationselektronik studierte. Nach zwei Jahren wollte ich vom Direkt- ins Fernstudium wechseln, um in einem Hauptberuf Geld zu verdienen. Einen Strich durch diese Rechnung machte mir jedoch eine Büttenrede im Hochschulkabarett, die mir als Verleumdung der SED ausgelegt wurde. Wenn man erst mal in Richtung Opposition gedrängt wird, kommt man natürlich in bestimmte Kreise. Nachdem es mit dem Studium vorbei war, habe ich in Freital in einem Arbeiterkabarett weitergemacht und bei mir Hausabende veranstaltet, bei denen gekocht und über Politik und alles Mögliche diskutiert wurde. Das war ein Treffpunkt von Künstlern und Arbeitern und Studenten.
Vermutlich hatten Sie da bald die Stasi am Hals, oder?
Zwölf IMs, dazu war meine Wohnung verwanzt, wie ich aus meinen 800 Aktenseiten weiß. Die wollten mich isolieren und meinen Freundeskreis zerstören. Außerdem hatte ich bei den Ostberliner Weltfestspielen 1973 Kontakt zu Weststudenten vom Spartakusbund aufgenommen, die mir dann auch Plakate gegen die Waffenlehre an Schulen besorgten. Als in der DDR Wehrkundeunterricht eingeführt wurde haben wir in Dresden nachts Parolen „Militär raus aus den Schulen!“ an die Wände gesprüht.
Das hatte ja nun mit Kabarett und Systemkritik auf die eher lustige Art nichts mehr zu tun, oder?
Aus dem Kabarett bin ich irgendwann auf Druck der Stasi ohnehin rausgeflogen. Aber der Hang zur satirische Äußerung und die Lust an gesellschaftlicher Beeinflussung war immer geblieben.
Reizen Sie besonders humorlose Institutionen zum Widerstand?
Meine Taktik gegen die SED war: Wenn du schon nichts ändern kannst, beschäftige sie wenigstens rund um die Uhr! Ich habe Anzeigen wegen Sachbeschädigung gegen Polizisten gestellt, weil die mir den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“-Aufnäher abgetrennt haben und deshalb auch Volkskammerabgeordnete angeschrieben. Den Direktor meines Betriebs, wo ich als Elektriker jobbte, habe ich auch mal wegen Nötigung angezeigt.
Wieso das?
Das Schwerter-zu-Pflugscharen-Symbol missfiel ja der SED sehr. Als herauskam, dass die entsprechende Skulptur vor der UNO ein Geschenk der Sowjetunion war, sagte sie plötzlich, dass es ja nicht um die Symbolik ginge, sondern darum, dass es für die Aufkleber keine Druckgenehmigung gebe. Also habe ich mir das Emblem auf eine Tragetasche malen lassen, mit der ich, samt einer Flasche Rotwein drin und Gänseblümchen im Bart, zur 1.-Mai-Demo gezogen bin. Als mir mein Direktor einen Kern harter Genossen zur Begleitung dazu schickte, damit mich die Tribünengäste nicht sehen, habe ich ihn wegen Nötigung bei der Betriebs-Konfliktkommission angezeigt.
Kriegen Sie heute oft vorgehalten, dass Sie ein Spinner sind?
Selten. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass wir ein ernsthaftes Anliegen haben. Selbst die Lokalpresse berichtet jetzt wohlwollend über uns.
Wie verbreiten Sie das Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters, um zu zeigen, dass Ihr Anliegen kein Klamauk ist?
Ich werde oft in Schulen eingeladen. Nicht nur zum Ethikunterricht in Templin, auch bundesweit wächst das Interesse. Neulich war ich per Skype einem Gymnasium in Offenbach zugeschaltet, wo sich alle Religionsvertreter eine Stunde lang den 160 Schülern vorstellen konnten. Das war toll.
Verfolgt eigentlich Ihr Kirchengründer in USA, was Sie so treiben?
Kaum. Nach einem BBC-Bericht hat er mal auf unsere Website geschrieben, dass er uns gut findet, und wir haben auf Facebook ein bisschen getalkt. Ansonsten gibt es aber keinen Kontakt, und das ist auch positiv, denn dadurch können wir uns völlig frei entwickeln. So haben die Ableger in jedem Land ihre eigene Sache aus der Idee gemacht. Während es in unserem Verein keine Hierarchie gibt, sondern nur Brüder und Schwestern, einen Vorstand und eine Revisionskommission, ist das bei den Italienern völlig anders. Die haben praktisch die Katholische Kirche nachgebaut, samt eigenem Papst.
Stichwort Papst, finden Sie überhaupt etwas an der christlichen Kirche gut, oder anderen Religionen?
Das Gute an Religion ist, dass sie nach innen die Gemeinschaft stärkt. Geselligkeit verbindet halt. Negativ ist ein bewusst ausgeübter Gruppenzwang und das Abkapseln nach außen, dieses Freund-Feind-Denken.
Das ist ja generell in der Gesellschaft wieder sehr angesagt, gern auch mit religiösem Anstrich, siehe Pegida und AfD, die das Loblied aufs Abendland singen.
Es ist viel schlimmer, die AFD ist die Speerspitze der evangelikalen Bewegung in Deutschland. Aber auch ein Bischof hat jüngst behauptet, die Atheisten seien ein Sicherheitsrisiko, denn wer nicht an ein späteres Leben glaubt, wolle sich jetzt alles holen, notfalls mit Gewalt.
Ein Seitenhieb gegen die unchristlichen Ossis?
Die Kirche hat ja schon das dritte Evangelisationsprogramm nach der Wende für den Osten beschlossen. Wer die frühkindliche Indoktrination aber einmal aus sich raus hat, fällt nicht wieder auf so etwas rein. Dass immer noch 80 Prozent im Osten Atheisten sind, dazu der Mitgliederschwund im Westen, bringt die Kirche zum Verzweifeln. Selbst das Theater um unsere Nudelmesse-Schilder zeigt, wie die Seilschaften funktionieren. Die religionspolitische Sprecherin der SPD im Landtag hat eine kleine Anfrage gestellt, ob denn unsere Schilder überhaupt die richtige Größe haben – das muss man sich mal vorstellen. Seit dem Streit haben wir immerhin unsere Mitgliederzahlen verdreifacht und sind weltweit bekannt geworden. In Venezuela, Peru, Spanien, Rumänien wurde über uns berichtet. Der Schilderstreit beschäftigt übrigens immer noch die Gerichte.
Ist das nicht teuer für Sie?
Es wurde reichlich gespendet. In nur einer Woche kamen 1.600 Euro zusammen. Unser Verein hat zwar keine 300 Mitglieder, aber 10.000 Fans auf Facebook. Das zeigt, dass wir an einem Thema dran sind, das viele beschäftigt: die Trennung von Kirche und Staat.
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