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Kinotipp der WocheDesertieren gescheitert

Die nächste Ausgabe der Knef-Reihe „Hilde Hundert“ zeigt einen Film über Deserteure im Algerienkrieg, der sich selbst in koloniale Logiken verstrickte.

Hildegard Knef und Hannes Messemer in Wolfgang Staudtes „Madeleine und der Legionär“ (1957/58) Foto: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

1957, im dritten Jahr des Algerienkriegs, in dem die Befreiungsbewegungen des Landes um die Unabhängigkeit von Frankreich kämpfen, versuchen drei Fremdenlegionäre – der Ire Pat, der deutsche Kurt und der Italiener Luigi – bei einem Fallschirmsprung zu desertieren. Der Plan scheitert und wieder am Boden wird ihr Vorgesetzter beauftragt, die drei auf dem Landweg nach Algier zu bringen.

Auf dem Weg kommen die Männer am Wohnsitz einer französischen Familie vorbei, die bei einem Angriff der algerischen Aufständischen getötet wurden. Die junge französische Lehrerin Madeleine Durand hat als einzige überlebt. Ohne andere Optionen steigt die junge Frau zu den Männern in den Jeep und schließt sich ihrer Fahrt nach Algier an. Durand, verkörpert von Hildegard Knef, bildet einen weiblichen und zivilen Gegenpunkt zur militarisierten Männlichkeit der Fremdenlegionäre.

Mitten auf dem Höhepunkt des Algerienkriegs griff Wolfgang Staudte, einer der politischsten Regisseure des Kinos des geteilten Deutschlands, in „Madeleine und der Legionär“ den Krieg auf. Überraschenderweise sollte ausgerechnet eine seltsam harmlose Räuberpistole um eine Gruppe Deserteure aus der Fremdenlegion als Starvehikel für einen der größten weiblichen Stars des westdeutschen Kinos herhalten.

Die Filmreihe

Hilde Hundert, Reihe an jedem letzten Montag im Monat im Cosima-Filmtheater: „Madeleine und der Legionär“, 28. 7., 17.30 Uhr, mit Einführung von Einführung von Jan Gympel; weiterer Knef-Film außerhalb der Reihe: „Illusion in Moll“, 23. 7., 15.45 Uhr, Eva-Licht­spiele

Werkbiografisch kommt Staudtes Film einige Bedeutung zu: Der Film markierte Hildegard Knefs Rückkehr in die Bundesrepublik. Schon seit Anfang des Jahres präsentiert der Kurator Jan Gympel im Rahmen der Reihe „Hilde Hundert“ jeweils am letzten Montag des Monats im Cosima Filmtheater in Friedenau einen Film mit der Schauspielerin Hildegard Knef, die am 28. Dezember diesen Jahres ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte.

Staudte verpflichtete für den Film ein Staraufgebot: neben Hildegard Knef spielen Bernhard Wicki, Helmut Schmid, Siegfried Lowitz und Friedrich Gnass. Der Film verwendet große Mühen darauf, der Handlung brennende Aktualität zu verleihen, webt Szenen in der Kasbah, der Altstadt Algiers, während der Entstehungszeit des Film Brennpunkt der Kämpfe, in den Film ein und greift Wochenschaumaterial auf.

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Leider ist der Film auch sehr großzügig im Versuch, weiße Schauspieler mit Schminke „arabisch“ erscheinen zu lassen. Erst im letzten Drittel versetzt er seine Hauptdarstellerin nach Europa und lässt sie als das sichtbar werden, was „die Knef“ auszeichnete: ein westeuropäischer Star der Nachkriegszeit zu sein. In „Madeleine und der Legionär“ allerdings ist eben diese Qualität als europäischer Star auch der größte Fallstrick – wird doch ausgerechnet die junge Lehrerin zum Inbegriff der Übernahme der Perspektive der Kolonialmacht Frankreich in dem Film.

Im Rückblick scheint es nahezu unvermeidlich, dass selbst ein Regisseur wie Wolfgang Staudte an der brenzligen Aktualität des Algerienkriegs nur übernehmen konnte. Interessanterweise macht das den Film sogar eher noch interessanter für die rückblickende Forschung und wenn man sich für die Karriere von Hildegard Knef als europäischer Star oder die Geschichte der BRD interessiert, ist „Madeleine und der Legionär“ äußerst sehenswert.

Die Reihe „Hilde Hundert“ läuft noch bis zum Ende des Jahres und zeugt von Knefs Wandlungsfähigkeit als Schauspielerin. Im September steht Rolf Thieles Verfilmung von Wedekinds „Lulu“ auf dem Programm, im Oktober folgt Franz Josef Wilds Fernsehspiel „Laura“ um den Mord an einer Frau. „Madeleine und der Legionär“ mag ein Ausreißer in der Werkbiografie von Hildegard Knef sein, aber gerade in seinen bisweilen ungefügten Teilen macht der Film Reibungslinien des westdeutschen Kinos sichtbar.

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