Kinotipp der Woche: Einschneidende Tage
Bürgerliche Selbstverschanzung, rechter Gedächtnisverlust und nationalsozialistische Erziehungsanstalten: „SloVision“ zeigt neues slowenisches Kino.
Eben noch hat Boris mit seiner Frau zu Abend gegessen und belanglose Gespräche darüber geführt, wie viel Rindfleisch noch im Tiefkühler ist, da durchschlagen zwei Gewehrschüsse das Fenster zum Wohnzimmer. Boris bleibt unverletzt, aber die Schüsse sind dennoch einschneidend – oder wie der Ermittler der Polizei formuliert: „Wir haben es mit einer sehr einfachen Frage zu tun: Wer hasst Sie?“ Nach diesem Satz wackelt der mittelalte Mann leicht nickend mit dem Kopf, wiederholt den Satz, wie um ihn zu prüfen, und man merkt, dass schon die Vorstellung ihn erschüttert.
Darko Sinkos „Inventory“ (2021) ist einer von sechs Filmen, die „SloVision – Slowenische Filmtage“ von Donnerstag an im Berliner Kino Sputnik präsentiert. Die Filmtage finden statt in Kooperation zwischen dem slowenischen Kulturinstitut Skica und dem slowenischen Filmzentrum. Die Filme wurden ausgewählt von Bernd Buder, langjähriger Leiter des Filmfestivals in Cottbus und Co-Leiter des Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg.
Eröffnet werden die Filmtage mit Sonja Prosencs trockenhumoriger Satire „Family Therapy“. Prosenc zeigt eine Familie aus der oberen Mittelschicht, die sich in permanenter Angst vor der Außenwelt in eine Villenfestung verschanzt hat, die sie nur für expeditionsartige Abstecher in die nahegelegene Stadt verlässt. Als sie den Sohn des Vaters aus einer früheren Beziehung bei sich aufnehmen, bekommt das absurde Theater bürgerlicher Selbstbeschränkung der Familie Risse. „Family Therapy“ nutzt das kommunikationsunfähige Umhertigern in der Villa als Familienaufstellung.
SloVision – Slowenische Filmtage in Berlin. Vom 12. bis 15. Dezember im Sputnik Kino
Der Film hätte ein bisschen Straffung gut vertragen und gefällt sich etwas zu sehr in seinen sorgfältig kadrierten Bildern, in denen sich ebenso sorgfältig geplante Bewegungen vollziehen – was zwar sehr schön anzusehen ist, aber sich auch als hinderlich erweist, um mit der Handlung vorwärts zu machen. Dennoch ist Prosencs Film, der im Sommer auf dem Tribeca Film Festival Premiere feierte, eine gute Wahl für einen launigen Eröffnungsabend.
Ergänzt werden diese beiden Filme durch Marko Šantićs „Wake Me“ von 2022, in dem sich der Protagonist nach einem Krankenhausaufenthalt und Gedächtnisverlust der Erkenntnis stellen muss, dass er ein rechtsextremer Schläger war. Žiga Kukovičs Publikumshit „Gepack“ zeigt vier Jungs auf der Provinz auf dem Weg zu einem Musikfestival.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Maja Weiss spürt in ihrem Dokumentarfilm „Snatched from the Source“ slowenischen Kindern nach, die von den Nazis in Erziehungsanstalten verschleppt wurden und anschließend bei deutschen Pflegeeltern aufwuchsen. Petra Seliškars „The Body“ ist eine Langzeitdokumentation einer Freundin der Filmemacherin, die an einer Immunschwäche erkrankt ist. Seliškars Film zeigt das Ringen der Protagonistin mit ihrer Krankheit und der schwierigen Akzeptanz der Erkrankung als Teil ihres Lebens.
Die slowenischen Filmtage fügen sich ein in den Reigen von Länderprogrammen, mit denen die Kulturinstitute die Kinematografien ihrer jeweiligen Länder in Berlin sichtbar machen. Für das Berliner Kinopublikum ist das ein Segen, bietet sich so doch regelmäßig die Gelegenheit, Filme aus Ländern, die sonst auf Berliner Kinoleinwänden weniger gut vertreten sind, auf der großen Leinwand zu sehen. Im Falle der Slowenischen Filmtage sind alle Vorführungen sogar begleitet von Publikumsgesprächen mit den Filmemacher_innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!