Kinotipp der Woche: Guter schlechter Geschmack
Aufs Feinste subversiv: Das Hackschen Höfe Kino zeigt Filme der Queer Cinema-Legende John Waters, darunter die Tanz-TV-Komödie „Hairspray“ mit Divine.
Eines der großen Verdienste des Filmemachers John Waters aus Baltimore in den USA ist, dass es Dank ihm auch so etwas wie einen guten schlechten Geschmack gibt. Haarsträubende Plots, Teenie-Schmonzetten, Schmalz und Kitsch muss man selbst als Cineast nicht zwangsläufig verachten, hat man von ihm gelernt, sondern man darf selbst den größten Müll auf der Leinwand lieben, zumindest so lange er mit etwas Leidenschaft inszeniert wurde.
Dass er es dabei geschafft hat, vom absoluten Underground-Filmemacher hin zu einer geachteten und einflussreichen Ikone aufzusteigen, die selbst in einer Folge der „Simpsons“ einen prominenten Auftritt hat, ist geradezu eine rührende und fast unglaubliche Geschichte. Und fast schon Stoff für einen echten John-Waters-Film.
Doch der Mann mit dem ewigen Menjou-Bärtchen geht langsam auf die Achtzig zu und dreht schon seit einer Weile keine Filme mehr. Als Intellektueller, der sich immer noch mit großer Begeisterung alles Mögliche im Kino reinzieht, bleibt er dabei weiterhin eine Instanz.
Seine am Ende jeden Jahres herausgegebene Liste mit seinen liebsten Filmen, die er in den letzten 365 Tagen gesehen hat, ist Kult. Und seine Filme, Meisterwerke des transgressiven Gay-Kinos ein bleibendes Vermächtnis, das in alle möglichen Richtungen strahlt. In seiner vor kurzem erschienenen Autobiographie berichtet der Berliner Splatterfilm-Meister Jörg Buttgereit, dass er zum deutschen John Waters werden wollte, nachdem er dessen frühes Machwerk „Pink Flamingos“ gesehen hatte.
Gaily incorrect. The outrageous cinema of John Waters. Bis 14. Juni im Rahmen der 35-mm-Kinospecials im Hackesche Höfe Kino
Das Hackesche Höfe Kino zeigt noch bis Mitte Juni eine kleine Retrospektive mit Filmen von John Waters. Die wildesten Streifen aus den Siebzigern wie das besagte „Pink Flamingos“ und „Female Trouble“ liefen bereits. Nun ist das Spätwerk an der Reihe, das als vergleichsweise kommerziell gilt. Mag sein, aber im Vergleich zu „Pink Flamingos“, in dem die große Diva Divine in einer berühmt-berüchtigten Szene nicht nur so tut, als würde sie Hundescheiße essen, sondern wirklich Hundekot verspeist, und in einer Filmepisode so getan wird, als würde der Beischlaf mit Hühnern vollzogen, ist so ziemlich jeder Film kommerziell.
Divine, die berühmte Drag-Queen und große Muse von Waters, ist auch in „Hairspray“ (1988) zu bewundern, ihrem letzten Film vor ihrem Tod. Dieser ist bis heute Waters bekanntester Film, auch Dank eines erfolgreichen Musicals, das später unter demselben Namen für Furore sorgte.
Allein schon das Casting in diesem Film ist völlig irre. Neben Divine treten hier der Sixties-Popstar Sonny Bono, die Fifties-R&B-Queen Ruth Brown und die Achtziger-New-Wave-Legende Debbie Harry auf. Dass Waters für seine schillernden Trashfilme so ziemlich jede und jeden aus dem Showbusiness bekommen konnte, zeigt auch sein Film „Cry-Baby“ (1990) mit Johnny Depp in der Haupt- und Iggy Pop in einer Nebenrolle.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
All die gezeigten Filme sind Schund, aber das in seiner großartigsten Form. Die amerikanische Mainstreamgesellschaft wird aufs Korn genommen, der Spießbürger erschreckt und Fragen nach Moral und Anstand werden auf eine Weise beantwortet, die dem Papst und solchen Leuten wirklich überhaupt nicht gefallen. John Waters steht für subversives Kino vom Allerfeinsten. Man sollte sich immer wieder neu ansehen, was es einem noch zu sagen hat.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!