Kinotipp der Woche: Zweite Reihe Hollywood
Nebenfiguren halten die Handlung in Gang und verleihen Filmen Tiefe. Wie gut Edward Everett Horton das konnte, zeigt die Reihe „Glorious Sidekick“.
Es zählt zu den großen Missverständnissen der Filmgeschichte, dass große Filme allein von ihren Stars leben könnten. Oft ist es vielmehr das Verhältnis der Protagonist_innen zu den Rollen der zweiten und dritten Reihe, die die Handlung in Gang halten, ihr Tiefe verleihen.
Schon seit Montag widmet das Berliner Kino Arsenal einem der großen Darsteller von Rollen in der zweiten Reihe des klassischen Hollywoodkino, Edward Everett Horton, eine Filmreihe unter dem Titel „Glorious Sidekick“. Im Nachruf bemerkte die New York Times, er habe aus der Rolle als fortwährend Besorgter, der ein „Oh weh“ klingen lassen konnte, wie das Ende der Welt, eine Institution gemacht.
In George Cukors „Holiday“ (1938) spielt er Professor Nicolas Potter, der seit vielen Jahren befreundet ist mit Johnny Case, frisch zurück aus dem Urlaub, frisch verlobt und Protagonist des Films. Als Potter mit seiner Frau Susan auf die Verlobungsparty kommt, überlegen die beiden schon auf der Türschwelle umzudrehen als sie sich dem überbordenden Reichtum von Johnnys womöglich künftiger Frau Julia Seton gegenüber sehen.
Als sie sich einen Ruck geben und eintreten, nimmt das Fiasko seinen Lauf. Ein Butler zieht Potter mit dem Überschuh einen seiner Lackschuhe vom Fuß, aber er ist zu schüchtern um zu protestieren. Als der Schuh schließlich wieder gefunden ist, verlaufen sich die beiden im weiträumigen Haus. Horton ist der einzige Darsteller, den Cukor aus der ersten Adaption von 1930 übernommen hat.
Glorious Sidekick: Edward Everett Horton, bis 14. 4. im Kino Arsenal
Bekannt machten Horton, der 1886 als Sohn eines Schriftsetzers in der Druckerei der New York Times geboren wurde und von den 1920er Jahren bis in die späten 1940er eine unermüdliche Film- und Bühnenkarriere hatte, aber vor allem die Filme, in denen er neben Fred Astaire und Ginger Rogers auftrat.
In Mark Sandrichs „Top Hat“ (1935) ist er der Musicalproduzenten Horace Hardwick, der den Tanzstar Jerry Travers (Fred Astaire) nach London geholt hat. Mindestens ebenso wichtig: Hardwick hat sich mit seinem Butler über die Frage zerstritten, was das korrekte Textil ist, um es zur Abendgarderobe als Mann um den Hals zu tragen.
Als sein amerikanischer Star auf die steife Londoner Gesellschaft trifft, eröffnet das unzählige Möglichkeiten für Horton die Augen aufzureißen, zu grimassieren, kurz jene Institution eines dauernervösen Herren zu verkörpern, die der Nachruf der New York Times evozierte.
In „The Gay Divorcee“ (1934), ebenfalls von Sandrich, ist die Konstellation ähnlich: Astaire spielt einen Tanzstar, Horton dieses Mal den schusseligen Anwalt Egbert Fitzgerald. Wie in „Top Hat“ ist Hortons Rolle das Herz der Erzählung, die die Anlässe für Astaires glamouröses Flirten mit Ginger Rogers (dieses Mal als in Scheidung befindliche Mimi) bieten. In einem der unzähligen Kleinode stimmt Hortons Anwalt in das kunstvolle Pfeifen eines Telegrammjungen mit ein und fragt anschließend, ob dieser Zeit hätte für eine Zugabe.
In vielen der Filme, in denen Horton mitwirkt ist er das Bindeglied zwischen Haupt- und Nebenrollen, von denen viele von Schauspieler_innen verkörpert werden, die das Erscheinungsbild des klassischen Hollywood ebenfalls entscheidend mitprägten. Die Hommage des Arsenal an Horton ist also auch als Erinnerung daran zu verstehen, jenseits die vermeintlichen Hauptrollen zu blicken. Astaires Schauspiel in „Top Hat“ und „The Gay Divorcee“ jedenfalls verblasst deutlich gegenüber Hortons Nebenrolle.
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